In seinem Urteil bezog Seidling auch Stellung zur extremen Polarisierung während des Verfahrens. Verteidiger Schwenn habe den “respektvollen Umgang“ häufig vermissen lassen und mit seinen Vorwürfen dem Ansehen der Justiz geschadet.
Seidling kritisierte außerdem die Berichterstattung in den Medien: “Statt der gebotenen Zurückhaltung gegenüber einem laufenden Verfahren prägten vorschnelle Prognosen, das einseitige Präsentieren von Fakten und mit dem Anschein von Sachlichkeit verbreitete Wertungen die Berichterstattung.“ Der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung sei dies in hohem Maße abträglich. Seidling war während des Prozesses wiederholt in verschiedenen Medien für seine Verhandlungsführung kritisiert worden.
Kachelmanns Anwalt Schwenn hingegen sprach von einem “befangenen Gericht“. Die Kammer hätte Kachelmann “zu gerne verurteilt“ und in der Urteilsbegründung nochmal “richtig nachgetreten“, um “den Angeklagten maximal zu beschädigen“. Schwenn sprach von einer “Erbärmlichkeit im Gerichtssaal“. Pflichtverteidigerin Andrea Combé betonte, rechtlich gesehen gebe es keinen “Freispruch zweiter Klasse“. Es gelte lediglich der Grundsatz “in dubio pro reo“ - im Zweifel für den Angeklagten.
Für Richter Seidling bleibt ein schaler Nachgeschmack: “Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potenziellen Vergewaltiger, sie als potenziell rachsüchtige Lügnerin.“
Das Gericht wies darauf hin, dass sowohl die Nebenklägerin als auch Kachelmann in Teilen die Unwahrheit gesagt hätten. Die 38-Jährige hatte einige falsche Angaben zur Vorgeschichte der Tat gemacht. Kachelmann hat nach Überzeugung des Gerichts zum Streit mit der Ex-Geliebten vor dem Haftrichter nicht immer die Wahrheit gesagt.
Das Gericht stellte jedoch fest, dass “die objektive Beweiskette in die eine wie die andere Richtung immer wieder abreißt.“ Aus den Vernehmungen anderer Ex-Geliebter des Moderators gehe zudem hervor, dass Kachelmann sexuell zwar Grenzen auslote, aber immer auf Einvernehmlichkeit bedacht gewesen sei, erklärte das Gericht.
Derweil stellte sich die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer weiter an die Seite der Ex-Freundin und Nebenklägerin. “Man muss auch Respekt vor dem möglichen Opfer haben“, sagte Schwarzer, die den Vergewaltigungsprozess gegen den Moderator für die “Bild“-Zeitung begleitet hatte. Der Prozess habe gezeigt, dass Kachelmann “nicht nur diese Frau gezielt manipuliert hat“. “Er kommt nicht ins Gefängnis, es bleibt alles offen“, sagte Schwarzer.
Der Opferschutzverein “Weißer Ring“ sprach von einem “falschen Signal“. Dass ein Freispruch nach dem Grundsatz “Im Zweifel für den Angeklagten“ häufig “Im Zweifel gegen das Opfer“ bedeute, sei vielen Juristen nicht bewusst, sagte Veit Schliemann vom “Weißen Ring“ der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Nach Einschätzung des Bundesverbandes deutscher Frauennotrufe löst das Urteil Unsicherheit und Bitterkeit bei Vergewaltigungsopfern aus. “Damit bestätigt sich die schlimmste Befürchtung von Frauen. Die Angst, dass man ihnen eine Vergewaltigung nicht glaubt“, sagte Gudrun Wörsdörfer vom Frauennotruf in Frankfurt (Main).
Seine langjährige Geliebte hatte den TV-Moderator beschuldigt, er habe sie mit einem Messer bedroht und vergewaltigt. Kachelmann hatte die Vorwürfe stets bestritten. DNA-Spuren stützten die Anklage nicht.
Kachelmann wird wieder voll bei dem von ihm gegründeten Wetterdienst Meteomedia einsteigen. Das gab das Unternehmen am Dienstag in Gais in der Schweiz bekannt. Auch bei Radio Basel, wo Kachelmann seit Monaten einmal die Woche auf Sendung ist, werde der Schweizer künftig des öfteren zu hören sein, sagte Chefredakteur Christian Heeb der Nachrichtenagentur dpa. Kachelmann war auch während seines Prozesses Präsident von Meteomedia geblieben.
dpa