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Auch in Bremen fällt Vergessen oftmals leichter

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Clemens Meyer
Clemens Meyer © -

Von Johannes BruggaierBREMEN · Erinnerung, sagt Erwin Miedtke, sei untrennbar mit der Kindheit verbunden. Die Prägung des neuen Erdenbürgers durch Eltern, Geschwister, Lehrer.

Pubertät, erste Liebe – alles klassische Stoffe der Weltliteratur. Es mag also einem rein philologischen Interesse geschuldet sein, wenn sich die 35. Literarische Woche (18. bis 30. Januar) unter dem Titel „Was fehlt  – was bleibt…?“ dem Thema „Erinnern und Vergessen“ verschreibt.

Vielleicht hatte der stellvertretende Direktor der Bremer Stadtbibliothek bei der gestrigen Programmvorstellung aber auch ganz andere Formen der Erinnerung im Sinn. Etwa jene an Rechercheergebnisse des Bremer Journalisten Henning Bleyl, die vor einem Jahr in dieser Zeitung erschienen sind. Bleyl erinnerte sich nämlich seinerseits an ganz dunkle Zeiten der deutschen Geschichte, in denen der Bremer Dichter Rudolf Alexander Schröder – später zur Ikone der Inneren Emigration ernannt – eine durchaus ambivalente Rolle spielte. Schröder ist Namensgeber der Stiftung, die für den Bremer Literaturpreis wie auch für die Literarische Woche verantwortlich zeichnet.

Heute, ein Jahr später, liegt ein von der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung in Auftrag gegebenes Gutachten vor. Die Bremer Kulturwissenschaftlerin Katharina Uhl präsentiert es im Anschluss an die Literarische Woche, am 1. Februar um 19 Uhr (Zentralbibliothek).

Zuvor wird bereits am 18. Januar um 19 Uhr der Münchener Historiker Christian Meier, gleichfalls in der Zentralbibliothek, für die Gnade der Verzeihung werben. Schon seit den alten Griechen, so seine These, setze die Menschheit auf Vergeben und Vergessen: das Patentrezept für die Völkerverständigung.

Im Kontrast zu dieser politischen, globalen Annäherung an das Leitthema der Veranstaltungsreihe, verfolgt Hanns-Josef Ortheil am 20. Januar den literarischen, privaten Ansatz. Erinnerung, unterstreicht Miedtke, sei schließlich ein zentraler Aspekt in Ortheils Werken: so auch in dessen neuestem Roman „Die Moselreise“, ein autobiographisches Dokument über die kindliche Entdeckung der Sprache und des Schreibens (20 Uhr in der Zentralbibliothek).

Arnaud Rykner ist Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Regisseur sowie Essayist zugleich, und wird das Programm folgerichtig in mindestens doppelter Funktion bereichern. Am 21. Januar (19.30 Uhr im Institut Français) gibt er erst den distanzierten Forscher, als welcher er sich einer wissenschaftlichen Analyse von Werken der Autorinnen Marguerite Duras und Nathalie Sarraute widmet. Anschließend ist er wieder ganz der Dichter, trägt er Passagen aus seinen jüngsten Romanen „Enfants perdus“, „Nur“ und „Le Wagon“ vor.

Clemens Meyer, vielfach und hochkarätig ausgezeichneter Schriftsteller aus Leipzig, liest am 22. Januar (20 Uhr in der Zentralbibliothek) aus seinem Tagebuch „Gewalten“, tags darauf am selben Ort stellen die ostdeutschen Autoren Jenny Erpenbeck und Peter Wawerzinek ihre aktuellen Bücher vor (12 Uhr). Dabei ist der Hinweis auf die geografische Herkunft durchaus zu beachten, handelt es sich doch um eine spezifisch deutsch-deutsche Reflexion des Themas.

Am 26. Januar dann: der Bremer Literaturpreis, feierlich verliehen in der Oberen Rathaushalle, mittags um 12 Uhr. Friederike Mayröcker ist in diesem Jahr die Geehrte, der Nachwuchspreis geht an Andrea Grill. Bereits am Abend zuvor (20 Uhr im Neuen Schauspielhaus) lesen beide Autorinnen aus ihren preisgekrönten Werken, „ich bin in der Anstalt“ (Mayröcker) und „Das Schöne und das Notwendige“ (Grill).

Es ist seit Jahren üblich, dass die Preisträger jeweils einen Kollegen auswählen, der sich am Tag der Preisverleihung dem Bremer Publikum präsentieren darf. Friederike Mayröcker hat sich für Sonja Harter entschieden, Andrea Grill lädt Ilir Ferra ein: Das „gemischte Doppel“ liest um 20 Uhr im Wall-Saal der Zentralbibliothek. Mit einem Dokumentarfilm über die Erinnerung an einen Vater schließlich, der sich seinerseits nicht mehr an seinen Sohn erinnern mag („Forgetting Dad“) geht die Literarische Woche am 30. Januar (20.30 Uhr im Kino 46) zu Ende.

Was fehlt? Was bleibt? Fehlen dürfte eine wirklich ambitionierte Auseinandersetzung mit Rudolf Alexander Schröders Rolle im Dritten Reich, bewältigt von namhaften Experten mit (auch geographischer) Distanz zum Untersuchungsgegenstand. Was bleibt: das ungute Gefühl einer typisch bremischen Alibi-Lösung, versteckt hinter dem offiziellen Programm.

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