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Die Deutschen sind Couch-Potatoes und Kulturmuffel

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Berlin - Eine Stiftung hat gefragt, was die Deutschen mit ihrer Freizeit anfangen. Für einige traditionelle Hobbys sehen die Forscher fast schon schwarz. Die Arbeitsbelastung ist derweil größer als noch vor zehn Jahren.

Obwohl das Internet rasant aufgeholt hat, bleibt Fernsehen die liebste Freizeitbeschäftigung der Deutschen, das zeigt die Studie der Stiftung für Zukunftsfragen, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Trotz Internet-Zuwachs sieht der Medienwissenschaftler Joachim Trebbe vorerst keine Konkurrenz für das gute alte Fernsehen: Auch wer online Serien gucke, verhalte sich nicht anders als der klassische TV-Fan. „Man sitzt vor der Glotze und lässt sich eine Geschichte erzählen“, sagt der Berliner Forscher.

Vor fünf Jahren seien noch weniger als die Hälfte der Befragten regelmäßige Internet-Nutzer gewesen. Inzwischen seien es bei den jungen Leuten zwischen 14 und 24 Jahren sogar 99 Prozent. Mittlerweile sind hierzulande knapp drei Viertel der Menschen mindestens einmal pro Woche online, wie der Freizeit-Monitor 2015 zeigt.

Im Ranking der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen kommt das Internet auf Platz vier - und hat der Studie zufolge nun zum ersten Mal das Lesen von Zeitungen und Zeitschriften überholt (Platz fünf). An der Spitze gibt es dagegen keine Veränderung im Vergleich zu den Vorjahren: 97 Prozent der Befragten gaben an, regelmäßig vor dem Fernseher zu sitzen. Rund 14,5 Stunden schauen sie jede Woche in die Röhre. Auch Radiohören (90 Prozent) und Telefonate von zu Hause (89) sind noch beliebter als das Internet, das mit 73 Prozent folgt. Weiter hinten liegen Dinge wie: über wichtige Dinge reden, sich in Ruhe pflegen.

Zeit mit dem Partner ist laut Studienleiter Reinhardt die einzige Aktivität, bei der die Deutschen aus dem Wunsch eher Wirklichkeit machen. Abgesehen davon würden viele die freie Zeit nicht nach den eigentlichen Bedürfnissen gestalten.

Internet ersetzt oft echte soziale Kontakte

Studienleiter Ulrich Reinhardt beobachtet gesellschaftlichen Druck: „Früher hat man sich montagmorgens darüber unterhalten, was bei „Wetten, dass..?“ passiert ist, heute geht es eher um die neuesten geteilten Videos.“ Und das Netz kommt unseren Bedürfnissen entgegen: „Der Mensch ist bequem und lässt sich gern unterhalten. Beides geht mit digitalen Medien extrem einfach“, sagt die Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst. „Ob die Befragten im Internet daddeln oder aber Wikipedia lesen - dazu gab die Studie keine Auskunft.

Studienleiter Ulrich Reinhardt beobachtet bei den Befragten eine große Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, wie er sagt. Vom Internet und der Informationsflut seien viele Nutzer auch genervt oder überfordert. „Natürlich würde auch die jüngere Generation sich lieber treffen statt zu skypen oder zu simsen, aber letztlich rafft man sich abends nicht mehr auf und wendet sich lieber den Medien zu.“ Echte Treffen erfordern mehr Aufwand, ergänzt Scharnhorst.“ Zudem drohe im Vergleich zur Online-Kommunikation eher Zoff: „Auf der persönlichen Ebene ist man verletzbarer.“ Was man tun kann, wenn der innere Schweinehund stärker ist? Die Psychologin rät: Stammtische vereinbaren, sich selbst Termine setzen und sich bewusst zu einer Veränderung entschließen.

Der Berliner Medienwissenschaftler Joachim Trebbe warnt in dem Zusammenhang davor, die Reichweite des Internets zu überschätzen: „Etwa 20 Prozent der Deutschen sind online nicht vertreten, ob gewollt oder nicht. Das finde ich viel.“ Er beruft sich auf größere Studien. Vor allem ab einem gewissen Alter sei das Internet kein Thema.

Mehr Gartenarbeit, weniger Kaffeetrinken

Gartenarbeit ist wieder populärer: Womöglich haben der Bio-Trend und Nachbarschaftsgärten dafür gesorgt, dass sich wieder mehr Menschen als noch 2010 über selbst angebaute Tomaten, Sonnenblumen und Co. freuen. Bei den Gewinner-Hobbys ist Gartenarbeit die einzige körperliche Betätigung - lässt man die Körperpflege außen vor, die ebenso ein paar Prozentpunkte zugelegt hat.

Kaffeetrinken ist anscheinend für einige Deutsche ein Hobby von gestern. Kaffee und Kuchen sind der größte Verlierer der Studie. Allerdings ging der Rückgang von einem hohen Niveau aus, so dass noch knapp mehr als die Hälfte der Befragten mindestens einmal die Woche in Richtung Kuchentheke ausrückt.

Kultur nur unter "ferner liefen..."

Klassische kulturelle Aktivitäten spielen fast gar keine Rolle mehr, meint Reinhardt. 54 Prozent der Deutschen gehen nie ins Theater, in die Oper oder zu einem Klassikkonzert. Aber Kultur schwindet nicht ganz aus dem Alltag: Musikhören, das gesondert erfasst wurde, kommt auf vergleichsweise große Zuwächse. Schließlich lassen sich Lieder via Internet jederzeit abspielen.

Faulenzen und Nichtstun rücke in den Hintergrund und werde zeitlich kürzer ausgeübt. Vorab veröffentlichte Ergebnisse aus der Studie hatten gezeigt, dass viele Deutsche abends eine Stunde oder mehr brauchen, um überhaupt abzuschalten - womöglich auch, weil sie ständig erreichbar sind. „Besorgniserregend“ ist für Reinhardt auch, dass kulturelle Veranstaltungen und das Ehrenamt für die Befragten zuletzt nur noch eine untergeordnete Rolle spielten.

Der Freizeit-Monitor gibt seit 1986 jährlich Auskunft zum Freizeitverhalten der Deutschen. Für die aktuelle Untersuchung wurden im Juli dieses Jahres etwa 2000 Menschen ab 14 Jahren persönlich befragt.

Schwesig lobt ehrenamtliches Engagement

Rund 40 Prozent der Deutschen über zehn Jahren Zeit, sich ehrenamtlich zu engagieren. Dabei sind Männer eher im Sport engagiert, Frauen helfen dafür öfter in Schulen und Kindergärten oder engagieren sich im sozialen Bereich. Das ergab die Studie "Wie die Zeit vergeht - Ergebnisse zur Zeitverwendung in Deutschland" des Statistischen Bundesamts, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Dafür wurden von August 2012 bis Juli 2013 etwa 5000 Haushalte mit rund 11.000 Menschen befragt.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) lobte die hohe Hilfsbereitschaft der Deutschen für die wachsende Zahl an Flüchtlingen: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die große Herausforderung ohne freiwilliges Engagement, nicht stemmen können."

Frauen haben weniger Freizeit als Männer

Insgesamt arbeiteten volljährige Deutsche im Untersuchungszeitraum 2012/2013 im Schnitt gut 45 Stunden pro Woche. Hiervon entfielen rund 20,5 Stunden auf Erwerbstätigkeit, fast zwei Stunden mehr als im Vergleichszeitraum 2001/2002. Frauen arbeiten heute mit rund 16 Stunden pro Woche fast drei Stunden mehr im Job als noch vor elf Jahren.

Weil die unbezahlten Tätigkeiten von Frauen, etwa Betreuung von Angehörigen und Haushaltsführung, nicht in gleichem Maße gesunken sind, arbeiten sie insgesamt mehr als Männer. Der Unterschied beträgt durchschnittlich eine volle Stunde pro Woche, wie der Präsident des Statistischen Bundesamts, Roderich Egeler, bei der Vorstellung der Studie sagte. Zugleich haben Männer rund eine halbe Stunde mehr Freizeit am Tag.

So viel Mehrarbeit machen Kinder

"Wenn Kinder im Haushalt leben, erhöht sich die Arbeit ganz erheblich", erläuterte Egeler. Demnach haben Männer und Frauen mit Kindern rund zehn Stunden mehr Arbeit pro Woche als Kinderlose. Während sich bei Frauen der Anteil der unbezahlten Arbeit auf rund 40 Stunden pro Woche fast verdoppelt, steigt bei Männern vor allem die Belastung durch die Erwerbstätigkeit um rund sieben Wochenstunden.

"Eltern sind heute stärker gefordert als noch vor einem Jahrzehnt", sagte Schwesig. Sie betonte vor allem zwei Ergebnisse der Untersuchung: Zum einen sinkt demnach der Anteil der Erwerbsarbeit bei Frauen mit Kindern deutlich im Vergleich zu Kinderlosen. Das führt bei Frauen zu niedrigeren Einkommen und Renten. Zum anderen gab rund ein Drittel der männlichen Befragten an, dass sie sich weniger Erwerbsarbeit und mehr Zeit für ihre Kinder wünschten. Schwesig plädierte deshalb für familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle.

dpa/Afp

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