Die App erfasst mit Hilfe von Bluetooth-Signalen, welche Smartphones einander nahe gekommen sind. Bluetooth wurde allerdings nie für diese Aufgabe entwickelt. Daher müssen die Macher der App mit Werten kalkulieren, die oft nicht genau sind.
Die Kontakt-Ermittlung via Bluetooth ist aber nicht die einzige Funktion der App. Die Anwendung berechnet auch das Risiko, das sich aus der Gesamtzeit aller Risikobegegnungen* der vergangenen 14 Tage* ergibt. Wenn die App in einem roten Feld ein „erhöhtes Risiko“ anzeigt, erhalten die Betroffenen die Empfehlung, sich nach Hause zu begeben beziehungsweise zu Hause zu bleiben sowie mit ihrem Hausarzt, dem ärztlichen Bereitschaftsdienst oder dem Gesundheitsamt Kontakt aufzunehmen und dort das weitere Vorgehen abzustimmen.
Im Laufe der ersten 100 Tage hat diese Risikobewertung nicht immer zuverlässig funktioniert. So kam heraus, dass die App auf dem iPhone* zeitweise Aussetzer hatte. Dadurch wurden manche Nutzer nicht oder zu spät gewarnt. Nach mehreren Anläufen wurde dieser Fehler in Zusammenarbeit mit Apple* behoben.
Doch selbst wenn die App nun einwandfrei arbeitet, ist sie weit davon entfernt, die Bevölkerung flächendeckend zu warnen. Das hat vor allem mit den Nutzungszahlen zu tun. Die App wurde nach Angaben des RKI inzwischen 18,2 Millionen Mal heruntergeladen. Dabei wird nur eine Installation pro Apple-ID beziehungsweise Google-Konto gezählt, also nicht die Downloads der Aktualisierungen.
Da manche Anwender die App auch wieder deinstalliert oder die Bluetooth-Signale abgestellt haben, fällt die Zahl der aktiven Benutzer niedriger aus. Experten schätzen, dass 15 Millionen Menschen in Deutschland die Anwendung aktiv nutzen. Das entspricht auch der Größenordnung der täglichen Zugriffe auf den Telekom-Server, wo sich die App alle 24 Stunden die Liste aller Tagesschlüssel der Smartphones herunterlädt, die in Verbindung mit positiven Testergebnissen stehen.
Die Anwendung könne allerdings besser als gedacht funktionieren, wenn nämlich Gruppen mit einem überdurchschnittlichen Infektionsrisiko die Anwendung häufiger nutzen würden als der Durchschnitt. Auf diesen Zusammenhang unter anderem Karl Lauterbach, der Gesundheitsexperte der SPD-Bundestagsfraktion ein: „Die App wird unterschätzt“, sagte Lauterbach der dpa. „Für die erste Welle kam sie zu spät, für die zweite Welle zu früh.“ Die App könne noch einen großen Beitrag leisten, weil sie in der besonders betroffenen Altersgruppe stark genutzt werde.
Lauterbach plädiert aber dafür, die App um bestimmte Funktionen zu erweitern. Neben zusätzlichen Informationen für die Nutzer in der App wünscht sich der SPD-Politiker eine Echtzeit-Erkennung von gefährlichen Menschenansammlungen, die sich zu einem Superspreading-Event entwickeln könne. Außerdem hält er eine Art Kontakt-Tagebuch für sinnvoll, eine kleine Notizfunktion, um freiwillig für den Tag zu vermerken, mit wem man Kontakt hatte oder ob man an größeren Ereignissen teilgenommen hat.
Henning Tillmann, Softwareentwickler und Co-Vorsitzender des digitalpolitischen Thinktanks D64, sagte, es sei jetzt wichtig, den „Spirit des Frühjahrs“ wiederaufzunehmen. „Die App ist nicht am Ziel, sondern muss weiterentwickelt werden.“ Der wissenschaftliche Kenntnisstand der App liege noch im April. Es gebe aber inzwischen viele neue Erkenntnisse, zum Beispiel zu Aerosolen, Clustern und Superspreading. „Dieses Wissen muss in die App eingebaut werden. Es wird höchste Zeit für eine Corona-Warn-App 2.0, damit die App helfen kann, gut durch den anstehenden Corona-Winter zu kommen.“ (dpa/frs)
Walter Plassmann, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, kritisierte zuletzt die ängstliche Corona-Politik. *Merkur.de gehört zum Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerk.