In der Klinik begutachteten die Ärzte zunächst das Ausmaß ihres Haarausfalls und machten Fotos, um den aktuellen Zustand festzuhalten. Sie führten zudem eine so genannte Trichodermatoskopie durch, untersuchten also Haaransatz und Kopfhaut mit einem Auflichtmikroskop (Dermatoskop).
Um der Ursache des Haarausfalls auf die Spur zu kommen, ist jedoch nicht nur eine körperliche Untersuchung, sondern vor allem das Gespräch mit dem Patienten entscheidend. So lässt sich herausfinden, ob der Haarausfall etwa die Reaktion auf eine kürzlich durchgemachte schwere Infektion sein könnte oder die Nebenwirkung eines Medikaments.
So führten Blutverdünner manchmal zu Haarausfall, sagt Elke Sattler. Die dürfe man zwar nicht einfach absetzen. Doch finde sich dann meist ein alternatives Präparat, das nicht zu dieser Nebenwirkung führt. Auch Verhütungspillen können beim Absetzen durch die hormonelle Umstellung zu Haarausfall führen. Nur im Gespräch lässt sich zudem erfragen, ob bereits die Eltern Probleme mit Haarausfall hatten und daher vielleicht eine erbliche Form vorliegt.
Bei Irene Schmidt war das nicht der Fall. Mit 80 Jahren habe ihr Vater noch nicht mal ein graues Haar gehabt, erzählt sie. Auch die Mutter hatte zeitlebens dichtes Haar. Die Ärzte hatten ohnehin einen anderen Verdacht: Die klar umschriebenen, oft runden haarlosen Stellen deuteten auf Alopecia areata hin, auch „kreisrunder Haarausfall“ genannt. Die Kopfhaut ist dabei weder schuppig noch gerötet. Typisch sind indes kleine gelbe Punkte auf der Kopfhaut, die auch bei Irene Schmidt unter dem Dermatoskop zu erkennen waren. Ein durchaus positives Zeichen: Denn dabei handelt es sich um den sichtbaren Teil der Haarwurzeln. Sind diese noch vorhanden, besteht die Hoffnung, dass die Haare später wieder nachwachsen.
Bei Alopecia areata stehen die Chancen gut – vor allem, wenn früh behandelt wird. Bei den Betroffenen lähmt eine Entzündung den Haarfollikel und die Haare fallen aus. Das betrifft meist einzelne Stellen am Kopf. Seltener fallen alle Haare am Kopf aus – oder sogar am ganzen Körper. Ursache ist vermutlich eine Autoimmunreaktion. Das Abwehrsystem richtet sich dabei gegen körpereigene Stoffe.
Irene Schmidt bekam daher zunächst einen kortisonhaltigen Schaum, der der Entzündung entgegenwirkt. Den musste sie zunächst täglich, dann alle zwei Tage auf die haarlosen Stellen auftragen. Zudem schluckte sie drei Monate lang Zinktabletten, die helfen sollten, das fehlgeleitete Immunsystem zu regulieren. Später durfte sie den Schaum durch eine entzündungshemmende, kortisonfreie Creme ersetzen.
Die 74-Jährige hielt sich genau an die Anweisungen. Sie wusste auch, dass sie Geduld haben musste, und es keine Garantie gibt, dass die Haare wieder sprießen. Im Frühjahr war es aber soweit. Borstenartig und farblos waren die Haare zunächst. Erst ein paar Wochen später setzte die Pigmentbildung wieder ein. Heute sind die Haare soweit nachgewachsen, dass die kahlen Stellen kaum noch erkennbar sind. Irene Schmidt ist froh, dass sie sich kompetente Hilfe gesucht hat. Sie freut sich jedes Mal, wenn sie bei der Wäsche in ihr Haar greift – und spürt, wie voll es wieder ist.
Eppner Andrea
Privatdozentin Dr. Elke Sattler, Leiterin der Haarsprechstunde der Dermatologischen Klinik des Klinikums der Universität München, und ihr Kollege Prof. Hans Wolff, der selbst viele Jahre lang die Haarsprechstunde geleitet hat.