Wie zeichnet Mozart die Charaktere in der Entführung?
Riemenschneider: Mozart begreift den Menschen sehr aus seinem Widerspruch heraus und legt seine Figuren als differenzierte und vielfältige Charaktere an. Belmonte beispielsweise, der in die Fremde gereist ist, um seine Geliebte Konstanze aus den Händen des Bassa Selim zu befreien, wird nicht nur als männlicher und heldenhafter Retter gezeichnet, sondern auch mit viel Eitelkeit und Angst ausgestattet. Deshalb bleibt die zentrale Frage des Stücks, die im großen Quartett des zweiten Aktes verhandelt wird, beim Mann: Ist mir meine Frau in der Fremde treu geblieben? Interessant ist, dass die Antwort darauf in der Schwebe bleibt, da Wort und Musik unterschiedliche Dinge sagen. Laut Textbuch bleiben Konstanze und Blonde ihren Männern treu, aber die Musik gibt ganz deutlich zu erkennen, dass ihre Herzen durchaus auch für den Bassa Selim beziehungsweise Osmin schlagen. Dieser Widerspruch und die unterschiedlichen, nebeneinander existierenden Möglichkeiten, die daraus entstehen, interessieren mich sehr. Um dies auf der Bühne auch körperlich sichtbar machen zu können, haben wir uns dazu entschieden, die beiden Paare – Konstanze/Belmonte und Blonde/Pedrillo – mit Schauspielern zu doppeln. So kann ich beispielsweise zeigen, wie die eine Konstanze ihren Alltag mit Belmonte lebt, während die andere Konstanze dem Bassa im erträumten Serail begegnet.
Es ist Ihre zweite Operninszenierung. Was macht für Sie den Unterschied zwischen Schauspiel und Oper aus?
Riemenschneider: Da gibt es große Unterschiede, die zunächst einmal den Produktionsprozess betreffen. Die Sänger haben schon lange vor Probenstart mit der musikalischen Einstudierung begonnen und kommen mit fertig studierten Partien zur ersten Probe. So hat man ein Gerüst und kann direkt mit der szenischen Arbeit beginnen. Mit den Schauspielern starte ich ganz anders in die Probenphase: Wir lesen den Text sehr genau, bevor wir ihn uns gemeinsam aneignen und das führt zu assoziativeren Zusammenhängen. Aber auch wenn die Herangehensweise eine andere ist, haben wir es sowohl im Musiktheater als auch im Schauspiel mit Text zu tun: mit gesungenem oder gesprochenem. Was die Arbeit an Mozarts Entführung so spannend macht, ist, dass wir es hier mit einer hybriden Form zu tun haben, die Dialoge und Gesang verbindet.
Premiere ist heute Abend um 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz.