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Virtuose Schwebehaltung

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Syke - Von Rolf Stein. „Nicht Rio, die Sprache hat Georg Horvath verstimmt“, heißt es in „Georg Horvath ist verstimmt“, einer der Geschichten des landauf, landab vollkommen zu recht bejubelten Bandes „Fallensteller“ von Sasa Stanisic, Empfänger einiger der wichtigsten Literaturpreise, die es, im Lande gibt. Verstimmt hat Georg Horvath nicht Sprache an sich. Eher eine Schlampigkeit, die sich in abgewetzten Bildern niederschlägt. Zum Beispiel: „Ein Meer der Lichter“. Horvath will ein solches in dem nächtlichen Rio de Janeiro, das er aus dem Fenster eines Flugzeugs sieht, nicht erkennen. „Auch ein Meer aus Licht hätte Tiefe und wäre nicht gepunktet, sondern bestünde aus einer durchgehenden hellen Fläche“, sinniert er. Und überlegt, wie es denn sonst beschrieben werden könnte. „Lichterteppich“? Aber: „Kein Teppich war uneben.“

Horvath arbeitet für einen Brauereikonzern. Dass sein Büro in Bremen ist, scheint eher gleichgültig. In Brasilien soll er den Kauf einer kleinen Brauerei über die Bühne bringen, die ein höchst angesagtes Indian Pale Ale herstellt. Davor steht allerdings immer noch und wieder die Sprache. Als die Flugbegleiterin ihn bittet, die Sonnenblende zur Landung hochzuziehen, fragt er sie: „Muss es zu dieser Uhrzeit nicht Mondblende heißen?“ Was mit einem lapidaren „Nein“ beantwortet wird. Kaum befriedigend.

Aber das ist noch gar nichts verglichen mit dem, was ihm noch passieren wird, nur weil er in ein falsches Taxi steigt. Wobei unklar ist, ob er sich diese Falle, vielleicht aus einem gewissen Überdruss heraus, zumindest auch ein bisschen selbst gestellt hat, die Kontrolle aufgibt, um ein anderer zu sein. Wie überhaupt nicht wenig in diesen Geschichten von Stanisic virtuos in der Schwebe gehalten wird. Wobei hypergenaue Alltagsbeobachtung und surreale Leichtigkeit eine zumeist geradezu unwiderstehliche Verbindung eingehen.

Ins Provinzleben eines uckermärkischen Dorfs, das seit Neuestem von Wildschweinen und Wölfen geplagt wird, spaziert ein recht barocker Kammerjäger, eine andere Geschichte führt in die unwirkliche Verlassenheit eines Bauernhofs, mutmaßlich in Jugoslawien, wo Stanisic geboren wurde, als es noch ein Jugoslawien gab. Und auf einer Vernissage stehlen zwei junge Leute das Bild einer Künstlerin, die vor dem Krieg in Syrien geflüchtet ist, in dem sie, so sagt sie zumindest, ihre beiden Kinder verlor – die in Wirklichkeit friedlich in einer Wohnung über der Galerie schlummern.

Die Vielstimmigkeit dieser Geschichten, ihr Witz, der immer auch melancholisch ist, mal mehr, mal weniger, gelegentlich in Sarkasmus verfallend, der aber ja auch melancholisch sein kann – das und Stanisics Lust am virtuosen Spiel mit Sprache machen „Fallensteller“ zu einem der schönsten Bücher dieses Sommers.

Sasa Stanisic: „Fallensteller“, Luchterhand Literaturverlag, 288 Seiten, 19,90 Euro

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