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Die Angst vor der Liebe

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Eine Frau stirbt, ein Dichter weint: Benedikt von Peter inszeniert am Theater Bremen Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“. ·
Eine Frau stirbt, ein Dichter weint: Benedikt von Peter inszeniert am Theater Bremen Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“. · © Foto: Landsberg

Bremen - Von Ute Schalz-LaurenzeBenedikt von Peter, der junge Leiter der Oper am Theater Bremen inszeniert seine vierte Bremer Arbeit – nach „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, Mahler III und Verdis „La traviata“ nun Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“. 1896 wurde dieses Werk in Turin uraufgeführt. Nach anfänglichem Misserfolg ist es heute eine der meistgespielten Opern überhaupt.

Es geht darin um vier mittellose Künstler, von denen der Dichter Rodolfo seine Geliebte, die lungenkranke Mimi, verliert, der es an Wärme und Medikamenten fehlt. Im Gespräch mit unserer Zeitung verrät von Peter schon einige Details seiner Inszenierung.

Herr von Peter, welche persönlichen Gefühle und Erfahrungen verbinden Sie mit Puccini? Volker Schlöndorff hat ja mal in einem Interview erzählt, dass er als Schüler „La Bohème“ gesehen hat, es kitschig fand und das Puccini anlastete – wie es ja viele Menschen tun. Könnte es sein, dass die Klischees die wahre Sicht auf die Oper verhindern?

Benedikt von Peter: Ich hatte als Schüler keine begründeten Vorurteile, ich kannte Puccinis Werk nicht wirklich. In meinem Elternhaus gab es nur Bach und Wagner. Später hielt ich ihn für eine Ausgeburt des filmrealistischen Theaters, für einen metaphernlosen Komponisten ohne sozialkritische Tiefe. Jetzt, nach der intensiven Beschäftigung mit ihm, sehe ich das natürlich alles viel differenzierter.

Violetta aus „La traviata“ und Mimi aus „La Bohème“ sind beide schwindsüchtig, sie sterben daran. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie die beiden Werke inszenatorisch in eine gemeinsame Nähe, eine Korrespondenz bringen?

Von Peter: Das vergleichbare Thema sind zunächst die beiden lungenkranken Frauen. Dann aber auch das Thema der Liebesvermeidung, das in beiden Werken auffallend ist. Ähnlich wie Alfredo und Violetta realisiert sich auch bei Rodolfo und Mimi die Liebe nicht „am Küchentisch“, geht es also wieder nicht um die alltäglich gelebte, sondern um die projektive, literarische, romantische Liebe, die immer tödlich ist – entweder für einen der Liebenden oder für die Liebe selbst.

Mit Ihrem Blick auf Violetta zeigen Sie uns die Einsamkeit einer Frau und ihr Martyrium für eine Idee von Liebe. Wie ist das bei Rodolfo? Er trennt sich von Mimi, angeblich, weil er ihr kein warmes Zimmer bieten kann.

Von Peter: In beiden Fällen handelt es sich um die Vermeidung einer gelebten Liebe. Violetta hat die Vision, ihr absolutes Bild der Liebe für immer zu konservieren, Rodolfo funktionalisiert seine Liebe für sein Schreiben, sie ist Motiv und Motor seines Schaffens. Mimi ist Muse, Idee, Erinnerung und Geist in einem.

Gesellschaftlich gesehen ist Mimi auch deshalb krank, weil sie in ärmlichsten Verhältnissen lebt – „die niedrigsten Regionen der Alltagsmisere“ sagte Eduard Hanslick nach der Uraufführung. Was hat es gesellschaftspolitisch mit den vier Männern auf sich?

Von Peter: Schon die ersten Takte sind der Kern: Kein Seelenraum wie bei „La traviata“, sondern Aktionismus eines leeren Alltags. Das sind Männer, die ihre Lebensweise inszenieren. Das können Künstler sein, müssen es aber nicht. Jedenfalls spielt der soziale Aspekt, ihre Armut, dabei keine Rolle. Sie sind weltfremd und pubertär, erklären die Kunst zum Leben und umgekehrt.

Puccini soll mit seiner Frau Elvira ja eine sehr unglückliche Ehe geführt haben; die Frauen seiner Opern sind Traumfiguren, Projektionen, engelsgleiche Wesen, die nie jemandem begegnen können, weil sie keine Realität haben.

Von Peter: Zentrales Moment dieser Oper ist: Eine Frau stirbt, ein Dichter weint. Puccini schrieb ja an seinen Verleger: „Wenn dieses Mädchen Mimi, an dem ich so hart gearbeitet habe, stirbt, möchte ich, dass sie die Welt weniger für sich verlässt, sondern mehr für den, den sie liebte“.

Ist dieses Frauenbild heute nicht längst überholt?

Von Peter: Das Frauenbild schon, dennoch gibt es heute mehr Singles denn je. Unsere Prägung durch das Bild der absoluten romantischen Liebe ist nach wie vor groß – und damit die Angst davor, dass eine real gelebte Liebe nie unsere Erwartungen erfüllen kann, also zwangsläufig scheitern muss. Wir haben auch und gerade heute eine Überbeanspruchung der Liebeserwartung.

Die Regieanweisungen von Puccini sind sehr genau – ebenso wie die schnellen und feinen musikalischen Gesten der Partitur. Man kann ja manchmal denken, er habe jeden Schritt komponiert. Was heißt das für Sie? Sie arbeiten ja immer sehr stark aus der Partitur heraus.

Von Peter: Genau das ist erforderlich. Wenn man diese Kompositionstechnik missachtet, gleitet das Stück ganz schnell ins Banale und Unechte. Was wir zeigen müssen, sind keine filmrealistischen Vorgänge, sondern die fragmentierte Realität.

Könnte man sagen, dass dadurch die Figuren etwas scherenschnittartiges, etwas wie Spots, Momentaufnahmen haben?

Von Peter: Ich würde sagen, man muss das Herstellen einer Realität zeigen, die immer wieder zusammenkracht. Das „Nach-Spielen“ einer Realität. Es gibt ja auch keine Handlung, sondern nur Episoden eines Lebensgefühls. Das ist der Lebenskurs dieser Männer, sie reden ständig aneinander vorbei, inszenieren sich selbst. Die Frauen sind Literaturfiguren, die keinerlei Ambivalenz zeigen. Mimi ist ein sterbender Engel, die kann gar nicht echt sein.

Michael Gielen hat einmal darauf hingewiesen, dass das Endzeitgefühl im dritten Akt etwas mit Gustav Mahler zu tun hat. Können Sie das nachvollziehen?

Von Peter: Unbedingt. Da ist eine Liebe gestorben, die nie gelebt wurde – die vier Männer haben nur noch die Leere. Ein großer Nihilismus, eine unendliche Einsamkeit macht sich breit. Tatsächlich einer Endzeit vergleichbar.

Premiere am Sonntag um 18 Uhr im Theater Bremen.

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