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Beherzter Schritt ins Ungewisse

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BREMEN (Eig. Ber.) n „Die Gruppe habe eingesehen, dass sie mit den echt aussehenden Pistolen nicht im öffentlichen Raum umgehen sollte, teilte das Ordnungsamt mit“, meldete eine Frankfurter Zeitung im vergangenen Jahr. Von diesen und weiteren Aktionen und Einsichten berichtete die Gruppe „Taheter Unkst“ zum Abschluss des „Outnow!“-Nachwuchsfestivals in der Schwankhalle – in Performance, Dokumentarfilm und Erzählen an der Salatbar.

Für „I am not dead but I am divided“ hatte sich ein gutes Dutzend Performer, Maler, Regisseure 2008 für drei Wochen in der Städelschule am Main in Klausur begeben. Körper und Geist investiert für eine Forschungsreise durch die beizeiten alptraumartigen inneren Landschaften des surrealistischen Theatertheoretikers, schauspielernden Zeichners und mexikophilen Morphinisten Antonin Artaud (1896 bis 1948).

Was diese Reise ins Herz (und Hirn) der Finsternis von vielen anderen theatral-biographischen Recherchebewegungen unterscheidet, ist die Höhe der Investition. Denn kein Lebensbild dieses Godfathers der Performance-Kunst sollte inszeniert werden. Artauds entgrenzender Blick auf Theater und Wirklichkeit selbst war der am eigenen Leib zu erkundende Gegenstand. „Mit der gehörigen Heftigkeit (...) auf einer umfassenden Ebene, deren Weite unsere gesamte Vitalität ergründet und uns mit allen unseren Möglichkeiten konfrontiert“, wie Artaud es im Manifest „Theater der Grausamkeit“ formulierte. Mit Spielzeugpistolen durch Innenstädte zu laufen – und dafür nicht, wie der Franzose ins Sanatorium, sondern nur vom Ordnungsamt des Platzes verwiesen zu werden –, ist nur ein Teil.

Über Pianocluster greinte eine der „Taheter Unkst“-Akteurinnen schneidend wie ein Baby, wurde von ihrer Kollegin in einen Einkaufswagen verfrachtet. Am anderen Bühnenende malte ein anderer grafitiartige Zeichen auf ausgelegtes Papier, murmelte und rumpelte dazu. Die vor- oder nichtsprachliche Stimme, das Ritualisierte, Unmittelbare ist zentraler Bestandteil der Artaud’schen Melange. Wie die bizarren Körper, die in der folgenden Filmdokumentation eines Rundgangs durch des Meisters Gehirn selbiges bevölkerten. Being Antonin Artaud – hier eher in trashig-körperbetonter Cronenberg-Optik à la Naked Lunch denn wie die eleganten Oberflächen von Spike Jonze’ „Being John Malkovich“.

„Taheter Unkst“ präsentierten „I am not dead but I am divided“ als ebenso seltenes wie spaßiges Gruppen-Experiment mit ungewissem Ausgang. Auch wenn der mittlerweile längst zum Ahnherrn und Werkmeister erkorene Artaud mit den Meisterwerken doch deutlich Schluss machen wollte: Mit dem beherzten Schritt ins Ungewisse, mit dem konzertierten Verzicht auf klare Erzählstränge (und damit auch auf eine eindeutige Artaud-Interpretation) gelangen „Taheter Unkst“ an unangenehme Orte. Wo Geräusche, Bewegungen, schiere Präsenzen von Körpern eben nicht – ach, Kunst! Das ist dies und jenes jenes! – eindeutig gelesen werden können. Auch das Anekdotische der Spielzeugpistolenepisode verzeiht sich – weil (mit Rückgriff auf ein surrealistisches Damals) die Beziehung des Theaters zu unserer Gegenwart unterhaltsam befragt wird.

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