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Ein Aufreger für die Salzburger Festspiele

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Wahrheiten ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten: Sebastian Nübling greift mit seiner „Judith“-Inszenierung seinen eigenen Geldgeber an.
Wahrheiten ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten: Sebastian Nübling greift mit seiner „Judith“-Inszenierung seinen eigenen Geldgeber an. © -

SALZBURG (Eig. Ber.) n Darf man seinen Geldgeber derart bloßstellen? Darf man seinem Hauptsponsor, dessen Überweisung den Salzburger Festspielen Planungssicherheit bis ins Jahr 2013 gibt, von der Theaterbühne herab erklären, dass man sein wirtschaftliches Gebaren für ethisch, moralisch verwerflich hält?

Genau das macht diese „Judith“-Inszenierung von Sebastian Nübling – und beweist die Macht der Kunst.

Ja jetzt, hat Salzburg einen ersten Aufreger. Und nein, dieser hat gar nichts mit dem inflationären Gebrauch der F/V-Wörter „Ficken“, „Fotze“, „Vögeln“ in dieser bildgewaltigen und sehr stimmigen Aufführung zu tun. Nein, auch dass Nübling seine Schauspieler Masturbation und Vergewaltigung spielen lässt, ist vom Text gedeckt und notwendig, um zu zeigen, dass Weltgeschichte seit jeher und schonungslos von Männern geschrieben wurde – mit Blut und Sperma statt Tinte.

Das, was vor allem der global agierende Lebensmittelkonzern Nestlé skandalös an diesem Abend, einer Koproduktion der Festspiele mit dem Schauspiel und der Staatsoper Stuttgart, finden wird, hat schlicht damit zu tun, dass auf dem Theater – endlich! – Wahrheiten ausgesprochen wurden, ohne dass die Künstler Rücksicht auf Befindlichkeiten nehmen. Da entschließt sich also Feldherr Holofernes Bethulien von der Wasserversorgung abzuschneiden, um das widerspenstige Volk der Hebräer auszutrocknen. Seine Gegenspielerin Judith lässt Nübling von drei Frauen spielen: Tajana Raj übernimmt den barocken Part aus Vivaldis Oratorium „Juditha triumphans“, Stephanie Schönfeld die Figur aus Friedrich Hebbels Stück und Anne Tismer hat ihrer modernen Judith einen zeitgenössischen Kommentar, eine Abrechnung mit unserer Welt- und Wirtschaftsordnung geschrieben. Als nun Holofernes die Lebensader Wasser kappt, rechnet Tismer wortgewaltig vor, wie ungerecht das Grundnahrungsmittel Wasser unter den Menschen verteilt ist. Holofernes wiederum antwortet mit einem langen Zitat Peter Brabecks. Der ist Chef von Nestlé, dem weltweit größten Abfüller von Trinkwasser und daher interessiert, die Preise dafür hochzuhalten: Holofernes erklärt nun mit Brabecks Original-Worten, warum es wichtig sei, dass es Wasser nicht kostenlos gibt. Anschließend könne man ja versuchen, „für diesen Teil der Bevölkerung, der keinen Zugang zu Wasser hat, dass man dort etwas spezifischer eingreift, und da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten“.

Eben jener Brabeck aber, den die Inszenierung hier als modernen Holofernes zeigt, dem zur Durchsetzung seines (wirtschaftlichen) Machtanspruchs jedes Mittel recht ist, hat ausgerechnet am vergangenen Samstag in Salzburg eine Verlängerung des Hauptsponsorvertrags um weitere vier Jahre zwischen Nestlé und den Festspielen unterzeichnet. Mit diesem Engagement wolle der Konzern kulturelle und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Leider konnte bei der „Judith“-Premiere nicht mehr geklärt werden, ob der Herr aus der ersten Reihe, der entnervt die Vorstellung verließ, zum Nestlé-Konzern gehörte.

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