Die Politik reagiert mit den Regeln deshalb auf die Informationen, die derzeit bekannt sind. Zunächst wurde ein großer Anteil an Neuinfektionen nach Reisen aus dem Ausland importiert. Die Ausweisung von Risikogebieten und die Ausweitung von Corona-Tests an Flughäfen, Bahnhöfen und Autobahn-Raststätten waren die Folge. In der letzten Zeit sind vor allem private Feiern wie Hochzeiten in den Fokus gerückt. Eine Beschränkung der maximalen Teilnehmerzahl, Kontaktlisten zur Nachverfolgung und Hygienekonzepte ab einer bestimmten Anzahl an Personen sollten hier weiterhelfen.
Verschärfte Regeln gelten so lange, bis der betroffene Land- oder Stadtkreis kein Corona-Hotspot mehr ist – also die kritische Grenze an Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner über eine Dauer von sieben Tagen in Folge nicht mehr überschritten wird. In Baden-Württemberg gilt die verschärfte Corona-Verordnung, die nach Ausrufung der Pandemiestufe 3 veröffentlicht wurde, vorerst bis zum 30. November 2020.
Im Moment sind es viele Jungen, die sich mit Corona infizieren – bei Partys und Feiern. Deshalb scheint die Sperrstunde eine plausible Maßnahme, um hier direkt einzugreifen. Politiker wollen so ausufernde Partys und sinkende Vorsicht bei steigendem Alkoholpegel verhindern – und trotzdem komplette Schließungen vermeiden. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci sagte im RBB, das Nachtleben sei als Infektionsquelle ausgemacht worden. „Die Zeit der Geselligkeit ist vorbei“, hielt sie fest.
Der leitende Epidemiologe des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, Gérard Krause, ist hinsichtlich des Effekts der Sperrstunde skeptisch. Im Interview mit dem Spiegel gibt er zu bedenken, dass diese zur Folge hätte, dass „mehr Kunden in einer kürzeren Zeit zusammenkommen könnten“. Thomas Lengfelder, Berliner Chef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), warnte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Die Treffen werden dann in den privaten Wohnraum verlagert.“ Er sprach sich stattdessen für stärkere Kontrollen und härtere Strafen für Betriebe, die sich vorsätzlich nicht an die Corona-Regeln halten, aus.
Dennoch: Viel Alkohol kann dazu führen, dass Menschen die Hemmungen verlieren, Abstände nicht mehr einhalten, Masken absetzen – und dann wird es gefährlich. Alkoholverbot und Sperrstunde „sollen Anlässe verhindern, unter denen Infektionen stattfinden können“, sagt Gesundheitsforscher Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen gegenüber BR24. Gerade in Bars und Kneipen, wo es vergleichsweise eng ist und viele Menschen aufeinandertreffen. Im Sommer blieben Türen und Fenster noch offen, im Winter steht die Luft und das Risiko einer Corona-Infektion steigt. Ob die Sperrstunde ein gutes Mittel gegen die Pandemie ist, wird sich aber erst nach einer gewissen Zeit zeigen.
In Baden-Württemberg ist die Pandemiestufe 3 ausgerufen worden – mit Corona-Maßnahmen, die unabhängig von der Inzidenz vor Ort landesweit für alle gelten. Diese sieht unter anderem eine landesweite Maskenpflicht überall in öffentlichen Bereichen, etwa Fußgängerzonen, vor – sofern nicht sicher ist, dass der Mindestabstand zu anderen eingehalten werden kann. In Schulen gilt die Maskenpflicht ab Klasse 5 nun auch im Unterricht.
SARS-CoV-2 wird über Tröpfchen oder auch Aerosole verbreitet. Das grundsätzliche Problem hinsichtlich des Coronavirus ist, dass dieses bereits übertragen werden kann, bevor die Infizierten Symptome entwickeln oder mitunter sogar symptomfreie Verläufe haben. Ein Mund-Nasen-Schutz schützt nicht vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Allerdings können sie dazu beitragen, dass „Tröpfchen aus Speichel oder Rachensekreten beim Ausatmen, Sprechen, Niesen oder Husten andere Menschen weniger treffen“, heißt es vom Bundesministerium für Gesundheit. Auch das RKI empfiehlt das Tragen von Masken überall dort, wo es zu engeren Kontakten kommen kann.
In der Studie der Universität Oxford zeigt die Auswertung der Maskenpflicht zwar lediglich einen geringen Effekt. Der Verantwortliche Jan Brauner hält aber fest, dass zu dem Zeitpunkt, als diese Pflicht vorgeschrieben wurde, bereits andere Maßnahmen (der Lockdown im März beispielsweise) die öffentlichen Interaktionen deutlich reduziert hatten. „Das könnte erklären, warum Studien in China und Südkorea einen größeren Effekt erkannt haben, wo das Maskentragen früher eingeführt wurde“, so Brauner.
Viele kritisieren, dass bei den Corona-Regeln die Einheitlichkeit fehlt und so die Bevölkerung die Maßnahmen nicht mehr nachvollziehen kann und den Glauben an diejenigen, die die Regelungen aufstellen, verlieren. Ganz besonders deutlich wird das beim Thema Beherbergungsverbot. Dieses gilt bislang für Gäste aus deutschen Regionen, in denen 50 oder mehr neue Corona-Fälle pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen registriert wurden. Eine Übernachtung in Hotels oder Gaststätten ist dann nur erlaubt, wenn man einen negativen Corona-Test vorlegen kann, der nicht älter als 48 Stunden ist.
Mit dem Gesetz sollten vermeidbare Reisen aus Risiko- und in Risikogebiete unterlassen werden. In zahlreichen Bundesländern ist das Beherbergungsverbot aber bereits gekippt worden*. Das Verwaltungsgericht in Baden-Württemberg hatte das Verbot zuerst außer Vollzug gesetzt. Das Gericht sah den Einschnitt in das Grundrecht auf Freizügigkeit als unverhältnismäßig an. Das Land habe auch nicht darlegen können, dass Hotels und Pensionen „Treiber“ des Infektionsgeschehens seien, sodass drastische Maßnahmen nötig seien. *echo24.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks