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Isar-Mord als Tatort-Vorlage: Kommissare stoßen an Grenzen

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Batic und Leitmayr sinnieren über die Fälle, die sie im Lauf der Jahre bearbeitet haben.
Batic und Leitmayr sinnieren über die Fälle, die sie im Lauf der Jahre bearbeitet haben. © BR/X Fil

München - Erinnern Sie sich noch an den Isar-Mord, der München vor drei Jahren geschockt hat? Der Tatort „Die Wahrheit“ hob diesen Fall auf eine Spielfilmebene - und zwar ganz grandios. Und: Es wird eine Fortsetzung geben.

Der neue München-Tatort verursacht Kopfschmerzen: Jedes Mal, wenn Batic‘ Wecker in der Früh um Punkt 7 Uhr wütend dröhnt und ihn zum Aufwachen drängt. Jedes Mal, wenn er in einen Raum kommt und ihm das Licht in die Augen sticht. Dann spürt der Tatort-Zuschauer den körperlichen Schmerz, den der Kommissar erleidet. Und spätestens wenn man dann sieht, dass der Wecker Ivo Batic (Miroslav Nemec) gar nicht zu wecken brauchte, weil er sowieso die ganze Nacht wach auf der Bettkante gesessen hatte, weiß man: Es geht nicht nur um körperlichen Schmerz. Hier stimmt was nicht. 

Auch im Fall „Die Wahrheit“ stimmt vieles nicht. Vor allem eine Sache: Der Mord, der in den ersten Minuten passiert, scheint ohne Motiv begangen worden zu sein. Eine Familie - Vater, Mutter, Kind - läuft auf einen Supermarkt zu, irgendwo in München. Davor liegt ein Mann, vielleicht ein Obdachloser. Der Vater geht hin, will dem Mann aufhelfen und wird brutal erstochen, mit mehreren Stichen in die Brust. Dann läuft der Mörder davon. 

Tatort aus München: Ermittlungen in alle Richtungen

Batic und sein Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) beginnen mit den Ermittlungen - wie es im Polizeijargon heißt: „in alle Richtungen“. So zynisch. Denn „in alle Richtungen“ heißt einfach: Sie haben nicht mal einen Anhaltspunkt. Obwohl es zunächst sogar danach ausgesehen hatte, als wäre am Tatort ein unumstößliches Indiz gefunden worden.

Eine Soko wird gegründet, Leitmayr wird die Leitung übergeben.

Sie Soko ermittelt monatelang.
Die Soko ermittelt monatelang. © BR/X Fil

Denn Batic, das fällt auch Dezernatsleiter Karl Maurer (Jürgen Tonkel) auf, ist nicht auf seiner ermittlerischen Höhe. Die Soko arbeitet hart, ein halbes Jahr lang, nimmt DNA-Proben von unzähligen Männern, findet nichts. Dann wird die Sonderkommission nicht nur halbiert, sondern so dezimiert, dass Franz Leitmayr aufs Dach der Polizei steigt. „Der überlegt, ob er springt“, sagt Kollege Kalli (Ferdinand Hofer).

Der aktuelle Tatort „Die Wahrheit“ ist angelehnt an den Isar-Mord, der vor drei Jahren in München passiert ist. Der furchtbare und vor allem offenbar völlig sinnlose Mord an Domenico L. an der Corneliusbrücke ist bis heute nicht aufgeklärt, der Mörder konnte nie geschnappt werden. Trotz Soko, trotz Aktenzeichen XY ungelöst, trotz Zeugen, trotz Hinweisen. Und genau hier beginnt die spannende Frage, die sich im München-Tatort stellt: Wie wird der Krimi-Film ausgehen? Wird „Die Wahrheit“ gefunden? Wird das unfassbare Verbrechen aufgeklärt? Man wünscht sich das natürlich, weil es in der Realität noch nicht geschehen ist. 

Spannend ist auch das Zusammenspiel von Batic und Leitmayr. In ihnen spiegelt sich die lähmende Polizeiarbeit wider: Sie haben Zeugen, sie haben Indizien - und trotzdem kommen sie nicht voran. Keinen Zentimeter. Diesmal ist es nicht die typische Netter-Bulle-Böser-Bulle-Aufteilung, obwohl es zunächst so scheint. Beide Kommissare stoßen an ihre Grenzen, mehrmals. Die Verzweiflung ist allgegenwärtig. Und das nicht nur in ihrem Beruf, sondern auch im Privatleben: Eines Abends sitzen sie in einer Bar und reden über die Frauen, die in ihrem Leben gar nicht so falsch waren. „Alle tot“, sagt Batic am Schluss. „Unser Leben ist der Tod“, ergänzt Leitmayr. Und im Fall von „Die Wahrheit“ ist er einmal mehr völlig sinnlos, dieser Tod.

Tatort aus München: Polizei München twitterte live mit

Der Tatort aus München versteht es grandios, den tatsächlichen Fall des Isar-Mords auf eine Krimi-Spielfilmebene zu heben. Natürlich fragt man sich, wie viel Realismus und wie viel Wahrheit in der Geschichte versteckt ist und wie viel schlicht der Fantasie der Tatort-Macher entsprungen. Das Besondere am neuen Fall: Am Sonntagabend, parallel zur Ausstrahlung, begleitet die Polizei München die Sendung auf ihrem Twitterkanal @PolizeiMünchen unter dem Hashtag #Tatort. Dabei sind: Der echte Kommissar der Münchner Mordkommission, Herbert Linder, der Fallanalytiker und Psychologe Markus Hoga sowie der Außendienstleiter der Münchner Polizei, Harald Bayer.

Die Fallanalytikerin und Profilerin aus dem Film, Christine Lerch (Lisa Wagner), verlässt nach „Die Wahrheit“ das Münchner Polizeipräsidium, um für zwei Jahre zum FBI zu gehen. Das ist

Profilerin Christine Lerch (Lisa Wagner) verlässt München und geht zum FBI.
Profilerin Christine Lerch (Lisa Wagner) verlässt München und geht zum FBI. © BR/X Fil

schade - für den Zuschauer, für die Fälle und für Leitmayr. Denn kurz fragt man sich, ob zwischen den beiden vielleicht mehr passiert sein könnte, als man weiß. Aber es passt zum Fall, dass auch diese Frau nicht bei den Kommissaren bleibt. Und sie sich weiter allein mit dem Tod beschäftigen müssen. Immer weiter. 

Fazit: In diesem Tatort stimmt einfach alles. Der Fall, die Kommissare, die Stimmung, die Charaktere, die Bilder. Und die Anlehnung an die echte Geschichte, die München 2013 geschockt hat. Der Tatort verursacht Kopfschmerzen. Auf eine gute Art. Bitte mehr solche Schock-Geschichten am Sonntagabend!

München-Tatort wird 2017 weitererzählt

Der Fall vom Sonntagabend wird im nächsten Film weitererzählt. Die Ausstrahlung sei für 2017 geplant, teilte der BR mit. Von Anfang an seien sich alle einig gewesen, dass der Täter in der Folge „Die Wahrheit“ nicht gefasst werden sollte, sagte BR-„Tatort“-Redakteurin Stephanie Heckner. „„Die Wahrheit“ sollte ein „Tatort“ werden, der die Schmerzhaftigkeit polizeilicher Ermittlungsarbeit auf die Spitze treibt.“

Tatort aus München: Bezug zum Isar-Mord aus Sicht des BR

Der Bezug zum Isar-Mord lässt sich leicht herstellen, wenn man den Tatort sieht - dennoch ist es der zuständigen Tatort-Redakteurin des Bayerischen Rundfunks, Stephanie Heckner, wichtig, dass „Die Wahrheit“ nur ein Fall unter anderen realen Fällen in Bayern ist, was die fehlende Opfer-Täter-Beziehung betrifft. „Auch im Tatort: 'Die letzte Wiesn' haben wir einen solchen Fall für München schon erzählt“, sagt Heckner. „Zudem gibt es auch weitere reale Fälle von Tötung durch Erstechen ohne Täter-Opfer-Beziehung in Bayern, wie etwa der Fall eines 66-jährigen Mannes, der in Weiden auf einem Radweg zum Opfer wurde oder der Fall Vanessa in Gersthofen.“

Außerdem gebe es auch noch einige andere Unterschiede zwischen dem Isar-Mord und dem, der im aktuellen Tatort passiert. Doch zu viel vom Inhalt wollen wir vorab nicht verraten. „'Die Wahrheit' ist also ein Tatort, der – losgelöst von einem realen Fall – die intensive, langfristige und oftmals frustrierende Tätersuche in einem Fall ohne Täter-Opfer-Beziehung beleuchtet“, sagt Heckner vom BR.

Tatort aus München in der ARD-Mediathek

Der Fall „Die Wahrheit“ ist 30 Tage lang in der Mediathek abrufbar

Tatort: Das waren die vergangenen Fälle

„Fangschuss“ (Tatort aus Münster), „Borowski und das dunkle Netz“ (Tatort aus Kiel), „Nachtsicht“ (Tatort aus Bremen), „Tanzmariechen“ (Tatort aus Köln), "Dünnes Eis" (Polizeiruf aus Magdeburg), „Der scheidende Schupo“ (Tatort aus Weimar), „Schock“ (Tatort aus Wien), „Wacht am Rhein“ (Köln-Tatort), „Land in dieser Zeit“ (Frankfurt-Tatort), „Klingelingeling“ (München-Tatort), „Wendehammer“ (Frankfurt-Tatort), „Dunkelfeld“ (Berlin-Tatort), „Sumpfgebiete“ (Polizeiruf mit Matthias Brandt), „Taxi nach Leipzig“ (1000. Tatort-Jubiläum), „Borowski und das verlorene Mädchen“ (Kiel), „Echolot“ (Bremen), „Zahltag“ (Dortmund-Tatort), „Der König der Gosse“ (zweiter Fall aus Dresden), "Feierstunde" (Tatort Münster mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl), "Wölfe" (Polizeiruf mit Matthias Brandt), "Und vergib uns unsere Schuld" (Polizeiruf mit Matthias Brandt), "Wir - Ihr - Sie" (Berlin-Tatort), "Das Recht, sich zu sorgen" (Franken-Tatort), "Fünf Minuten Himmel" (Freiburg-Tatort), "Mia san jetz da wo's weh tut" (Jubiläumsfall München-Tatort), "Ein Fuß kommt selten allein" (Münster-Tatort), "Der Preis der Freiheit" (Polizeiruf des RBB).

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