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Alexander Riemenschneider inszeniert am Theater Bremen Mozarts „Entführung aus dem Serail“

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Alexander Riemenschneider - Foto: Sebastian Marcovici
Alexander Riemenschneider © Sebastian Marcovici

Bremen - Von Ute Schalz-Laurenze. Wolfgang Amadeus Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ (1782) hat Konjunktur. Immer neue Sichtweisen auf die Story zeigen die Aktualität: Was und wer ist das Fremde? Wie profitieren wir vom Fremden? Warum bedroht uns das Fremde? Nun steht am Theater Bremen eine neue „Entführung“ bevor. Noch keine drei Jahre ist es her, dass Benedikt von Peter und Markus Poschner zusammen mit der Performancegruppe Gintersdorfer/Klaßen anhand des Singspiels ein szenisches Experiment über Afrika und Europa gewagt haben. Nun ist Alexander Riemenschneider der Regisseur. Wir trafen ihn bei den Proben.

Herr Riemenschneider, es geht in Mozarts „Entführung“ um die Befreiung von zwei Europäerinnen aus den Fängen eines türkischen Sultans. Es geht um das Aufeinandertreffen von zwei Kulturen. Es dreht sich aber auch darum, dass Mozart immer wieder erzählt, wie unberechenbar der Mensch ist und wie wenig Sicherheit ihm die gesellschaftlichen Regeln bieten. Was möchten Sie betonen?

Alexander Riemenschneider: Die Frage nach den Beziehungen steht bei uns im Zentrum. Als Mozart sein Singspiel komponierte, standen Entführungsgeschichten und türkisch-orientalische Opernsujets in Wien hoch im Kurs, – allerdings nicht, um die Begegnung mit dem realen Fremden zu thematisieren, sondern um den Wiener Zuschauer mit all dem Schrecken und der Faszination, die das Türkische damals auslöste, bestmöglich zu unterhalten. Und ich würde behaupten, dass das Entführungs-Libretto auch für Mozart, der sich gerade als freischaffender Komponist in Wien niedergelassen und wider den Willen seines Vaters seine Frau Konstanze geheiratet hatte, eine willkommene Folie war, um etwas über menschliche Liebesbeziehungen zu erzählen.

Doppelte Paare sind heute Abend auf der Bühne des Theater Bremen zu sehen. - Foto: Landsberg
Doppelte Paare sind heute Abend auf der Bühne des Theater Bremen zu sehen. © v

Man hat in der Interpretations- und Rezeptionsgeschichte nicht übersehen können, dass das Stück voller Rassismen und Exotismen ist. Um was geht es Ihnen?

Riemenschneider: Wir haben uns schon in der Vorbereitung zur Produktion ausführlich mit diesen 240 Jahre alten Klischees auseinandergesetzt und uns entschieden, sie nicht zu entschärfen, sondern sie sichtbar zu machen und zu zeigen, woher sie kommen. Das ist auch der Grund weshalb wir den Abend aus einem Spiel entstehen lassen. Wir zeigen eine bürgerliche und aufgeklärte Abendgesellschaft, Freunde, die miteinander feiern und sich gegenseitig „Die Entführung aus dem Serail“ vorsingen und sich dabei mehr und mehr in Mozarts Bildern verlieren, die letztlich auch ihre eigenen sind. Indem wir Mozarts Stück als eine Spielwiese bürgerlicher Fantasien lesen, stellen wir den europäischen Blick auf die Orientklischees ganz deutlich aus: Wie stellt sich diese Gruppe einen Bassa vor, wie einen Haremswärter und wie die Frauen im Serail? Damit wird das Serail zu einem Spiegel und erzählt viel mehr über unsere eigenen Vorstellungen, Ängste und Begierden als über das Fremde selbst.

Wenn man sich die Opernspielpläne anschaut, hat die Entführung regelrecht Konjunktur. Warum?

Riemenschneider: Einerseits sicherlich, weil Mozart unglaublich schöne Musik komponiert hat, aber auch, weil sich in dem Werk – vor allem unter der Oberfläche der Handlung – unglaublich reizvolle und interessante Themen verbergen. Mozart hat mit der Entführung ja nicht nur eine Komödie geschrieben, sondern auch eine äußerst differenzierte und ernsthafte Auseinandersetzung mit menschlichen Liebesbeziehungen. Dabei ist schon interessant, wie zeitlos und vor allem moralfrei die Fragen sind, mit denen er an dieses Thema herangeht.

Spielt die Flüchtlingsthematik eine Rolle?

Riemenschneider: Nein. Für mich geht es in der „Entführung“ weniger um die Begegnung mit dem Fremden an sich, sondern um meine eigene Vorstellung, die ich davon habe. Oder um es mit dem Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg zu formulieren: Das Fremde speist sich aus dem verdrängten Eigenen. Klar, kann man die „Die Entführung“ auch als Stück der Stunde deuten, als Stück zur Metoo-Debatte beispielsweise: Männer nutzen ihre Machtpositionen aus, um Frauen gefügig zu machen. Oder man liest das Stück im Kontext der Migrationsdiskussion, da darin ja auch Themen wie die Angst vor dem Fremden eine große Rolle spielen. Für mich führen beide Zugänge aber nicht weiter, da sie mit dem spielerischen Gestus der Musik überhaupt nicht vereinbar sind.

Wie zeichnet Mozart die Charaktere in der Entführung?

Riemenschneider: Mozart begreift den Menschen sehr aus seinem Widerspruch heraus und legt seine Figuren als differenzierte und vielfältige Charaktere an. Belmonte beispielsweise, der in die Fremde gereist ist, um seine Geliebte Konstanze aus den Händen des Bassa Selim zu befreien, wird nicht nur als männlicher und heldenhafter Retter gezeichnet, sondern auch mit viel Eitelkeit und Angst ausgestattet. Deshalb bleibt die zentrale Frage des Stücks, die im großen Quartett des zweiten Aktes verhandelt wird, beim Mann: Ist mir meine Frau in der Fremde treu geblieben? Interessant ist, dass die Antwort darauf in der Schwebe bleibt, da Wort und Musik unterschiedliche Dinge sagen. Laut Textbuch bleiben Konstanze und Blonde ihren Männern treu, aber die Musik gibt ganz deutlich zu erkennen, dass ihre Herzen durchaus auch für den Bassa Selim beziehungsweise Osmin schlagen. Dieser Widerspruch und die unterschiedlichen, nebeneinander existierenden Möglichkeiten, die daraus entstehen, interessieren mich sehr. Um dies auf der Bühne auch körperlich sichtbar machen zu können, haben wir uns dazu entschieden, die beiden Paare – Konstanze/Belmonte und Blonde/Pedrillo – mit Schauspielern zu doppeln. So kann ich beispielsweise zeigen, wie die eine Konstanze ihren Alltag mit Belmonte lebt, während die andere Konstanze dem Bassa im erträumten Serail begegnet.

Es ist Ihre zweite Operninszenierung. Was macht für Sie den Unterschied zwischen Schauspiel und Oper aus?

Riemenschneider: Da gibt es große Unterschiede, die zunächst einmal den Produktionsprozess betreffen. Die Sänger haben schon lange vor Probenstart mit der musikalischen Einstudierung begonnen und kommen mit fertig studierten Partien zur ersten Probe. So hat man ein Gerüst und kann direkt mit der szenischen Arbeit beginnen. Mit den Schauspielern starte ich ganz anders in die Probenphase: Wir lesen den Text sehr genau, bevor wir ihn uns gemeinsam aneignen und das führt zu assoziativeren Zusammenhängen. Aber auch wenn die Herangehensweise eine andere ist, haben wir es sowohl im Musiktheater als auch im Schauspiel mit Text zu tun: mit gesungenem oder gesprochenem. Was die Arbeit an Mozarts Entführung so spannend macht, ist, dass wir es hier mit einer hybriden Form zu tun haben, die Dialoge und Gesang verbindet.

Premiere ist heute Abend um 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz.

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