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Corona-Talk bei Anne Will: Bedeutung der App wird „dramatisch unterschätzt“

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Klare Fronten in der Corona-Debatte bei Anne Will: Der eine glaubt, der andere müht sich, aber die Argumente gegen Lockerungen sind stärker .

„Sorge vor zweiter Infektionswelle – lockert Deutschland die Corona-Maßnahmen ‚zu forsch‘?" lautete das Thema bei Anne Will. Derzeit ist die Frage wie es weitergehen soll, ja ein Dauerbrenner in den Talkshows. Und diese knüpfte in manchem an die Sendungen vor Corona an: Es waren vier Politiker*innen zu Gast, und schon wieder gab es das unschönste Hickhack. Dass es allen vornehmlich um die Sache ging, ist anzunehmen. Doch Engagement beweist man nicht dadurch, dass man andere nicht ausreden lässt. 

Anne Will im Ersten (ARD): Corona-Maßnahmen in Deutschland zu früh gelockert?

Die Positionen waren dabei klar verteilt. Hier Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Er hat sein Profil als energischer Landesvater gefunden, der sich kümmert – auch dadurch, dass er einige Beschränkungen aufhebt und noch weitere aufheben will. Seine Argumente: Noch sei das Gesundheitssystem nicht in Bedrängnis. Die Kinder bräuchten den Kontakt zu ihresgleichen. Eine längere Beschränkung könnte zu „millionenfacher Arbeitslosigkeit“ führen. Die Diskussion über Lockerungen „muss stattfinden“. Muss aber auch eine weitergehende Lockerung sein? 

Nein, meint Karl Lauterbach. Der zurzeit medial gefragteste Sozialdemokrat ist auch der Politiker mit der schärfsten Ablehnung der Lockerungen. Ihm gefällt „die gesamte Debatte“ darüber nicht. Er hätte die Schulen geschlossen gehalten, sagte er bei Anne Will, die Einschränkungen noch zwei, die Wochen beibehalten. So wie es neulich an gleicher Stelle der Virologe Michael Meyer-Hermann gefordert hatte. Dann hätte man neue Infektionen nachvollziehen können: „Noch haben wir nichts gewonnen.“ 

Diskussion zu Corona-Lockerungen bei Anne Will (ARD)

Genau das gibt auch Christina Berndt zu bedenken. Die Wissenschaftsredakteurin der Süddeutschen Zeitung ist Biochemikerin und somit die einzige Expertin in der Runde. Sie teilt Angela Merkels Sicht, dass „zu forsch“ gelockert worden sei. Zwar sei Deutschland „Weltspitze in der Bekämpfung von Corona. Aber das dürfe man nicht leichtfertig verspielen. Die Reproduktionszahl etwa (inzwischen ist sie wieder gestiegen) bedeute: Es geht immer weiter mit den Infektionen. Sie mahnt, an die Verzögerung von zwei Wochen zu denken, mit der Ergebnisse über Veränderungen bekannt werden. 

Und sie erklärt dem ungeduldigen Armin Laschet, warum die Bedingungen und die Kriterien für den Stand der Krise (Verdoppelung der Fallzahlen, Reproduktionszahl, Reduzierung auf wenige nachvollziehbare Fälle) sich anscheinend immer geändert haben: Die Verdoppelung sei fehleranfälliger als die Reproduktionszahl: „Manche Daten haben ihre Zeit.“ 

Talkshow im Ersten (ARD): Anne Will und Gäste disktutieren über Lockerung der Corona-Maßnahmen 

Lauterbach legt nach: Deutschland habe „zu 80 Prozent Glück“ gehabt, dass wir nicht als erste in die Pandemie geraten seien. Das Vorgehen sei „total auf Kante genäht.“ Er warnt vor der „zweiten Welle“, die wäre verheerend. Und nennt Voraussetzungen für eine schrittweise Aufhebung der Beschränkungen. Erstens müsse jede(r) über gute Masken verfügen können. Dann müsse die Zahl der Tests auf zwei Millionen pro Woche erhöht werden, und schließlich brauche es die App, deren Bedeutung bislang „dramatisch unterschätzt“ worden sei.

Um die Voraussetzungen für eine Rückkehr zu mehr (früherer) Normalität geht es auch Annalena Baerbock. Die Vorsitzende der Grünen verlangt „klare Kriterien“, um der Verunsicherung in der Bevölkerung entgegenzuwirken. Im Fokus müssten dabei die Bereiche stehen, bei denen Entspannung dringend geboten sei. Bei den Schulen zum Beispiel habe man über die Osterferien versäumt, die Bedingungen für einen Schulbesuch zu schaffen. Laschet erklärte wortreich, wie seine Kultusministerin das – vergeblich – versucht habe, sah die Schuld aber bei den Schulträgern – mithin den Kommunen. 

Schulöffnungen in der Corona-Krise: Der Talk bei Anne Will (ARD) 

FDP-Chef Lindner fordert seit längerem schon Lockerungen. Er argumentierte auch jetzt wieder damit, dass finanzielle Not ebenfalls „Schaden an der Seele“ verursachen könnte. Als Zeugen für seine Meinung zog er eine einzelne Aussage eines Virologen heran, die von der Mehrzahl der Experten nicht geteilt wird. Er spricht offensichtlich aus der Position eines Mannes heraus, der später nicht zur Verantwortung gezogen werden muss: Er „schätze die Situation eben anders ein“.

Damit dürfte es nicht getan sein. Zumal Christina Berndt darauf hinwies, das auch die Tests nicht alle zuverlässig seien. Das könnte sich vor allem dann als problematisch erweisen, wenn die Deutsche Fußballliga (DFL) mit ihrem Konzept durchkommt, vom 9. Mai an wieder Bundesligaspiele zuzulassen. Dazu sind derart viele Vorkehrungen nötig, dass die Durchführbarkeit fraglich ist. Schwerwiegender aber ist der offensichtlich unterschiedliche Umgang mit den Profis. Sie sollen auch dann spielen dürfen, wenn einer infiziert ist. „Wir erlauben Fußballern, was andere nicht dürfen“, so Lauterbach. Das DFL-Konzept widerspreche allem, was an Voraussetzungen im Kampf gegen Corona nötig sei. 

Christina Berndt fügte hinzu: Man rede über Fußball aber andere Gruppen wie pflegebedürftige Kinder, Demente und andere Notfälle seien völlig aus dem Fokus geraten. Daran schloss Annalena Baerbock an: Angesichts der begrenzten Ressourcen müsse man umso genauer überlegen, wo und wie diese einzusetzen seien. 

Aber ob das ausgerechnet beim Milliardengeschäft Fußball notwendig ist?

Von Daland Segler

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