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Neues zum Wilke-Skandal: Gewerbsmäßiger Betrug? Ermittlungen auf weitere Mitarbeiter ausgeweitet

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Der Wurst-Rückruf der Firma Wilke zieht immer größere Kreise. Nun wurde der Bericht offengelegt.
Der Wurst-Rückruf der Firma Wilke zieht immer größere Kreise. Nun wurde der Bericht offengelegt. © Uwe Zucchi/dpa

Im Fleischskandal um das Unternehmen Wilke sieht das hessische Verbraucherschutzministerium erhebliche Versäumnisse im Landkreis Waldeck-Frankenberg.

Bei der nordhessischen Firma Wilke Wurstwaren wurden gefährliche Listerien entdeckt - sie wurde geschlossen.Laut dem Robert-Koch-Institut steht die Verunreinigung im Zusammenhang mit drei Todesfällen - Dutzende weitere Krankheitsfälle seit 2014 sind bekannt.Es gibt viel Kritik am spärlichen Informationsfluss und den Kontrollen.Das Verwaltungsgericht Kassel hat einen Eilantrag der Firma Wilke gegen die Betriebsschließung abgeschmettert und nannte ekelerregende Details.Wilke-Produkte sollen auch in Fertiggerichten anderer Hersteller verwendet worden sein. 

Update, 21.01.2020, 14.45 Uhr: Im Wilke-Fleischskandal ermittelt die Staatsanwaltschaft Kassel gegen zwei weitere Personen. Neben dem Geschäftsführer des nordhessischen Wurstproduzenten Wilke seien nun auch die stellvertretende Geschäftsführerin und der Produktionsleiter Beschuldigte, sagte eine Justizsprecherin am Dienstag: "Neben dem Verdacht der fahrlässigen Tötung, der fahrlässigen Körperverletzung und des Verstoßes gegen das Lebensmittel- und Futtergesetzbuch besteht nunmehr auch der Verdacht des gewerbsmäßigen Betruges gegen die Beschuldigten." Zuvor hatte der private Rundfunksender Hit Radio FFH über das Thema berichtet.

Wilke: Zeugenaussagen erhärten Verdacht gegen stellvertretende Geschäftsführerin und Produktionsleiter

Laut Staatsanwaltschaft besteht der Verdacht, dass über mehrere Jahre gesperrte und nicht mehr verkaufsfähige Waren in den Handel gekommen seien. Nach den bisherigen Ermittlungen soll es ab dem Jahr 2012 zu erheblichen Überproduktionen in dem Berndorfer Unternehmen gekommen sein. Diese Produkte, für die es keine Nachfrage auf dem Markt gab, hätten nicht mehr angemessen gekühlt und gelagert werden können. 

Daher soll es vermehrt zum Verderb von Waren gekommen sein, welche nicht mehr verkehrsfähig waren und durch die verantwortlichen Mitarbeiter mit einem Sperrvermerk „Konfiskat“ versehen worden sein sollen. „Jedoch besteht der Verdacht, dass die Ware – trotz Sperrvermerks – durch den beschuldigten Geschäftsführer für den Verkauf freigegeben worden ist“, so die Sprecherin der Justizbehörde.

Staatswanwaltschaft: Gesperrte und nicht verkaufsfähige Ware landete über Jahre im Handel

Es besteht laut Staatsanwaltschaft daher der Verdacht, dass über mehrere Jahre gesperrte und nicht mehr verkaufsfähige Ware in den Handel gekommen ist. Aufgrund von Zeugenaussagen sei nach derzeitigem Ermittlungsstand davon auszugehen, dass die stellvertretende Geschäftsführerin sowie der Produktionsleiter hiervon ebenfalls Kenntnis hatten. Die Ermittlungen dauern derzeit weiter an.

In der Wurst der Firma Wilke waren im vergangenen Jahr Listerien nachgewiesen worden. Laut Robert-Koch-Institut steht diese Verunreinigung im Zusammenhang mit drei Todesfällen.

Update, 21.01.2020, 12.13 Uhr: Im Skandal um die Wurstfirma Wilke aus Twistetal-Berndorf ist die Zahl der Beschuldigten auf drei gewachsen: Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt nun auch gegen die stellvertretende Geschäftsführerin und den Produktionsleiter der Firma, berichtete am Dienstag der Radiosender FFH.

Unter anderem bestehe der Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung. Damit sind jetzt drei Verantwortliche im Visier der Staatsanwaltschaft. Die Behörde ermittelt bereits seit Anfang Oktober wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen den Geschäftsführer.

In der Wurst des Wurstherstellers waren im vergangenen Jahr Listerien nachgewiesen worden. Laut dem Robert-Koch-Institut steht diese Verunreinigung im Zusammenhang mit drei Todesfällen - 37 weitere Erkrankte sind bisher bekannt - der erste aus dem Jahr 2014.

Update von Samstag, 14.12.2019, 12.55 Uhr: Der Wurstwaren-Hersteller Wilke wurde trotz hoher Risikoklasse zu selten kontrolliert - nur neun statt der vorgeschriebenen 22 Kontrollen wurden durchgeführt. Zudem steht die Frage im Raum, ob die Kontzrollen tatsächlich unangekündigt waren, denn ehemalige Mitarbeiter berichten, dass verdorbene Waren vor den jeweiligen Kontrolltagen weggeschafft wurden. Wurden die Kontrolleure also bei ihren Besuchen getäuscht?

Update von Montag, 18.11.2019 um 15.41 Uhr: Der Landkreis Waldeck-Frankenberg hat sich gegen die Kritik aus Wiesbaden im Fall Wilke gewehrt. „Wir wissen, dass es auf allen drei Ebenen Fehler gegeben hat“, sagte Landrat Dr. Reinhard Kubat in einer Stellungnahme. Damit bezog er sich auf die Ebenen Landkreis, Regierungspräsidium und Land.

 „Der Fokus sollte nicht auf gegenseitigen Schuldzuweisungen, sondern auf den richtigen Schritten für die Zukunft liegen.“ Alle Behörden müssten gemeinsam an einem Strang ziehen, damit sich ein solcher Fall möglichst nicht wiederhole.

Schuldzuweisungen würden an dieser Stelle nicht weiterhelfen, betonte Landrat Dr. Reinhard Kubat in einer Stellungnahme. Damit reagierte er auf die deutliche Kritik an der Kreisverwaltung aus Wiesbaden – und wies seinerseits auf Fehler hin, die es im Ministerium gegeben habe.

Der Landkreis habe „auf jede öffentliche Kritik daran verzichtet, dass eine zentrale Mail im Ministerium über eine Woche liegen geblieben“ sei, auch habe man „nicht hervorgehoben“, dass eine Wilke-Schließung vom Kreis schon am 20. September vorgeschlagen worden, von den anderen Beteiligten aber abgelehnt worden sei. „Zu jeder Zeit“ hätten die Mitarbeiter der Kreisverwaltung „in enger Abstimmung“ mit Regierungspräsidium und Ministerium gehandelt, so Kubat. Doch das Unternehmen habe sich „trotz Kontrollen, Geldbußen und Auflagen über Vorschriften hinweggesetzt und Behörden bewusst getäuscht“.

Der Landkreis sei bereit, „zum Schutz der Verbraucher“ die Lebensmittelüberwachung gemeinsam mit den anderen Behörden weiter zu verbessern. Gemeinsam mit allen Beteiligten sei ein Plan erarbeitet worden, der die Lebensmittelüberwachung in Hessen verbessere.

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Update von Montag, 18.11.2019 um 14.50 Uhr: Zwölf Mal hätte Wilke pro Jahr kontrolliert werden müssen, das sehe die Einstufung in Risikostufe 4 vor, so Hinz. „Aufgrund eines Fehlers des Landkreises ist die Firma Wilke auf ein dreimonatiges Kontrollintervall herabgesetzt worden.“ 

Auch die Kontrollen selbst seien laut Ministerium unzureichend gewesen. Beim Berndorfer Wursthersteller sei eine „regelmäßige Überprüfung aller Betriebsräume notwendig“ gewesen. 

Doch die Kontrollberichte aus 2018 würden zeigen, dass „jeweils nur in verschiedenen Bereichen“, beispielsweise Lager, Produktion oder Entsorgung kontrolliert worden sei. Und: „Schwerwiegende Mängel werden in diesen Berichten nicht erwähnt.“

Lebensmittelüberwachung muss besser funktionieren 

Betriebe, die Lebensmittel herstellen, sind verpflichtet, eigene Kontrollsysteme zu erarbeiten. Diese müssen von der Lebensmittelüberwachung kontrolliert werden. 

Auch da hat das Umweltministerium Mängel auf Seiten des Kreises ausgemacht: „Zwischen den Jahren 2015 und 2018 fand in der Firma Wilke nachweisbar keine Kontrolle der Eigenkontrollen statt“, so die Ministerin.

Hessens Umweltministerin Priska Hinz hat den Abschlussbericht im Fall Wilke Wurstwaren vorgelegt.
Hessens Umweltministerin Priska Hinz hat den Abschlussbericht im Fall Wilke Wurstwaren vorgelegt. © Agentur

Dass der Kreis mehrere Bußgelder gegen Wilke verhängt hatte, war bereits bekannt. Verstöße seien dadurch aber nicht vermieden worden. 

Es wurden keine Zwangsgelder angedroht 

Besser wäre es gewesen, Verwaltungsverfügungen zu erlassen. Mit ihnen könne ein Zwangsgeld angedroht werden. Dies sei im Fall Wilke-Wurst nur am 20. September 2019 passiert.

Es sei zudem „sicherzustellen“, dass angeordnete Maßnahmen „konsequent“ nachverfolgt würden. Bei einer Kontrolle bei Wilke im Jahr 2014, durchgeführt vom Regierungspräsidium Kassel, seien Mängel festgestellt worden. 

Diese hätten „in der Folge vom Landkreis nachverfolgt werden müssen“. Konzepte zur dauerhaften Lösung von Problemen habe Wilke nicht vorgelegt, der Landkreis aber auch nicht eingefordert. Auch die Infos ans RP seien „unzureichend“ gewesen. „Zulassungsrelevante Mängel“ hätten mitgeteilt werden müssen. „Dies ist im Fall Wilke versäumt worden.“ 

Nach Wilke-Skandal: Betrieb in Twistetal wird stillgelegt - Drei Tonnen Kühlmittel werden abgefackelt

Update am 13.11.2019 um 9.35 Uhr: Die Stilllegung des im Fleischskandal verwickelten Unternehmens Wilke in Berndorf geht voran. In der kommenden Woche wollen Behörden drei Tonnen Kühlmittel auf dem Gelände der geschlossenen Firma abfackeln. „Im Auftrag des Regierungspräsidiums Kassel wird es durch eine Spezialfirma verbrannt“, sagte ein Behördensprecher. Ein anderer Entsorgungsweg sei nicht möglich.

Laut der Behörde wird ein mobiler Brenner auf dem Gelände aufgestellt, um das Ammoniak abzufackeln. Es zerfalle dann in Stickstoff und Wasserdampf ohne schädliche Umwelteinwirkungen. Bezahlt werde die Entsorgung in Vorleistung durch das Land Hessen, damit die Firma schnell und sicher außer Betrieb genommen werde. Eine Summe nannte der Sprecher nicht.

Wie berichtet, waren mehrfach Listerien in Wilke-Produkten gefunden worden. Laut Robert-Koch-Institut steht diese Verunreinigung im Zusammenhang mit drei Todesfällen, 37 weitere Erkrankte sind bisher bekannt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Geschäftsführer wegen fahrlässiger Tötung. Der Wilke-Insolvenzverwalter hatte Mitte Oktober erklärt, dass Unternehmen mit 200 Mitarbeitern könne möglicherweise verkauft werden. Es gebe einen potenziellen Interessenten, davon ist seitdem nichts mehr zu hören gewesen.

Update am 06.11.2019 um 16.15 Uhr - Im Fall von keimverseuchter Wurst der Berndorfer Firma Wilke Wurstwaren prüft die Staatsanwaltschaft Kassel nun die Todes- und Krankheitsfälle.

„Ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Infektion und dem Ableben besteht und welche Krankheitssymptome die Infizierten durch die Listeriose erlitten haben, wird nunmehr ermittelt“, teilte Justizsprecher Andreas Thöne auf Anfrage unserer Zeitung mit. Dabei sollen die Fälle auf strafrechtliche Relevanz geprüft werden.

Die Firma Wilke war Anfang Oktober geschlossen worden

Zuvor waren wiederholt Listerien in Produkten nachgewiesen worden. Die Keime können bei geschwächtem Immunsystem lebensgefährlich sein. Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt wegen fahrlässiger Tötung gegen Wilke-Geschäftsführer Klaus Rohloff.

Todesfälle werden untersucht

Laut Andreas Thöne wurde von der Rechtsabteilung des Robert-Koch-Instituts in Berlin eine anonymisierte Liste mit den bislang bekannt gewordenen Erkrankungsfällen übermittelt. Darauf verzeichnet seien Krankheitsfälle mit dem Keimstamm „Sigma 1“, die in den direkten Zusammenhang mit Produkten der Firma Wilke gebracht würden. Von den 37 Infizierten mit einem Durchschnittsalter von 74 Jahren seien mittlerweile 25 verstorben.

Das RKI habe aber nur bei den drei bereits bekannten Sterbefällen einen Zusammenhang zwischen „Sigma 1“ und dem Tod bejaht. Dem gehen die Ermittler nun gezielt nach.

„Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Listerien-Infektion für den Tod der übrigen 22 Personen ursächlich war, liegen gegenwärtig nicht vor“, sagte Thöne gestern auf Anfrage unserer Zeitung. Der Justizsprecher wies damit auf irreführende Berichte über mögliche weitere Todesfälle durch Wilke-Produkte hin, die am Mittwoch unter anderem auf dem Online-Portal der Bild-Zeitung erschienen waren.

22 weitere Todesfälle werden auf einen Ursachenzusammenhang hin überprüft

Thöne weiter: „Die 22 Todesfälle werden trotzdem auf eine bestehende Krankheitssystematik und einen Ursachenzusammenhang hin überprüft, wenngleich die Verstorbenen teilweise bereits ein sehr hohes Lebensalter und/oder massive Grunderkrankungen aufwiesen und der Zeitraum zwischen Infektion und Ableben teilweise mehrere Monate oder Jahre betragen hat.“

Update am 05.11.2019 um 8.48 Uhr - Mit vermeintlichen Bio-Waren und einer vielversprechenden Eigenmarke hat die Firma Wilke Wurstwaren in Twistetal versucht, Qualitätsprodukte zu vermarkten. Doch in der Wurst war nicht immer das, was drauf stand. Woher stammte die Wilke-Wurst?*

Update vom Freitag, 1.11.2019, 15.50 Uhr: Hessische Behörden haben im Zusammenhang mit den Skandal um den Wurst-Hersteller Wilke 1,6 Tonnen Grillfackeln und Fleischspieße sichergestellt. Die Ware müsse vernichtet werden, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie von Wilke stammt, teilte das Verbraucherschutzministerium in Wiesbaden der Deutschen Presse-Agentur mit.

Update am 04.11.2019 um 8.50 Uhr -  Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren warb mit irreführenden Versprechen bei Bio-Produkten. Öko gilt längst als Erfolgsmodell beim Verkauf von Lebensmitteln und anderen Produkten. Auf den Zug der Nachhaltigkeit wollte auch der Geschäftsführer der Firma Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren, Klaus Rohloff, aufspringen. Doch das Unternehmen verkaufte regionale Bio-Wurst, die unseren Recherchen zufolge weder so regional noch so biologisch wie angepriesen war. Doch woher kam die Wurst wirklich?

Update am 31.10.2109 um 16.11 Uhr - Verbraucherschutzministerin Priska Hinz zieht Konsequenzen aus dem Lebensmittelskandal um Wurst-Wilke. Die bisherige Aufklärung habe „Schwachstellen der Lebensmittelüberwachung in Hessen aufgezeigt“, sagte sie am Donnerstag. Gemeinsam mit dem Landkreis Waldeck-Frankenberg und dem Regierungspräsidium Kassel seien nun entsprechende Maßnahmen erarbeitet worden.

Bisher sei dem Ministerium „nur in sehr eng umgrenzten Ausnahmefällen möglich, Kontrollen anzuordnen“, so Hinz. Künftig solle es ein „uneingeschränktes Weisungsrecht“ geben, das es ermögliche, „auf die Behörden einzuwirken und ein Tätigwerden zu fordern“. Zudem solle die Lebensmittelüberwachung personell aufgestockt werden. 

Probleme bei Wilke dem Ministerium seit August bekannt - E-Mail wurde falsch eingschätzt

Eine weitere Konsequenz bezieht sich darauf, dass ein Hinweis ans Ministerium im August acht Tage lang liegen geblieben war, bevor reagiert wurde. Stets hatte Hinz in den vergangenen Wochen von einem personellen Engpass als Grund dafür gesprochen, dass eine Nachricht des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nicht bearbeitet wurde. 

In der letzten Sitzung des Umweltausschusses am 16. Oktober sagte sie jedoch, dass die „Relevanz“ der E-Mail „die nicht mit ,eilt’ oder ,dringlich’ versehen war, seitens der Fachabteilung nicht sofort erkannt wurde“. Deshalb soll im Ministerium jetzt „das System zur Bearbeitung von Vorgängen“ umstrukturiert werden, kündigte sie an.

Betriebe mit hoher Risikoeinstufung sollen künftig einmal im Jahr kontrolliert werden

Betriebe mit hoher Risikoeinstufung werden nun mindestens einmal pro Jahr unangekündigt kontrolliert und zwar durch die Landkreise, die Task-Force Lebensmittelsicherheit und die Regierungspräsidien. Die Task-Force soll zudem ausgebaut werden und mehr Aufgaben bekommen. Die Eigenkontrollkonzepte, zu denen Lebensmittelhersteller verpflichtet sind, sollen, so eine Maßnahme, stärker kontrolliert werden. Prüfkriterien sollen klar definiert werden.

Landrat Dr. Reinhard Kubat betonte, dass die Lebensmittelkontrollbehörden gemeinsam in der Pflicht seien. „Auch der Landkreis wird seinen Beitrag dazu leisten.“ Betriebe, die sich in einer „erhöhten Risikoklasse“ befinden, sollen in der Zukunft „noch engmaschiger“ überprüft werden, kündigte Kubat an.

Update am 30.10 2019 um 17.13 Uhr - In Salami-Aufschnitt des Wurstherstellers Wilke aus dem Twistetaler Ortsteil Berndorf (Kreis Waldeck-Frankenberg) wurden schon im September des Jahres 2013 Salmonellen festgestellt. 

Das geht aus dem Bericht der Task-Force Lebensmittelsicherheit hervor, der durch die Verbraucherorganisation Foodwatch im Zuge des Listerien-Skandals bei Wilke an die Öffentlichkeit gekommen ist. Die Entnahme der Probe, in der Salmonellen gefunden worden seien, habe im September 2013 in Bayern stattgefunden – und zwar nach einem Erkrankungsfall (Lebensmittelvergiftung). 

Salmobellen in Wilke-Wurst: Betroffen war damals bereits eine Tonne Ware

Dem Bericht der Task-Force zufolge wies das Produkt das Mindesthaltbarkeitsdatum 28. Oktober 2013 auf. Betroffen sei damals rund eine Tonne Ware gewesen. Weil das Produkt damals bereits beim Endverbraucher angekommen sei, habe es eine öffentliche Warnung gegeben. Sechs Bundesländer waren laut Bericht vom Rückruf betroffen gewesen. 

Darüber hinaus geht die beim Regierungspräsidium Darmstadt angesiedelte Task-Force Lebensmittelsicherheit bei den zwischen Mai 2018 und Mai 2019 gefundenen Listerien in Produkten der Firma Wilke ins Detail. 

Genannt werden sieben Produkte sowie die konkreten Daten zu den jeweiligen Untersuchungstagen. Auch die Listerien-Funde in Wilke-Produkten in Hamburg und Balingen im März und April 2019 sowie die weiteren Kontrollen, Untersuchungen und Maßnahmen in dem Berndorfer Unternehmen werden in dem Bericht chronologisch aufgeführt.

Update vom 28.10.2019 um 22.15 - Das Dokument beschreibt, wie schwerwiegend die Hygieneverstöße dort gewesen waren. In dem Bericht gibt die Task-Force Lebensmittelsicherheit in Bild und Text ihre Eindrücke aus dem Betrieb am 2. Oktober 2019 wieder, als diesem gerade die Produktion behördlich verboten worden war: Heftig kritisiert wird hier unter anderem Klaus Rohloff. 

Dem Wilke-Geschäftsführer sei in einer Vorbesprechung seitens der Behörden zunächst der Zusammenhang zwischen den aufgetretenen Todes- und Erkrankungsfällen durch den Listerioseausbruch Sigma 1 und den Wurstwaren seiner Firma verdeutlicht worden. Auch habe man darauf hingewiesen, dass durch die aktuellen amtlichen Umgebungsproben an den produktführenden Anlagen das weitere Vorkommen von Listerien im Betrieb nachgewiesen worden sei.

Task-Force-Bericht zum Wilke-Skandal: Geschäftsführer zeigte sich uneinsichtig

Dem Bericht der Task-Force Lebensmittelsicherheit zufolge hat sich Klaus Rohloff insgesamt uneinsichtig gezeigt und sich aus der Besprechung noch vor Beginn des Betriebsrundgangs zurückgezogen. Auch im weiteren Tagesverlauf habe er keinen weiteren Kontakt mehr zum Kontrollpersonal gesucht. 

Die Task-Force schildert in dem Bericht massive hygienische und bauliche Mängel

Obwohl die Zeit zwischen der Reinigung und der Kontrolle ein längeres Abtrocknen als üblich zugelassen hätte, seien beim weit überwiegenden Teil der kontrollierten Räume die Decken inklusive der dort befindlichen Rohre und Kühlaggregate feucht oder nass gewesen. Von vielen Stellen sei Wasser heruntergetropft. Dies habe auch Räume betroffen, in denen offenes Fleisch oder nicht umhüllte Wurst bearbeitet worden sei. 

Durch die ständige Feuchtigkeit seien an vielen Stellen Biofilme, Schimmel, Rost und Kalk nachweisbar gewesen. Kondenswasser sei von verschimmelter und verschmutzter Decke in darunter stehende offene Fleischwannen getropft. Im Reiferaum fanden sich laut Task-Force-Bericht große Wasserlachen zwischen Produkten. Kondenswasser der Kühlaggregate sei in den Raum geleitet worden, es habe starke Schaum- und Biofilmbildung an der Pfütze gegeben. 

Erschreckende Darstellung im Bericht zu Wilke: Verwesungsgerüche und Mäusekot

Beim Betreten des Raumes habe es nach Kläranlage gerochen. In einem Aufzug, mit dem auch Wurst und Fleisch offen transportiert worden sei, habe man vergammelte Fleischsaftreste gefunden. Beim Öffnen der Aufzugtür sei Verwesungsgeruch wahrnehmbar gewesen. Im Kühlraum, in dem Naturdärme zum Verzehr auch offen gelagert worden seien, habe man zudem Mäusekot festgestellt.

Das Gewürzlager ist dem Bericht zufolge ein Raum, der über kein Fenster verfügt und in dem eigentlich keine Insekten vorkommen dürften. Dennoch sei es dort zu Fliegenbefall gekommen. Außerdem seien an den Übergangspunkten keine Hygieneschleusen vorhanden gewesen. Die Task-Force listet in dem Bericht zehn Punkte auf, in denen Wilke-Mitarbeiter jährlich in Bezug auf Hygienefragen hätten geschult werden müssen.

Hygieneschulungen für Mitarbeiter waren viel zu kurz

Zwar seien viele Mitarbeiter geschult worden, allerdings lediglich zwischen 20 und 30 Minuten lang – für eine Weiterbildung zur Zusammensetzung von Lebensmitteln, zum Lebensmittelrecht, Hygieneanforderungen, Eigenkontrollen, Krisenmanagement, Umgang mit Abfällen, Reinigung und Desinfektion, die in mindestens drei Sprachen hätten absolviert werden müssen. Die Task-Force kommt in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass die erforderlichen Hygieneschulungen dementsprechend nicht nachgewiesen werden konnten.

Vollständiges Versagen der Eigenkontrolle: Bereits 2018 hohe Keimbelastung in Fertigprodukten

Analysen der Keimbelastung von Fertigprodukten, die die Firma Wilke selbst vorgenommen habe, zeigen dem Task-Force-Bericht zufolge, dass 2018 die Hälfte der mikrobiologisch untersuchten Fertigprodukte nicht in Ordnung, also in mikrobiologischer Hinsicht auffällig gewesen sei. Dass dies offensichtlich keine ausreichenden Konsequenzen nach sich gezogen habe, lasse auf ein vollständiges Versagen des Eigenkontrollsystems schließen. 

Das Gesamt-Fazit der Task-Force zu ihren Eindrücken

Der Betrieb biete in dem anlässlich der Kontrolle vom 2. Oktober 2019 vorgefundenen Zustand ideale Bedingungen für eine Ansiedlung, Vermehrung und Verbreitung von Listerien. Eine singuläre, punktuelle Listerienquelle existiere nicht. Vielmehr müsse der gesamte Produktionsbereich als großflächig kontaminiert angesehen werden. Die Schließung des Betriebs sei richtig und unumgänglich gewesen.

Das ist die Task-Force Lebensmittelsicherheit

Die Task Force Lebensmittelsicherheit ist eine vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eingerichtete Sondereinheit. Sie ist beim RP Darmstadt angesiedelt. Im Zuge des Listerien-Skandals bei der Firma Wilke in Berndorf wurde sie für eine Zusammenarbeit mit dem Landkreises Waldeck-Frankenberg und dem Regierungspräsidiums Kassel hinzugezogen, um die Behörden vor Ort bei den Kontrollen zu unterstützen.

Das sagt die  "Foodwatch" zu dem Bericht: Dokument des Totalversagens

Aus Sicht von Foodwatch dokumentiert der Bericht der Task-Force auch, wie die hessischen Behörden mehrfach fatale Fehlentscheidungen trafen und nicht das Notwendige taten, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen.

„Wenn die Angaben in dem Bericht richtig sind, handelt es sich um ein Dokument des Totalversagens – von einem Unternehmen, das schon über einen langen Zeitraum offenbar nicht in der Lage war, sichere Lebensmittel herzustellen, und von Behörden, die mehr den Betrieb als die Verbraucherinnen und Verbraucher geschützt haben“, erklärte Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker.

Update vom 26.10.2019 um 23.15 Uhr - Der Skandal um die mit Listerien belastete Wurst der Firma Wilke aus Twistetal-Berndorf im nordhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg weitet sich immer mehr aus. Wie jetzt bekannt wurde, wurden die Produkte der Firma Wilke auch in Fertiggerichten anderer Hersteller verwendet.

Bekannt wurde das durch eine Anfrage der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch an das hessische Verbraucherschutzministerium, wie die Bild am Sonntag berichtet. Allerdings seien dem Bericht zufolge die Fertiggerichte "nach derzeit vorliegenden Informationen" bereits zurückgerufen worden und nicht mehr im Handel.

Foodwatch-Chef Martin Rücker fordert dennoch weiter, dass die „Namen von betroffenen Herstellern, Marken, Produkten und Verkaufsstellen“ veröffentlicht werden sollen. Der Verbraucherschützer befürchtet, dass sich einige der betroffenen Fertiggerichte noch in Haushalten befinden könnten. Insgesamt 300 Tonnen Fleischwaren aus dem bestand von Wilke-Wurst wurden bereits vernichtet.

Landkreis Waldeck-Frankenberg legt Bericht zu den Wilke-Kontrollen vor

Mittlerweile hat der Landkreis Waldeck-Frankenberg als zuständige Kontrollbehörde den Bericht zu den Vorgängen rund um die Firma Wilke vorgelegt*. Die Aufarbeitung zeige, dass seine Mitarbeiter nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hätten, um weiteren Schaden abzuwenden, sagte Reinhard Kubat (SPD), Landrat des Kreises Waldeck-Frankenberg, am Freitag zu dem Bericht und fügte an: Man sei gegen ein Unternehmen vorgegangen, das sich nicht wie vorgeschrieben verhalten und versucht habe, die Behörden mit beachtlicher Energie zu hintergehen.

Hessens Umweltministerin Priska Hinz fordert Konsequenzen aus dem Wurstskandal* und will erreichen, dass die Lieferketten von Lebensmitteln schneller nachzuvollziehen sind.

Update vom 24.10.2019 um 17.17 Uhr: Frischwurst-Aufschnitt der Firma Wilke, der bereits Mitte April dieses Jahres in einem Großmarkt in Balingen (Baden-Württemberg) entdeckt wurde, war mit Listerien des Typs Sigma 1 verseucht. Hierbei handelt es sich um jenen Stamm, der für die drei bislang bekannten Todesfälle und mehrere Krankheitsausbrüche in Deutschland verantwortlich ist. Dies gab das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am Donnerstag, 24.10.2019 bekannt.

Wilke Wurst Skandal: Listerien-Fund des Typs Sigma 1 in Baden-Württemberg

Über die im Balinger Großmarkt durchgeführte Routine-Kontrolle und den Fund von Listerien hatte der Südwestrundfunk (SWR) in dieser Woche erstmals berichtet – allerdings ohne einen konkreten Bezug zum Sigma 1-Typ herzustellen. Auf Nachfrage unserer Redaktion gab das Ministerium in Wiesbaden schließlich eine Pressemitteilung heraus. Darin bestätigt es den Listerien-Fund des Typs Sigma 1 in Baden-Württemberg. „Als Mitte August der Verdacht aufkam, dass der Betrieb Wilke mit den Sigma 1-Krankheitsfällen in Verbindung stehen könnte, wurde durch Hessen veranlasst, dass die Probe aus Balingen noch einmal auf den Typ Sigma 1 analysiert wird. Diese Untersuchung führte am 16. September 2019 in Verbindung mit den Erhebungen des Robert Koch-Instituts zu der Bestätigung, dass die Listerien, die deutschlandweit zu Erkrankungen und Todesfällen geführt haben, von Produkten der Firma Wilke stammen“, teilt das Ministerium mit.

Ministerin Priska Hinz gab zudem bekannt, dass es ein weiteres Lagers in Kaufungen gebe, in dem die Firma Wilke Waren gelagert habe. „Dort hat Wilke für die Auslieferung an Kunden Produkte zwischengelagert. Diese Informationen sind der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Aufklärung hat für uns oberste Priorität,“ sagt Priska Hinz und weist in diesem Zusammenhang auf die derzeit laufende Entsorgung der Wilke-Waren hin. „Da gegen die Wilke-Geschäftsführung ermittelt wird, arbeiten wir bei der Entsorgung eng mit der Staatsanwaltschaft zusammen, damit mögliches Beweismaterial gesichert wird.“

Update vom 24.10.2019 um 13.58 Uhr: Der Landkreis Waldeck-Frankenberg hat „überrascht und verärgert zugleich“ auf die Ankündigung der Firma Wilke reagiert, erneut gegen die von ihm verfügte Schließung der Produktion zu klagen. 

Wilke-Wurst: gegen Wiederaufnahme der Produktion zur Wehr setzen

„Wir haben die Schließung nach gründlicher Zusammenstellung der Fakten und in enger Abstimmung mit den anderen Behörden vorgenommen – und sind fest davon überzeugt, dass diese Entscheidung absolut notwendig war und korrekt vorgenommen worden ist“, erklärt Landrat Dr. Reinhard Kubat und fügte hinzu: „Wir werden uns daher zum Schutz der Bevölkerung mit allen zur Verfügung stehenden Fakten und Argumenten gegen eine Wiederaufnahme zur Wehr setzen.“

Update am 23.10.2019 um 14.10 Uhr -  Rund 300 Tonnen Fleisch und Wurst befinden sich noch in den Lagerräumen von Wilke Wurstwaren in Berndorf. Mit der Entsorgung hat der Landkreis Waldeck-Frankenberg am Mittwoch begonnen. Die Kreisverwaltung wird zunächst in Vorleistung treten müssen und rund 100 000 Euro dafür bereitstellen.

Um zu verhindern, dass die Waren in den Kühlräumen verderben, hatte sich der Landkreis zunächst dafür eingesetzt, dass Energie Waldeck-Frankenberg (EWF) auch weiterhin Strom liefert, schreibt die Verwaltung in einer Pressemitteilung. Gleichzeitig sei nach einem Weg gesucht worden, die verderblichen Produkte „schnell und ordnungsgemäß“ zu entsorgen. Dafür seien bei Wilke selbst keine finanziellen Mittel vorhanden gewesen, habe der Insolvenzverwalter mitgeteilt, sagt Landrat Dr. Reinhard Kubat. Daher sei der Kreis nun im Rahmen einer sogenannten Ersatzvornahme eingesprungen.

Am Mittwochvormittag hat die Versorgung begonnen, die unter Aufsicht des Veterinäramts ablaufe. 20 bisherige Mitarbeiter von Wilke hätten sich dazu bereit erklärt, dabei zu helfen, so Kubat. Ist die Entsorgung abgeschlossen, könnten die Kühlanlagen abgeschaltet werden. Die Kreisverwaltung rechnet damit, dass die Entsorgung innerhalb der nächsten zwei Wochen abgeschlossen sein wird.

Der Finanzausschuss des Landkreises wird sich am Donnerstag mit der außerplanmäßigen Ausgabe von 100.000 Euro beschäftigen, am Montag zudem der Kreistag, der letztlich entscheiden muss, ob das Geld zur Verfügung gestellt wird.

Wilke Wurstwaren: Ermittler vernehmen ehemalige Mitarbeiter

Die Staatsanwaltschaft Kassel bestätigt, dass die Ermittlungsbehörden auch Mitarbeiter von Wilke vernehmen werden. So sollen unter anderem die „hygienischen Zustände und Verantwortlichkeiten“ aufgeklärt werden, so die Staatsanwaltschaft. Der Informant, der die Fotos unter anderem von verschimmelten Produkten zur Verfügung stellte, wird ebenfalls befragt. Die Bilder werden Gegenstand der Verfahrensakte. Wann die Ermittlungen abgeschlossen sind, sei noch nicht absehbar.

Update am 20.10.2019 um 14.15 Uhr - Der Landkreis Waldeck-Frankenberg ist im Bereich der Lebensmittelüberwachung personell unzureichend ausgestattet. „Dort fehlt es an den grundlegenden Voraussetzungen für eine funktionierende Kontrolle von Lebensmittelbetrieben. Personell massiv unterbesetzt, verstößt der Landkreis gegen bundesweite Vorgaben zum Verbraucherschutz. 2018 ist jede zweite vorgeschriebene Betriebskontrolle ausgefallen“, schreibt Foodwatch in einem in dieser Woche veröffentlichten Analyse-Bericht zum Wilke-Skandal. 

Jede zweite Betriebskontrolle im Landkreis Waldeck-Frankenberg ist 2018 ausgefallen

Die Verbraucherorganisation bezieht sich hierbei auf eine Antwort-Mail von Dr. Martin Rintelen, der beim Landkreis Waldeck-Frankenberg für die Lebensmittelüberwachung verantwortlich ist. Der Schriftverkehr zwischen dem Fachdienstleiter und Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker liegt auch unserer Zeitung vor. 

Darin wird deutlich, dass der Landkreis im vergangenen Jahr 1145 Routinekontrollen in Lebensmittelbetrieben durchgeführt hat. Allerdings hätten es nach der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Einhaltung des Lebensmittelrechts 2294 Kontrollen sein müssen. Darauf weist auch Rintelen hin.

Zu wenige Lebensmittelkontrolleure im Landkreis Waldeck-Frankenberg

Auf eine Zahl von 2895 Lebensmittelbetriebe in Waldeck-Frankenberg kommen nach Auskunft des Fachdienstleiters 3,15 Stellen im Bereich der Lebensmittelkontrolleure. „Das kann nicht gut gehen“, kritisiert Foodwatch. Die FWG-Fraktion will indes den Skandal um mit Listerien belastete Wilke-Wurst zum Thema in der Aktuellen Stunde im Kreistag machen und damit für eine öffentliche Debatte sorgen. 

Der Landkreis hatte dies bislang zurückgewiesen. Die Freien Wähler erinnern daran, dass der Kreistag sehr wohl Einfluss auf die Qualität der Lebensmittelkontrollen habe. Schließlich könne er weitere Gelder für die personelle Ausstattung bereitstellen. „Die bekannt gewordenen Fakten lassen den Schluss zu, dass die Verwaltung im Bereich der Lebensmittelkontrolle seit Jahren unterbesetzt ist. Es geht darum, die Verwaltung zukunftsfest und krisensicher aufzustellen, damit sich ein vergleichbares Ereignis nicht wiederholen kann“, schreiben die Freien Wähler in ihrem Antrag.

Hintergrund: Foodwatch spricht von „Versagen mit Ansage“

Die Verbraucherorganisation Foodwatch wirft in ihrem Analyse-Bericht „Skandal mit Ansage“ nicht nur dem Landkreis Waldeck-Frankenberg mit seinem Veterinäramt Versagen vor. Die Kritik richtet sich auch an das Regierungspräsidium Kassel und das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Von Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, fordert Foodwatch eine Verbesserung des Lebensmittelrechts.

Update am 18.10.2019 um 21.26 Uhr - Für die Firma Wilke in Berndorf gibt es einen möglichen Käufer. Das teilte Insolvenzverwalter Mario Nawroth am Freitag mit. „Wir arbeiten weiter an einer Lösung für den Standort und alle Arbeitnehmer. Dazu stehe ich zwischenzeitlich mit einem potenziellen Kaufinteressenten in erstem Kontakt. Die kommenden Wochen müssen zeigen, was sich daraus ergibt“, erklärte der Insolvenzverwalter.

Er hatte am Freitagmittag zugleich die Mitarbeiter des seit 1. Oktober geschlossenen Unternehmens über den aktuellen Stand informiert. Die Firma Wilke hatte wenige Tage nach der Schließung vorläufige Insolvenz angemeldet.

200 Wilke-Mitarbeiter ehalten Gehalt für September

Laut Nawroth gibt es für die 200 Mitarbeiter gute Nachrichten. Sie erhalten nachträglich ihr September-Gehalt. Zu den laufenden Rechtsstreitigkeiten wollte sich der Insolvenzverwalter nicht äußern. Wilke hatte unter seiner Verwaltung einen Eil-Antrag gegen den Produktionsstopp gestellt. Das Verwaltungsgericht Kassel hat diesen aber abgelehnt. Eine Beschwerde vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof wäre aber möglich.

Fast alle Wilke-Angestellten, die am Freitag nach der Mitarbeiterversammlung das Firmengelände in Berndorf verließen, wollten nicht mit den Medien sprechen. Diejenigen, die es taten, sagten nicht viel. Wilke-Geschäftsführer Klaus Rohloff nahm jedenfalls nicht an der Versammlung teil, wie mehrere Mitarbeiter bestätigten.

Ist guter Dinge angesichts weiterer Gehalts-Zahlungen für die Belegschaft. Wilke-Mitarbeiter Klaus König.
Ist guter Dinge angesichts weiterer Gehalts-Zahlungen für die Belegschaft. Wilke-Mitarbeiter Klaus König. © Philipp Daum

Klaus König aus Mühlhausen nahm sich schließlich doch etwas Zeit, um aus der Versammlung zu berichten: „Der Insolvenzverwalter informierte uns über ausstehende Löhne und Gehälter sowie über die Altersvorsorge.“ Der 64-Jährige, der seit gut einem Jahr bei Wilke als Kraftfahrer angestellt ist, zeigte sich erfreut über die September-Zahlungen. Auf die Frage, ob die Löhne und Gehälter auch darüber hinaus gezahlt würden, sagte er: „Wenn man dem Insolvenzverwalter Glauben schenken darf, sieht es ganz gut aus.“ Für konkrete Nachfragen dazu war Mario Nawroth für unsere Zeitung gestern allerdings nicht mehr zu erreichen.

Laut Klaus König sei die Stimmung gut und ruhig gewesen. „Natürlich haben alle auch Sorge um ihren Arbeitsplatz und das ausstehende Geld. Doch ich glaube, dass die Leute nach dieser Versammlung beruhigter nach Hause gehen.“

Ein ausländischer Arbeiter, der anonym bleiben wollte, war erleichtert darüber, dass das September-Gehalt gezahlt wird. Aber wie es danach weiter geht, wisse er nicht. „Ich suche mir jetzt einen neuen Job“, sagte er.

Scharfe Kritik der Verbraucherorganisation Foodwtach: „Abläufe müssen überprüft werden“

22 Seiten umfasst der Analyse-Bericht der Verbraucherorganisation Foodwatch. Darin wird der Wilke-Skandal noch einmal chronologisch nacherzählt. In Wurstprodukten des Unternehmen, das mittlerweile geschlossen ist, waren Listerien festgestellt worden. Drei Menschen sind nach dem Verzehr dieser belasteten Lebensmittel gestorben.

Foodwatch zu Hygienemängeln in Großbäckereien
Martin Rücker, Geschäftsführer von Foodwatch. © Peter Kneffel/dpa

Foodwatch kritisiert in dem Bericht Behörden und Politik. Die Verbraucherorganisation macht allerdings nicht nur die unzureichenden Lebensmittelkontrollen durch den Landkreis für den Skandal mitverantwortlich. Sie wirft auch dem Hessischen Verbraucherschutzministerium Versagen vor. „Die Abläufe im Ministerium sind für Krisenfälle offenbar nicht ausreichend aufgestellt und müssen dringend überprüft werden. Die Verantwortung dafür trägt Ministerin Priska Hinz“, heißt es in dem Bericht. Das Verbraucherschutzministerium habe viel zu spät Informationen an die örtlichen Behörden weitergegeben.

Foodwatch kritisiert darüber hinaus „die zu spät erfolgten Produkt-Rückrufe“. „Nach derzeitigen Kenntnisstand hätten schon erheblich früher ein Rückruf von Wilke-Produkten und eine Warnung der Verbraucher erfolgen müssen. Wenn das Unternehmen dies nicht von sich aus unternimmt, muss der Landkreis Waldeck-Frankenberg Rückruf und Warnung anordnen. Unterlässt er dies, ist das ein Fall für die Fachaufsicht der ohnehin beteiligten mittleren und oberen Lebensmittelbehörden, also RP Kassel und Landesverbraucherschutzministerium“, schreibt Foodwatch in dem Bericht.

Update am 17.10.2019 um 18.55 Uhr - Ein Raubüberfall mitten im Dorf, mitten am Tag. Viel Geld verschwindet: Gehalt für ungarische Arbeiter der Wurstfabrik. Vom Täter keine Spur, vom Geld auch nicht. Was am 25. September 2014 auf dem Parkplatz der Wurstfabrik Wilke in Berndorf geschehen sein soll, klingt nun umso fragwürdiger, da nach der Schließung der Firma die dubiosen Machenschaften des ungarischen Subunternehmens bekannt geworden sind.

Laut Polizei hatte damals ein unbekannter Mann einen Koffer mit einer „größeren Menge“ Bargeld erbeutet. Daher gab es eine Großfahndung. Der Täter war zu Fuß geflüchtet, hieß es.

Eine ungarische Mitarbeiterin der Firma, die für Wilke Wurstwaren in Berndorf tätig war, war demnach auf dem Firmenparkplatz aus einem Auto ausgestiegen. Sie hatte laut Polizei einen schwarzen Aktenkoffer mit Bargeld bei sich: Lohn für die dort tätigen ungarischen Arbeiter.

Ungarische und rumänische Arbeiter berichten davon, dass Gehalt mehrfach nicht oder zu spät gezahlt wurde. Ein Deutscher aus der Belegschaft erinnert sich: „Damals wollten die Arbeiter deswegen streiken. Dann hieß es, dass sie ihren Lohn am nächsten Tag bekommen würden. Und plötzlich dieser Überfall. Das war kein Zufall.“

Raubüberfall bei Wilke: Täter wurde nie gefunden

Der Täter – falls es einen gab – wurde nicht gefunden. Laut der Staatsanwaltschaft Kassel ist das Verfahren im Jahr 2017 eingestellt worden, weil ein Täter nie ermittelt wurde. Bei der Ungarin, Jahrgang 1983, die überfallen worden sein soll, handelt es sich laut mehreren ehemaligen Mitarbeitern um die Partnerin des Chefs der Ungarn: Norbert Gyöngyösi-Pap, Geschäftsführer der Firma ARS Service Kft.

Dieser hat nach eigenen Angaben jahrelang Arbeiter über Werkverträge bei Wilke beschäftigt. Seit einigen Wochen befindet er sich in Ungarn. Im Telefongespräch mit unserer Zeitung verzettelt er sich und trifft widersprüchliche Aussagen über die Arbeitsbedingungen seiner Angestellten. Auf den Raubüberfall vor fünf Jahren angesprochen, sagt er zunächst: Er habe damals noch nichts mit der Leitung der ungarischen Firma zu tun gehabt.

Doch bei der Frage nach dem Geld für die Angestellten, das angeblich gestohlen wurde, sagt Norbert Gyöngyösi-Pap: „Wir haben den Arbeitern ihr Geld trotzdem ausgezahlt.“

Lächerlich findet eine WLZ-Informantin diesen mutmaßlichen Raubüberfall. „Das war wie in einer Komödie“, erinnert sie sich. „Am nächsten Tag kam Norbert Pap mit dem Geld für die Angestellten in demselben Koffer, der eigentlich geklaut worden war.“

Kontrolle auf Schwarzarbeit bei Wilke Wurstwaren

Zur Zeit des Raubüberfalls bekamen die ungarischen Arbeiter, die bei Wilke Wurstwaren in der Produktion beschäftigt waren, ihr Gehalt in bar ausgezahlt. Ob dabei alles nach rechtlichen Vorschriften verlief und ob das überprüft wurde, dazu möchte die Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, die die Dienst- und Fachaufsicht über das zuständige Finanzamt in Korbach hat, wegen des Steuergeheimnisses keine Auskunft geben. 

Die Firma Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren wurde nach Angaben des Hauptzollamtes Gießen bei einer bundesweiten Schwerpunktprüfung „Fleischwirtschaft“ am 2. Dezember 2014 durch Beamte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit kontrolliert. Dabei seien Personen befragt und Geschäftsunterlagen der Lohn- und Finanzbuchhaltung geprüft worden. Dabei seien keine Rechtsverstöße festgestellt worden. 

Die Antwort des Hauptzollamtes lässt jedoch offen, ob auch mit ausländischen Arbeitern gesprochen wurde, die zum größten Teil kein Deutsch sprachen. Die Pressestelle will auch keine Angaben darüber machen, ob damals die Produktionsräume kontrolliert wurden beziehungsweise wer dort arbeitete und ob die Kontrolle bei dem Unternehmen angekündigt worden war. 

Wilke Wurstwaren: Anonyme Anzeige beim Zoll

Ebenso bleibt offen, ob bei der Prüfung der Geschäftsunterlagen die Werkunternehmerverträge kontrolliert wurden. Im Januar 2018 erreichte den Zoll eine anonyme Anzeige zur Firma Wilke. „Darin wurde daraufhin gewiesen, dass im Rahmen von Werkverträgen ausländische Mitarbeiter zum Einsatz kommen sollen“, so die Pressestelle. „Es wurde von dem Hinweisgeber hinterfragt, ob hier gegebenenfalls der Tatbestand der Steuerhinterziehung oder des Versicherungsbetruges verwirklicht sein könnte. Aufgrund der vorliegenden Informationen aus den beanstandungsfreien Vorprüfungen (im Jahr 2014 – vier Jahre zuvor, Anm. d. Red.) und weiteren Erkenntnissen zu den gemeldeten Arbeitnehmern bestand kein weiterer Prüfanlass.“

Abgelaufene Fisch- und Gemüsewaren der Firma Wilke Wurstwaren aus Berndorf lagern in einer Halle eines Logistikunternehmens in Kassel.

Skandal um Wilke-Wurst: Kritik an spärlichen Informationen - Auch zugehörige Gastwirtschaft ist geschlossen

Update am 17.10.2019 um 12.05 Uhr - „Wir haben diese Woche geschlossen, weil wir für sie umbauen...“ Wer im „Bistro“ in Berndorf anruft, um wie vor ein paar Wochen einen Tisch zu reservieren oder Essen zu bestellen, stößt auf eine automatische Ansage, die längst veraltet ist. Sie stammt aus dem März.

Seit der Schließung der Wurstfabrik Wilke in Berndorf Anfang des Monats hat auch die einzige Kneipe in dem knapp 1700 Einwohner großen Ort nun geschlossen. Denn das „Bistro“, direkt neben dem Hauptsitz der Firma an der Ortsdurchfahrt gelegen, gehört zur Firma Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren GmbH & Co. KG, die Insolvenz angemeldet hat. Betreiber ist der Geschäftsführer Klaus Rohloff.

Gaststätte von Wurst Wilke: Lokal hat noch im August Personal gesucht

Noch im August hatte das Lokal Servicekräfte und Küchenhilfen gesucht. Wie es nun mit dem ehemaligen „Berndorfer Hof“, der zeitweise von anderen Gastwirten unter dem Namen „Zur Tenne“ geführt wurde, weitergeht, ist völlig unklar. Der Geschäftsführer reagiert nach wie vor nicht auf Nachfragen. Damit stehen die Kneipengänger in Berndorf erst einmal ohne ihren Treffpunkt da.

Mehr Schein als Sein? Die Gastwirtschaft „Wilkes Bistro“ direkt neben der Wurstfabrik war über Jahre optisch herausgeputzt worden.
Mehr Schein als Sein? Die Gastwirtschaft „Wilkes Bistro“ direkt neben der Wurstfabrik war über Jahre optisch herausgeputzt worden. © Stefanie Rösner

Einige Stammgäste waren dem „Bistro“ jahrelang treu. Sie trafen sich regelmäßig auf ihr Feierabendbier dort. Im „Bistro“ fanden Sieges- und Aufstiegsfeiern der Fußballmannschaften statt, viele Vereine und der Ortsbeirat trafen sich dort zu Versammlungen, Stammtischen und Weihnachtsfeiern. Betriebsfeiern gab es dort, und Privatpersonen nutzten die Räume für Geburtstage und andere Familienfeste.

Seitdem es in Berndorf kein Osterfeuer mehr gibt, richteten die Kanoniere der Schützengesellschaft Berndorf 1618 jeden Ostersamstag ein „Ostergrillen“ aus. Das Gelände hierfür wurde vom Bistro der Firma Wilke zur Verfügung gestellt. Die Kneipe mit Restaurant hatte sich in den vergangenen Jahren optisch zu einem ansprechenden Lokal entwickelt. Der Betreiber warb stets mit dem „rustikalen“ Ambiente. Er investierte kontinuierlich in die Inneneinrichtung und ließ den Biergarten sowie die Fassade des Hauses umgestalten und modernisieren.

Gastwirtschaft mauserte sich äußerlich zum Vorzeigeprojekt

Doch nach den aktuellen Erkenntnissen war bei der Firma Wilke Wurstwaren eben vieles nur Fassade. Während sich die Gastwirtschaft äußerlich immer mehr zu einem Vorzeigeprojekt des Geschäftsführers mauserte, verfestigten sich die immensen hygienischen Missstände in der dazugehörigen Wurstfabrik. Wie passt das zusammen, fragen sich nun viele, die dem Betrieb lange vertrauten.

Vielleicht liegt ein Teil der Antwort in einer Aussage, die jemand aus der ehemaligen Belegschaft traf: „Rohloff ist ein katastrophaler Unternehmensführer, aber ein guter Verkäufer.“ Das „Bistro“ mit Lieferservice am Wochenende warb mit einer hübschen Speisekarte mit „luftigen und knusprigen Flammkuchen“, mit „handmade-Bratkartoffeln“ und sogar mit Zutaten, die zum Teil aus dem eigenen kleinen Garten stammen würden. Mit „Burger XL“ und „Best Woscht in Berndorf“ ist jetzt erst mal Schluss. Nach den Meldungen über Listerien in Wilke-Produkten ist vielen der Appetit auf „hausgemachte Schnitzel“ im „Bistro“ ohnehin vergangen.

Trotzdem zeigen sich vor allem Vereinsvertreter auch etwas enttäuscht darüber, dass das Lokal geschlossen ist. „Wir haben es unterstützt, weil es das einzige im Dorf war“, sagt einer.

Ein Vertreter des Sportvereins bestätigt, dass er bedauert, dass das „Bistro“ nun auf unbestimmte Zeit als Treffpunkt wegfällt. In der Regel habe man dort gute Erfahrungen gemacht. Er wünsche sich, dass sich bald ein nachfolgender Betreiber findet.

Skandal um Wilke-Wurst: Alte Lebensmittel lagern in einer Halle in Kassel - Kritik an spärlichen Informationen

Im Fokus stehen derzeit vor allem die Kontrollen des Landkreises Waldeck-Frankenberg: Wie wirksam waren die Kontrollen und Prüfungen? Warum konnte der Betrieb, in dem offenkundig schon seit längerer Zeit eklatante Hygienemängel herrschten, noch monatelang weiterarbeiten? 

Für das Verwaltungsgericht Kassel war in dieser Woche eines ganz klar: Die Firma Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren aus Berndorf darf auf keinen Fall wieder geöffnet werden, weil sonst die Gefahr besteht, dass gesundheitsgefährdende Lebensmittel in den Verkehr geraten. Dass die Entscheidung der Richter auch deshalb so getroffen wurde, weil Prüfberichte des Landkreises Waldeck-Frankenberg die schlimmen hygienischen Zustände in dem Unternehmen offengelegt haben, ist nachvollziehbar. 

Skandal um Listerien in der Wurst: Viele Fragen sind noch offen 

Im Fokus der Fragen steht der Bericht der Prüfer zu den ekelerregenden Zuständen in einem Wilke-Lagerraum

Dazu teilte der Landkreis am heutigen Mittwoch mit: „Schlechte hygienische Zustände in einem Lagerraum – zumal, wenn es sich um einen Konfiskatraum handelt, in dem abgelaufene Ware und Abfälle gesammelt werden – rechtfertigen keine Betriebsuntersagung.“ Der Raum sei bei einer Nachkontrolle wenige Tage später auch in einwandfreiem Zustand gewesen. Auf die Frage, ob Landrat Reinhard Kubat und Verbraucherschutzdezernent Fritz Schäfer umfassend Kenntnis von den Kontrollen und Prüfungen bei Wilke hatten, schreibt der Landkreis: „Die Kreisspitze ist stets in laufende Prozesse der Verwaltung eingebunden.“

Wenngleich die Behörde zu einigen eingangs gestellten Fragen Stellung nimmt, bleiben vor allem Fragen zu den Details der Prüfungen und Kontrollen bislang unbeantwortet. Darüber hinaus muss sich der Landkreis nun auch gegenüber Hessens Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) erklären.

Ministerin Priska Hinz: Landkreis berichtete dem Regierungspräsidium Kassel nur unzureichend über vorgefundene Mängel

Diese sagte gestern im Umweltausschuss des Landtags: „Es sind Unstimmigkeiten im Nachgang einer eigentlich für den 5. September geplanten gemeinsamen Betriebskontrolle des Landkreises mit dem Regierungspräsidium Kassel und dem Landeslabor Hessen bekannt geworden. Nach derzeitiger Aktenlage wurde die Kontrolle an diesem Tag vom Landkreis vor dem verabredeten Zeitpunkt und vor dem Eintreffen der Vertreterinnen und Vertreter des RP Kassel und des Landeslabors Hessen durchgeführt.“ Deshalb sei es lediglich zu einer gemeinsamen Besprechung an diesem Tag gekommen. „Über die bei der Kontrolle vorgefundenen Mängel berichtete der Landkreis dem RP in der Besprechung nach bisherigem Kenntnisstand unzureichend“, teilte Hinz mit.

Die Reaktion des Landkreises Waldeck-Frankenberg auf die Vorwürfe

Auf die Vorwürfe reagierte der Landkreis am Mittwoch mit zwei kurzen Pressemitteilungen. Landrat Dr. Reinhard Kubat sagte mit Blick auf die genannte Kontrolle am 5. September 2019: „In der Regel beginnen solche unangemeldeten Kontrollen mit einer Vorbesprechung mit der Geschäftsführung des jeweiligen Betriebs. Damit im konkreten Fall sichergestellt werden konnte, dass während dieser Vorbesprechung parallel in den Produktionsräumen der Firma Wilke nicht schnell eventuelle Mängel beseitigt werden, haben sich die Veterinäre des Landkreises Waldeck-Frankenberg bereits direkt beim Eintreffen ein Bild von den Räumlichkeiten gemacht – und dieses so in der gemeinsamen Besprechung an die Vertreter des Regierungspräsidiums (RP) weitergegeben.“ Auf dieser Basis hätten sich die Vertreter des RP dazu entschieden, nicht noch einmal nachzukontrollieren, sondern die Ergebnisse des Landkreises in ihren Bericht mit aufzunehmen.

Landkreis arbeitet mit Hochdruck am bericht über die Kontrollen - Den hatte Minsiterin Hinz gefordert

Kubat betont, dass der Landkreis mit Hochdruck am Bericht zum Fall Wilke arbeite. „Ministerin Hinz hat diesen bis Ende nächster Woche erbeten – das werden wir leisten können und sind dabei, alle greifbaren Fakten zusammenzustellen und die Vorgänge zu bewerten“, so Kubat.

Zugleich hob der Landrat hervor, dass nach den bisherigen Feststellungen die zuständigen Mitarbeiter der Kreisverwaltung in einer sehr komplexen, komplizierten und durch die juristischen Rahmenbedingungen nicht einfachen Lage nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und einen guten Job ge-macht hätten. Alle Maßnahmen seien nach umfassender Ermittlung, sorgfältiger Abwägung und nach Rücksprache mit den anderen Behörden getroffen worden.

Mit Listerien befallene Wurst: Kreis stellte bereits im März und April 2019 Verstöße fest

In den Prüfberichten des Landkreises Waldeck-Frankenberg ist nach Auskunft des Verwaltungsgerichts Kassel zu lesen, dass der Landkreis im März und April 2019 zwei lebensmittelrechtliche Verstöße in Form des Inverkehrbringens von mit pathogenen Listerien befallenen Lebensmitteln (Wurstwaren) festgestellt hat. Außerdem sind am 26. April 2019 in Proben-Schwämmchen Listerien nachgewiesen worden. 

Als bekannt wurde, dass Listerien gefunden wurden, erfolgten engmaschige Kontrollen bei Wilke durch den zuständigen Landkreis, wobei wiederholt Mängel in der Bau-, Arbeits- und Prozesshygiene festgestellt worden sind. Hervorgehoben wurde eine Entdeckung der Prüfer Anfang September 2019: So sind sie auf einen Lagerraum gestoßen, in dem zum Verzehr untaugliches Fleisch lag. 

Dieser war gefüllt mit vergammelter Ware, Schimmel, Fäulnis, Gestank. Am Boden war eine stinkende Flüssigkeit. Durch diese Flüssigkeit ist mit einem Gefährt Ware nach draußen gebracht worden. Danach ist man erneut durch die stinkende Flüssigkeit in Räume gefahren, die als rein galten.“ Die seitens des Landkreises beschriebenen Mängel machten es nachvollziehbar, dass der Betrieb ideale Bedingungen für eine Ansiedlung, Vermehrung und Verbreitung von Listerien biete. 

Alte Lebensmittel lagern in einer Halle in Kassel - Was passiert mit abgelaufener Ware? 

Abgelaufene Fisch- und Gemüsewaren der Firma Wilke Wurstwaren aus Berndorf lagern in einer Halle eines Logistikunternehmens in Kassel. Diese Nachricht lässt aufhorchen angesichts der Aussagen verschiedener ehemaliger Mitarbeiter. Gegenüber unserer Zeitung äußern sie sich über Ware, deren Mindesthaltbarkeitsdatum verlängert und Etiketten überklebt worden seien.

Andreas Kampmann von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fragt sich, warum die Firma Wilke Miete für Ware in einem Gefrierhaus zahlt, die nicht mehr zu verwenden ist. In einem Bericht des ZDF nennt er das „betriebswirtschaftlichen Unsinn“.

Logistikunternehmen hat Ware mit Sperrvermerk versehen - durchsetzen kann das Unternehmen das aber nicht

Nach Auskunft des Logistikunternehmens handelt es sich um 18 Paletten mit Fisch und Gemüse, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum „deutlich überschritten“ ist. Die Ware sei daher von dem Dienstleister mit einem Sperrvermerk versehen worden, erklärte ein Sprecher auf unsere Nachfrage hin. Mit dem Eigentümer der Ware, der Firma Wilke, seien über längere Zeit Gespräche geführt worden, bis in den vergangenen Tagen geklärt worden sei, dass die Ware nun von einem externen Unternehmen vernichtet werde. Die insolvente Firma Wilke Wurstwaren muss die Kosten für die Entsorgung tragen.

Abgelaufene Fisch- und Gemüseprodukte, die der Firma Wilke gehören, lagern in einer Halle im Industriegebiet in Kassel-Waldau. Laut Andreas Kampmann von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (Foto) hat Wilke solche Lebensmittel etwa für pasteurisierte Kost wie Breie für Schluckpatienten verwendet.
Abgelaufene Fisch- und Gemüseprodukte, die der Firma Wilke gehören, lagern in einer Halle im Industriegebiet in Kassel-Waldau. Laut Andreas Kampmann von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (Foto) hat Wilke solche Lebensmittel etwa für pasteurisierte Kost wie Breie für Schluckpatienten verwendet. © Ulrike Pflüger-Scherb

Ein Sperrvermerk bedeute jedoch lediglich, dass der Eigentümer darauf hingewiesen wird, dass die Ware nicht mehr verarbeitet werden darf. Was dieser letztlich mit den Produkten macht, ist für das Logistikunternehmen nicht nachzuvollziehen, und dies zu prüfen auch nicht dessen Zuständigkeit.

Ehemalige Wilke-Miatrabeiter schildern: Abgelaufene ware wurde umetikettiert

Nach Aussage von Andreas Kampmann sind ausländische Arbeiter missbraucht worden, um abgelaufene Ware umzupacken. „Der Geschäftsführer hat offenbar billigend in Kauf genommen, dass gesundheitsgefährdende Ware in Umlauf gebracht wurde.“

Mehrere ehemalige Mitarbeiter der Wurstfabrik, auch aus der Versandabteilung, schilderten unserer Zeitung, dass abgelaufene Ware oft wie selbstverständlich neu etikettiert und ausgeliefert worden sei. Wenn Ware zurückkam, zum Beispiel weil sie liegengeblieben oder zu spät geliefert worden war, mussten die Mitarbeiter demnach die Etiketten entfernen und durch neue ersetzen, so auch bei Frischwurstaufschnitt mit 28 Tagen Haltbarkeit. „Außerdem wurde zu viel produziert. Versandhallen waren zu warm, weil bei der Kühlung gespart wurde.“

Vor Kontrollen wurde verdorbene Ware versteckt

Vor Besuchen oder Kontrollen sei verdorbene Ware per Laster „weggekarrt und später wiedergebracht“ worden. Missstände habe es in vielen Bereichen gegeben: Maschinen seien nicht regelmäßig gereinigt worden, Toiletten und Pausenraum seien dreckig gewesen.

Vorwürfe gegen die Firma Wilke wurden ignoriert - Mitarbeiter unter Druck gesetzt

Wer sich im Betrieb der Wurstfabrik über Arbeits- und Produktionsbedingungen beklagte, kam damit nicht weit. Aussagen aus der ehemaligen Belegschaft zufolge haben einzelne Abteilungsleiter und vor allem der Geschäftsführer stets abgeblockt, wenn sie auf Missstände angesprochen wurden. „Kümmer dich um deinen Kram, das geht dich nichts an“, habe es dann geheißen. Forderungen nach Lohnerhöhungen seien vonseiten des Geschäftsführers Klaus Rohloff ignoriert worden. Zumindest bei denen, „die er nicht leiden konnte“. 

„Mitarbeiter wurden angeschrien und psychisch unter Druck gesetzt“, sagt Andreas Kampmann von der Gewerkschaft NGG. „Das war ein Regime der Angst.“ Davon habe er bereits vor fünf bis sechs Jahren erfahren. „Menschen wurden kaputtgemacht.“ Doch warum gelangte von alldem scheinbar nichts nach außen? „Ich hatte Angst um meinen Job“, sagen mehrere ehemalige Beschäftigte. Und nachdem sie gekündigt hatten, hätten sie die Arbeitsplätze der Kollegen nicht gefährden wollen. Zudem seien eindeutige Beweise nötig, um Rechtswidrigkeiten anzuzeigen. 

Ein Abteilungsleiter sagt: „Die Firma war kein Saustall.“ Das mag für einzelne Abteilungen gestimmt haben, sagt Andreas Kampmann. „Aber wenn ein Mitarbeiter morgens zur Arbeit kommt, sieht er nicht, ob die Maschinen zuvor gereinigt wurden und ob sich Bakterien dort befinden.“ Für andere indes war vieles unerträglich. „Ich konnte es mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren.“ Der Betriebsrat will auf unsere Fragen zunächst nicht antworten. Er bereite derzeit eine Stellungnahme vor.

Warnung ausgesprochen: Schwangere die Wilke-Waren verzehrt haben sollen sich untersuchen lassen

„Schwangere, die betroffene Produkte verzehrt haben, sollten sich auch ohne Symptome in ärztliche Behandlung begeben und sich beraten lassen“: So lautet die offizielle Empfehlung der hessischen Behörden. Hintergrund ist, dass eine Listeriose auch unbemerkt ohne Symptome verlaufen kann, bei Schwangeren jedoch auf das ungeborene Kind übergehen kann. 

Das Problem: Die waren der Firma wurden auch lose und ohne Kennzeichnung an Wursttheken, in Kantinen und Restaurants abgegeben - eine genaue Wilke-Abnehmer und Verkaufsstellen liegt noch nicht vor. Das kritisiert die Verbraucherorganisation Foodwatch scharf. Laut Foodwatch würden den Behörden diese Informationen vorliegen.

Ministerin Priska Hinz: Die Lieferkette kann nicht genau zurückverfolgt werden

„Wir können schlicht nicht nachvollziehen, in welchem Supermarkt und in welcher Kantine die Wilke-Wurst verkauft wurde", heißt es in einer Pressemitteilung von Verbraucherministerin Priska Hinz. Weiter fügte die Ministerin an, dass die im EU-Lebensmittelrecht vorgeschriebene Rückverfolgbarkeit entlang der Lieferkette funktioniert. (mit dpa)

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