„Das ist für uns unfassbar, wir sind unendlich traurig“, sagte Superintendent Friedrich Selter. Letztlich seien die drei getöteten Opfer des Zweiten Weltkriegs.
Später nahmen in der Marktkirche von Hannover 700 Menschen Abschied von den Bombenopfern. Der damalige Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hielt die Trauerrede: „Ihr Tod macht uns bewusst, dass der Zweite Weltkrieg immer noch lange, dunkle Schatten wirft.“
Bis heute werden in und um Göttingen (Niedersachsen) ab und an Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Es gibt auch Fehlalarme: So wie im Oktober 2019, als eine vermeintliche Bombe in der Nähe des Schützenplatzes geortet wurde, die sich als Metallfass entpuppte. Einen Monat später wurde eine Weltkriegs-Bombe bei Rosdorf gefunden, sie musste gesprengt werden.
Am Pfingstmontag, 1. Juni, wird nicht öffentlich der Opfer des Unglücks
gedacht. Dazu wird ein Kranz niedergelegt.
Von Bernd Schlegel mit dpa
Bei dem Unglück mit schrecklichen Folgen vor zehn Jahren war Thomas Bleicher, Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Niedersachsen, vor Ort. Wir sprachen mit ihm über seine Erfahrungen.
Mit welchem Gefühl fahren Sie zur Gedenkfeier am Montag nach Göttingen?
Jedes Mal wenn ich nach Göttingen (Niedersachsen) fahre, habe ich ein leichtes Grummeln im Bauch. Man erinnert sich dann stets an jenen Tag. Ich war damals verantwortlicher Einsatzleiter für das eingesetzte Team zur Kampfmittelbeseitigung in Göttingen.
Wie haben Sie die Ereignisse von damals verarbeitet?
Wir haben damals noch zur Polizei gehört. Da ich selber Polizeibeamter bin, kommt man dadurch auch öfter mit Ereignissen in Kontakt, bei denen es schwere Unfälle gibt, sodass ich wusste, wie zu reagieren und zu handeln ist. Im Nachgang bekamen wir eine persönliche Betreuung durch den Sozialwissenschaftlichen Dienst der Zentrale Polizeidirektion.
Reden Sie heute bei Einsätzen noch von dem Vorfall?
Nein, denn wir müssen unseren Kopf freihalten und können daher nicht bei jedem Einsatz über den Vorfall von Göttingen sprechen, sonst sind wir zu sehr abgelenkt.
Was hat sich bei Bombenentschärfungen seit dem Unglück von Göttingen geändert? Was machen Sie anders?
Bei jeder Entschärfung gibt es ein Restrisiko. Wir versuchen dies mit neuen technischen Mitteln und vermehrten Sprengungen zu minimieren. Aber man bekommt das Restrisiko nicht auf Null. Die damalige Bombe hatte einen Zünder mit chemischer Unterstützung.
Welche Rolle spielen diese Zünder?
Diese Bomben mit sogenannten Langzeitzünder, wurden im Zweiten Weltkrieg der „normalen“ Bombenfracht oft bei getan. Bei sämtlichen Kampfmitteln und insbesondere bei diesen Zündsystemen gibt es einen unberechenbaren Alterungsprozess, den wir von außen nicht einschätzen können. Deshalb wird das Restrisiko bei diesen speziellen Zündsystemen immer sehr hoch bleiben.
Wie viele Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg kommen noch ans Tageslicht?
Das kann man nicht sagen. Wir wissen nicht, wie viele Bomben abgeworfen wurden. Außerdem ist nicht klar, welche Bomben zu welchem Zeitpunkt entschärft wurden. Eine verlässliche Dokumentation darüber gibt es erst seit 30 Jahren. Deshalb wird es immer wieder vorkommen, dass Bombenblindgänger ans Tageslicht kommen. Erst am Mittwoch wurde eine Bombe in Meppen entschärft. Diese Aufgabe wird uns noch über Generationen begleiten.
VON BERND SCHLEGEL
Thomas Bleicher (60) ist seit 2006 Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Niedersachsen. Zuvor war er technischer Einsatzleiter bei der Bereitschaftspolizei in Hannover. Die Kampfmittelbeseitigung ist seit 2012 dem Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung angegliedert. Bleicher wohnt in der Region Hannover.
Zweimal war Thorsten Lüdeke vom Kampfmittelbeseitigungsdienst im vergangenen Jahr zu Einsätzen zur Entschärfung von Bomben in Südniedersachsen vor Ort – in Göttingen und bei Rosdorf (Landkreis Göttingen).
Der Sprengstoffexperte schilderte vor einem Einsatz im Oktober am Göttinger Schützenplatz, wie es ihm nach dem tragischen Vorfall im Jahr 2010 erging – damals war sein bester Kumpel ums Leben gekommen. „Die Bilder verkraftet man nicht einfach so. Ich hab anfänglich versucht, das irgendwie alleine geregelt zu kriegen“, sagte Lüdeke in einem Interview.
Irgendwann merkte Sprengmeister Lüdeke, das es so einfach nicht geht: „Und dann hab ich für mich entschieden, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich dann doch mal lieber ins Krankenhaus gehe. Auch weil das meinen Kollegen nicht weiterhilft, wenn ich nicht zu 100 Prozent bei der Sache bin. Und aus dem mal kurz ins Krankenhaus sind dann 16 Wochen geworden“, erinnert sich Lüdeke. Er macht zudem deutlich, dass es bei den Blindgängern immer noch ein Restrisiko gibt: „Das ist Weltkriegs-Munition – und die ist unberechenbar."