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Bewegungen im Crash

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Dinge, die nach draußen gehören: „Direct Reflections“ von Evan Robarts im Kunstverein Bremerhaven. Fotos: Ben Hermanni
Dinge, die nach draußen gehören: „Direct Reflections“ von Evan Robarts im Kunstverein Bremerhaven. Fotos: Ben Hermanni © -

Bremerhaven - Von Radek Krolczyk. In den Ausstellungsräumen des Bremerhavener Kunstvereins findet man noch bis Dienstag allerlei Dinge, die eigentlich nach draußen gehören. Es scheint, als habe irgendjemand das Äußere der Stadt ins Innere einer ihrer Bauten gestülpt. Da wäre beispielsweise ein Baugerüst, ein recht gewöhnliches, modular zusammengesteckt aus Stahlrohren und Bohlen. In der großen Ausstellungshalle des Kunstvereis ist es über Eck an der Wand aufgebaut. Manche der recht-, manchmal aber dreieckigen Zwischenräume sind farbig ausgemalt. Die Farbflächen sind rot, gelb und schwarz, hell- und dunkelblau. Die Arbeit hat den Titel „Brushstroke“. Der amerikanische Künstler Evan Robarts hat sie hier installiert.

Robarts ist ein besonderer, wenn auch kein besonders bekannter Künstler. Er wurde 1982 in Miami geboren; er lebt und arbeitet in Brooklyn. Sein junges Werk wurde bisher vor allem in den USA gezeigt. In Deutschland ist es seine erste institutionelle Einzelausstellung. In Köln wird er von der Galerie Berthold Pott vertreten, die ihm 2017 unter dem seltsamen Titel „A bright, cold day in April“ eine erste Einzelschau widmete. Ein Farbfeldbaugerüst wie in Bremerhaven, war dort bereits zu sehen. Und auch in Bremerhaven wirkt es durch die Verbindung von Farbe, Stahl und Straße „bright and cold“.

So sehr es stimmt, dass Robarts in Arbeiten wie diesen die Straße nach innen stülpt, so sehr stimmt auch, dass er sie dort schließlich mit den Mitteln der Kunst domestiziert. Interessant ist somit nicht nur der Umstand, dass man ein Baugerüst in einem Ausstellungsraum wiederfindet, sondern ebenso, dass dieses Baugerüst dann die Schablone oder das Raster für Robarts‘ Farbfeldmalerei bietet.

Die Straße wird also nicht einfach nur transferiert, es geht weder um ihre Musealisierung, noch um einen Nimbus von Authentizität, sondern um etwas vollkommen anderes. Denn Robarts sichert seine Straßenfundstücke, um mit ihrer Hilfe schließlich (in einem Innenraum) ein Kunstwerk zu entwickeln.

Gleichzeitig crashen hier mehrere zentrale Bewegungen der Kunst des 20. Jahrhunderts ineinander: Farbfeldmalerei, Minimal, Spurensicherer und selbstverständlich Street Art. Denn in einer Stadt wie New York werden Gerüste wie dieses natürlich auch oftmals draußen auf der Straße im Dienste der Kunst verwendet. In New York gibt es, anders als in Bremerhaven, seit Jahrzehnten schon eine stark entwickelte Streetart-Kultur, deren Teil eben großformatige Wandbilder, sogenannte Murals sind, für deren Fertigstellung man Baugerüste benötigt. Anders als bei der akkuraten und sauberen Farbfeldmalerei, sind Robarts‘ Farbflächen schmutzig und ungleichmäßig. Manche scheren gar als herunterfließende Farbe aus dem Raster.

Dass Robarts sich in seiner urbanen, künstlerischen Praxis nicht auf irgendeinen beliebigen städtischen Raum bezieht, sondern auf den konkreten New Yorks, wird an vielen seiner Arbeiten sichtbar. Der Kölner Ausstellungstitel „A bright, cold day in April“ ist dem Prolog zu George Orwells dystopischem Roman „1984“ entnommen. In Bezug auf eine Arbeit wie das Farbfeldgerüst, das ja eigentlich ein Anstreichergerüst ist, wird eine künstlerische Kritik an der ständigen „Verbesserung“ eines Lebensumfeldes wie der Stadt bemerkbar.

In derselben Ausstellungshalle befindet sich eine an Holzdielen und Aluprofilen an die Wand gebrachte Collage aus Bodenbelägen, deren Herkunft der Werkstitel bereits verrät: „147 North 4th Street“. Evan Robarts hat an dieser recht klar bezeichneten Stelle New Yorks einen abgenutzten Bodenbelag mit Schachbrettmuster gesichert, ihn später zerschnitten und an der Wand des Kunstvereins neu zusammengesetzt. Es ist eine verwirrende und schöne Komposition geworden. Ein Schachbrettmuster ist eine geschlossene und prinzipiell endlos denkbare Struktur. In Robarts‘ Wandbild nun hat dieses totalitäre Muster Lücken, die Quadrate sind beschädigt, manche sogar zerschnitten.

Im Kabinett des Kunstvereins schließlich sind drei Arbeiten aus seiner Serie „Newspeak“ zu sehen. Es handelt sich dabei plattgewalzte und zurechtgebogene Drahtkörbe. Die farbig ummantelten Gestelle hat Robarts an Stationen der New Yorker Metro gefunden. In ihnen liegen Gratiszeitungen zum Mitnehmen aus. Die meisten dieser Zeitungen, „The Epoch Times“, „Epoch Week“, oder „Metro“ zum Beispiel, sind Boulevardblätter, mit einem starken Propagandaeinschlag. Angeblich werden die Zeitungen der Epoch Gruppe sogar von einem chinesischen Großkonzern mit Nähe zur politischen Führung der Volksrepublik finanziert. Die Namen der Zeitungen sind noch gut an den verbogenen Zeitungsständern zu lesen. Robarts hat sie in ihrer transformierten Form auf den Boden gestellt und an die Wände gebracht. Die „Newspeaks“ erinnern auf diese Weise an bunte Vögel, vielleicht sogar an Papageien, die natürlich auch viel Quatsch erzählen, allerdings unkontrolliert und ohne Absicht.

Dass solch ein junges, wenig bekanntes, einfaches und zugleich hochkomplexes Werk ausgerechnet im Bremerhavener Kunstverein zu finden ist, überrascht nicht. Eine solche Präsentation ist nämlich in der Tradition der Ausstellungspraxis der 60er- und 70er-Jahre zu sehen. Der damalige Vermessungsingenieur Jürgen Wesseler brachte damals ebenso junge, wenig bekannte, einfache und zugleich hochkomplexe Werke in den Bremerhavener Kunstverein. Darunter Künstler wie Blinky Palermo, Manfred Pernice, Bas Jan Ader oder On Kawara.

Sehen

Bis Dienstag, Kunstverein Bremerhaven.

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