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„Es geht um Lebewesen, die so fühlen wie wir“

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Der Lastwagen stand mehrere Stunden an der von den Aktivisten errichteten Sperre.
Der Lastwagen stand mehrere Stunden an der von den Aktivisten errichteten Sperre. © Julia Kreykenbohm

Wietzen - von Julia Kreykenbohm. Der Regen prasselt sanft auf den Asphalt der Schulstraße in Wietzen. Auf ihr haben sich vier junge Männer versammelt, die ein bemaltes Banner zwischen sich aufgespannt haben. Darauf steht: „Das System Wiesenhof markieren und stören.“

Einer von ihnen hat ein Megaphon in der Hand und schreit: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!“ Gerichtet sind diese Parolen an den großen grün-weißen Gebäudekomplex rund fünf Meter weiter auf der rechten Seite, wo immer mal wieder Lastwagen auf das Gelände fahren: der Schlachthof Wiesenhof.

Die kleine Gruppe ist schon ziemlich durchnässt, schließlich ist sie bereits seit 6 Uhr morgens da. Nun ist es fast 11. Aber die jungen Leute harren weiter aus. „Was hier passiert, ist ein großes Übel, ein großes Leid, das Lebewesen zugefügt wird, die genau wie wir Menschen fühlen“, erläutert ein junger Mann, der die Kapuze seines schwarzen Pullovers über seinen Kopf gezogen hat, um sich vor dem Regen zu schützen. Wir nennen ihn Sven, denn seinen richtigen Namen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen. Sven ist Teilnehmer am Aktionscamp gegen Tierfabriken, das zurzeit in Balge organisiert wird. Mit ihm sind noch etwa 30 weitere Aktivisten zu Wiesenhof am Standort Wietzen gekommen.

Mehrere Tierschützer wurden nach Auflösung der Versammlung von der Polizei abgeführt.
Mehrere Tierschützer wurden nach Auflösung der Versammlung von der Polizei abgeführt. © Julia Kreykenbohm

Am frühen Dienstagmorgen war es ihnen gelungen, alle drei Zufahrtswege zu blockieren, so dass der Anlieferungsverkehr komplett lahmgelegt wurde, und zwei Lastwagen zu erklettern. Die Polizei rückte an und löste die Versammlung auf. Als die Aktivisten der Aufforderung nicht nachkamen, wurden sie von den Beamten vom Gelände gebracht. Neun von ihnen mussten mit zur Dienststelle kommen, wo ihre Daten erfasst wurden. Sven und seine Mitstreiter blicken von ihrem Standort aus nun auf einen hohen Metallzaun, den die Firma Wiesenhof errichtet hat, damit keine Aktivisten mehr auf das Gelände gelangen und den Betriebsablauf stören können. Eine Gruppe Polizisten hat sich dahinter postiert. Das ärgert Sven und die anderen. „Wieso darf Wiesenhof auf einer öffentlichen Straße so eine Barrikade errichten? Und wieso genehmigt die Polizei das? Die könnten sich doch auch auf unsere Seite stellen!“

Eine schwierige Situation, weiß Polizeipressesprecher Thomas Münch. Man müsse beide Seiten zu ihrem Recht kommen lassen: Die Aktivisten, die ihre Meinung kundtun wollen und den Betrieb Wiesenhof, der einen reibungslosen Arbeitsablauf möchte. „Allein durch die Blockade heute Morgen hat der Betrieb einen hohen finanziellen Schaden erlitten.“ Ein paar Meter hinter Sven und den anderen Bannerträgern erklingt das permanente Brummen eines Motors. Einer der beiden von den Aktivisten am Morgen besetzten Lastwagen steht noch immer auf der Straße Richtung Wietzen. Vor ihm blockiert ein rot-weißes Absperrband den Weg und fünf Tierschützer haben sich, in eine wasserabweisende Plane und Regencapes gehüllt, davor auf dem Asphalt niedergelassen. Zwei weitere stehen auf dem Dach des Fahrzeugs und schwenken eine schwarz-weiße Fahne.

Trotz des schlechten Wetters harren die Tierschützer stundenlang aus.
Trotz des schlechten Wetters harren die Tierschützer stundenlang aus. © Julia Kreykenbohm

„Wir protestieren gegen die Ausbeutung von Mensch und Tier“, sagt Christof, der extra aus Braunschweig angereist ist. „Wir konnten den Betrieb durch die Blockade zwar nur für ein paar Stunden lahmlegen, aber es geht eben auch darum, ein Zeichen zu setzen: gegen das System und den von Wiesenhof geplanten Neubau.“

Sven hat sich inzwischen zu der Gruppe vor dem Lastwagen gesellt und setzt sich. Auf der anderen Seite des Absperrbandes stehen mehrere Mannschaftswagen der Polizei und zahlreiche Beamte. Insgesamt sind es 29 Bereitschaftspolizisten und 15 Beamte der Polizeiinspektion Nienburg. Die Stimmung zwischen beiden Lagern ist entspannt, miteinander gesprochen wird kaum. Ab und zu huschen Mitarbeiter von Wiesenhof unter dem Band hindurch, teils verwundert, teils amüsiert.

Pressesprecher Thomas Münch telefoniert mit Kollegen des SEK, die gerade von Hannover aus mit einem sogenannten Höhenretter nach Wietzen unterwegs sind, der gewährleisten soll, dass die beiden Aktivisten vom Dach des Lastwagens sicher heruntergeholt werden können. Um 12.30 Uhr nehmen die Beamten die Absperrung weg und lösen die Versammlung offiziell auf, indem sie die Aktivisten auffordern, den Platz zu verlassen. Niemand rührt sich. Erst, als die Beamten sie vor die Wahl stellen, aufzustehen oder weggetragen zu werden, erheben sich die Tierschützer. Wenn auch unter Protest, denn ihre Vorstellungen von einem korrekten Verhalten der Polizei in solch einer Situation deckt sich nicht ganz mit denen der Beamten. Die ganze Zeit zeichnet eine Polizistin das Geschehen mit einer Kamera auf. „Damit kann man hinterher nachweisen, was genau passiert ist“, so Münch. Alles läuft ruhig ab und Sven darf sogar noch seine Fahne holen, die hinter einem Zaun auf einem anderen Grundstück gelandet ist. Er und die anderen Aktivisten werden zu den Mannschaftswagen gebracht und durchsucht, bevor sie zur Dienstelle gefahren werden. Sie müssen sich jetzt wegen Ordnungswidrigkeiten und verschiedenen Straftatbeständen verantworten.

Danach entschließen sich auch die beiden Tierschützer auf dem Dach des Lastwagens, herunterzukommen. Einige Beamten halten ihnen die Leiter, während die Kollegen mit dem Höhenretter angefunkt werden: Einsatz beendet, ihr könnt wieder abdrehen.

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