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Heftige Kritik an H&M: „Elternsein unerwünscht!“

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H&M will den Schicht-Dienst in Deutschland weitgehend abschaffen. Was zuerst ganz dufte klingt, könnte allerdings besonders für junge Mütter zum Albtraum werden.

Hamburg - Es mutet wie eine Revolution an: Wie „Business Insider“ berichtet, will der schwedische Modekonzern H&M die Schicht-Dienste abschaffen. Mitte April hat der Moderiese seiner deutschen Belegschaft die schwerwiegende Neuerung in einer Mitteilung angekündigt, diese allerdings mit Formulierungen wie „Schritt in die Zukunft“, „langfristig mitwachsen“ und „Dankbarkeit“ in einen rosaroten Schleier gehüllt.

UnternehmenH&M
HauptsitzStockholm, Schweden
Gründung4. Oktober 1947, Västerås, Schweden
CEOHelena Helmersson (30. Jan. 2020–)

Bei der Ankündigung handelt es sich nämlich um den zweiten Schritt eines betriebsinternen Sparprogramms des Konzerns. Im ersten Schritt wollte H&M 800 Stellen streichen und vor allem junge Mütter, Langzeitkranke und Schwerbehinderte loswerden. Das fand offiziell im Rahmen eines „Freiwilligenprogramms“ statt. Doch so ganz freiwillig lief das Ganze wohl nicht ab: Wie „Business Insider“ berichtete, übte der Konzern auf die besagten Beschäftigten massiven Druck aus. 

Sparprogamm bei H&M: Moderiese verpasst den Anschluss

Aber warum überhaupt Sparprogramm, Stellenabbau und Abschaffung der Schicht-Dienste? Weil H&M den Anschluss verpasst hat. Der Boom des Onlinehandels und die darauffolgende Änderung des Kaufverhaltens haben H&M unter Druck gesetzt. Die Zahl der Besucher in den deutschen H&M-Stores brach in den vergangenen Jahren massiv ein. Die Geschäftsführung will dem nun entgegenwirken, indem Schicht-Dienste abgeschafft werden sollen – also Teil zwei des Sparprogramms.

Streik der Gewerkschaft Verdi vor einer Filiale der Modekette H&M in der Kaufingerstraße in München
Streik der Gewerkschaft Verdi vor einer Filiale der Modekette H&M in der Kaufingerstraße in München. Dieses Geschäft wurde geschlossen und alle Mitarbeiter entlassen, ohne auf andere Filialen verteilt zu werden. © Ralph Peters via www.imago-images.de

„Wir sind davon überzeugt, dass wir mit dauerhaft festen Schichten nicht mehr den sich verändernden Kundenwünschen entsprechen können“, schreibt die Geschäftsführung an die Mitarbeiter. „Mit dem veränderten Modell können wir die verfügbaren Stunden noch besser in kundenrelevanten Zeiträumen einsetzen. Dies bringt natürlich Veränderungen in den Arbeitszeiten für einige Kolleg*innen mit sich“. Doch ein Vorteil für die Angestellten wird sich daraus wohl kaum ergeben. Denn im Klartext bedeutet dies, dass H&M seine Mitarbeiter insbesondere zu den Stoßzeiten am späten Nachmittag und am Wochenende flexibel einsetzen kann. „Ein Vertrag regelt den Umfang der Arbeitszeit, aber nicht deren Einsatz“, heißt es intern.

H&M will Schicht-Dienste abschaffen: Leidtragende sind junge Mütter

Wie aus internen Unterlagen hervorgeht, die „Business Insider“ vorliegen, scheinen auch beim zweites Teil des Sparprogramms wieder junge Mütter die Leidtragenden zu sein. So heißt es in einem Abschnitt der Unterlagen, in denen es darum geht, wie die festen in flexible Arbeitsschichten umgewandelt werden sollen: „Vorbeugung einer festen Vertragsstruktur, z. B. bei der Rückkehr aus Elternzeit durch festgelegte Teilzeit-Arbeitszeitmodelle“, und weiter: „Entzerrung Vertragsstruktur durch Versetzung Teilzeit-Mitarbeiters“.

Konkret: Wenn Mitarbeiter aus der Elternzeit zurückkehren, sollen sie nicht wieder in das planbare Schichtsystem zurückkehren, sondern gleich die Schichten am Wochenende und am späten Nachmittag übernehmen. Im Zweifel soll dies durch eine Versetzung des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin möglich werden. Im Fall von H&M handelt es sich bei den Betroffenen zu einem überwiegenden Teil um junge Mütter, die aus der Elternzeit zurückkehren.

H&M: Verdi übt scharfe Kritik an Änderung der Arbeitszeiten

Diese Pläne wirbeln die Gewerkschaft Verdi auf. „Nachdem H&M nun vor allem junge Mütter, Langzeitkranke und Schwerbehinderte aus dem Unternehmen rausgedrängt hat, will der Konzern nun die Arbeitszeiten für die verbleibenden Beschäftigten so grundlegend umwerfen, dass sie kaum noch mit einem normalen Familienleben vereinbar sind“, sagt Orhan Akman, Bundesfachgruppenleiter für den Einzel- und Versandhandel bei Verdi.

„Das ist ein weiterer Nachweis einer unverfroren familienfeindlichen Politik gegenüber den eigenen Beschäftigten bei H&M. Das Motto der Unternehmensleitung scheint zu sein: Elternsein unerwünscht!“, sagt der Gruppenleiter weiter. Der Moderiese wolle die Arbeitszeit dem Kundenaufkommen völlig unterwerfen. Das sei vor allem zum Wochenende hin stark und Richtung Feierabend und Ladenschluss. Also genau in den Zeiten, in denen sich junge Eltern um ihre Kinder kümmern, ergänzt Akman.

Das ist ein weiterer Nachweis einer unverfroren familienfeindlichen Politik gegenüber den eigenen Beschäftigten bei H&M

Orhan Akman, Bundesfachgruppenleiter für den Einzel- und Versandhandel bei Verdi

Die Lage, in der sich H&M befinde, sei das Ergebnis des Missmanagements der Konzernführung, sagt Orhan Akman. Die Manager hätten jahrelang auf Laden- und Flächenexpansion, verlängerte Öffnungszeiten und Preisschlachten gesetzt, statt eine Verzahnung mit dem Onlinehandel zeitig in Angriff zu nehmen.

H&M will Schicht-Dienste abschaffen: „Selber so unflexibel wie eine eingerostete Schraube“

„Den Vorständen des drittgrößten Modeunternehmens der Welt fällt darauf aber keine andere Antwort ein, als dieser simple Schachzug aus dem Managerhandbuch für Anfänger: Kosten sparen, auf dem Rücken der Beschäftigten, allen voran bei Frauen. Das Management fordert Flexibilität von der Belegschaft, ist aber selber so unflexibel wie eine eingerostete Schraube“, urteilt Akman.

„Business Insider“ hat H&M mit den Vorwürfen konfrontiert. H&M bestätigt, dass sich das Unternehmen in einer „Transformationsphase“ befinde und auf veränderte Wünsche seiner Kunden reagieren müsse. „Darauf müssen und wollen wir reagieren“, heißt es in der Antwort des Konzerns. Die „Arbeitszeiten werden sich ändern“, heißt es weiter. „Die Planung der Arbeitszeiten erfolgt aktuell in den meisten Geschäften in einem festen Wechsel aus Früh- und Spätschichten. Dies spiegelt jedoch nicht die aktuellen Anforderungen unserer Kund*innen wider und sorgt zudem für eine unausgewogene Verteilung von Arbeit. Es liegt nun in unserer Verantwortung, auf diese Umstände zu reagieren.“

Junge Mütter können Job bei H&M und Familienleben nur schwer vereinbaren

Der Konzern bestätigt, dass die Peakzeiten am Wochenenden und in der Zeit zwischen 15 Uhr und 18 Uhr unter der Woche liegen. Gleichzeitig räumt H&M ein, dass die Flexibilisierung der Arbeitszeiten der Mitarbeiter, also der Verzicht auf die vor allem für Mütter wichtige Planbarkeit von Arbeitszeit, sich am Kunden orientiert. „Ja, das trifft zu“, heißt es auf Anfrage von „Business Insider“. „Wir sind davon überzeugt, mit dauerhaft festen Schichten nicht mehr den sich verändernden Kundenwünschen zu entsprechen.“

In dem neuen Arbeitsmodell seien außerdem befristet auch „Arbeitszeitfixierungen“ möglich, etwa „für die Betreuung von Kindern“, heißt es in der Antwort. Doch ob dies ausreicht, damit junge Mütter ihren Job bei H&M und ihr Familienleben vereinbaren können, sei dahingestellt.

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