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Der Rest steht fassungslos davor

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Laut Brian Eno vielleicht der wichtigste Schlagzeuger, der je auf Erden wandelte: Tony Allen. - Foto: Bernard Benant
Laut Brian Eno vielleicht der wichtigste Schlagzeuger, der je auf Erden wandelte: Tony Allen. - Foto: Bernard Benant © -

Hannover - Von Rolf Stein. Der Mann hat alles gesehen: Tony Allen, 1940 im nigerianischen Lagos geboren, brachte sich mit 18 Jahren selbst das Schlagzeugspiel bei, während er als Toningenieur beim Radio arbeitete. 1964 lud ihn Fela Kuti ein, bei seiner Highlife-Band vorzuspielen. Es war der Beginn einer 15 Jahre währenden Zusammenarbeit, die die afrikanische Musikwelt gehörig aufmischte und einige der wichtigsten Alben der Pop-Geschichte hervorbrachte. Unter dem Einfluss der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA und dem Funk von James Brown erfanden Allen und Kuti den Afrobeat. Aus Soul, Jazz, Highlife und Funk sowie traditionellen Yoruba-Rhythmen hatte Allen einen ganz eigenen Schlagzeugstil geschaffen, der das Fundament für die ausufernden, immer politischer werdenden Stücke Fela Kutis war.

1979 verließ Allen die Band von Kuti, und nicht wenige Mitmusiker folgten ihm. Das Leben im Umfeld des charismatischen Bandleaders, der sich oft mit den nigerianischen Machthabern anlegte, war aufreibend und offenbar auch materiell prekär. 1984 zog Allen nach London, nahm in den Jahren darauf etliche Alben unter eigenem Namen auf, spielte mit Musikern wie Damon Albarn, Flea von den Red Hot Chili Peppers, Charlotte Gainsbourg, Jimi Tenor, Grace Jones und vielen anderen.

Kein Wunder, dass sein Auftritt zur Eröffnung des 21. Masala-Worldbeat-Festivals in Hannover am Freitagabend von den Veranstalter mit Stolz annonciert wurde. Bevor Allen mit seiner sechsköpfigen Band die Bühne betrat, gab es ein mehr als würdiges Vorprogramm. Pat Thomas und die Kwashibu Area Band aus Accra, Ghana. Thomas ist ebenfalls schon lange im Geschäft und feierte im vergangenen Jahr ein vielbeachtetes Comeback, bei dem ihm sein Landsmann Ebo Taylor und auch Tony Allen behilflich waren.

Mit seiner bemerkenswert präzisen Band, die den klassischen Highlife-Sound mit Afrobeat-Elementen anreichert und nicht nur die komplexen Rhythmen mit souveräner Eleganz spielt, sondern auch in der Lage ist, sich in wenigen Sekunden vom Pianissimo in sattes Forte zu steigern. Strahlende Bläsersätze und ein gewitzter Gitarrist machten das Set der Band zum puren Vergnügen.

Tony Allen allerdings spielt dann doch noch einmal in einer anderen Liga. Der kleine Mann mit Sonnenbrille und Glitzermütze, der da mit einem Whiskeyglas auf die Bühne schlurft, weist gleich darauf hin, dass er nicht viel reden würde, nur wenn es unbedingt notwendig sei. Und selbst wenn das punktuell der Fall zu sein schien, brummelte er cool eher Unverständliches ins Mikrophon.

Was er zu sagen hat, liegt in der Musik, einem in steter Weiterentwicklung befindlichen Afrobeat, soulig tief, aber zugleich ansteckend tanzbar. Was erst recht nicht erklärt, warum er sich eine stellenweise etwas ranschmeißerische Band engagiert hat, die zwar musikalisch makellos aufspielt, aber – vor allem in Gestalt ihres Keyboarders – ein etwas aufdringliches Animiergehabe an den Tag legt. Dabei, und das stellt er in einem Schlagzeugsolo eindrücklich unter Beweis, ist Tony Allen schon ganz ohne Begleitung ein Ereignis ist. Wo die meisten seiner Kollegen an dieser Stelle verlässlich demonstrieren, wie viele Schläge sie in möglichst kurzer Zeit aneinanderreihen können, ist bei Allen alles Groove, vordergründig unspektakulär im wörtlichsten Sinne, auf ein Gerüst reduziert, das indes den Rest der Schlagzeugwelt fassungslos davorstehen lässt.

Damit hat das Masala die Latte für die kommenden Tage natürlich hoch gelegt. Was allerdings nicht bedeutet, dass das Programm dieses Jahr nicht noch einige spannende Abende in petto hat. Mehr Afrobeat gibt es am kommenden Freitag ab 21 Uhr im Pavillon in Hannover mit dem Helsinki-Cotonou Ensemble aus Finnland und Benin, das in einem Doppelkonzert mit der Salsa-Band Havana auftritt. Am Donnerstag ist ab 20 Uhr an gleicher Stelle die junge Fado-Sängerin Gisela Joao zu sehen. Schon heute präsentiert das Festival um 20 Uhr einen Auftritt der sizilianischen Sängerin Etta Scollo in der St.-Martins-Kirche in Bennigsen. Musikalisch schließen Ginkgoa und Chico Trujillo das Festivalprogramm am Samstag ab 21 Uhr ab. Ginkgoa ist ein französisch-amerikanisches Duo, das Electro Swing mit Cumbia verbindet, Chico Trujillo aus Chile neigen ebenfalls der Cumbia zu, die sie mit Punk- und Ska-Elementen zu einem mittlerweile nicht mehr unbedingt originellen, aber sicher partytauglichen Stil verschmelzen.

Am Samstag von 14 bis 21 Uhr und am Sonntag zwischen 12 und 22 Uhr gibt es auf dem Andreas-Hermes-Platz hinter dem Pavillon den Masala Weltmarkt, mit gastronomischem Angebot, Handwerksmarkt, Tanz und noch mehr Musik: Am Sonntag ab 17 Uhr ist beispielsweise die charmante Blues-Band „FatsO“ aus Bogota zu sehen.

Das Masala will aber auch und offenkundig nicht einfach nur ein Wohlfühl-Fest für Fans internationaler Musik sein. Im Rahmenprogramm wird beispielsweise heute ab 19 Uhr im Pavillon über das Klimaabkommen von Paris diskutiert, eine Fotoausstellung und eine Klanginstallation laden ebendort zu den Öffnungszeiten zur weiteren Beschäftigung mit Klimafragen ein.

Am kommenden Samstag und Sonntag zeigt das benachbarte Kino am Raschplatz jeweils ab 12 Uhr den Film „Zwischen Himmel und Eis“, der die Geschichte des Polarforschers Claude Lorius erzählt.

Bis 29. Mai, Hannover und Umgebung, alle Termine im Internet.

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