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Jazzahead läutet mit polnischer Nacht Konzert-Mammutprogramm ein

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Zukunftsweisende Symbiose: Die „Junge Wilde“ Joanna Duda wechselt zwischen Flügel, Wurlitzer und Computer. - Foto: Ulla Heyne
Zukunftsweisende Symbiose: Die „Junge Wilde“ Joanna Duda wechselt zwischen Flügel, Wurlitzer und Computer. © Ulla Heyne

Bremen - Von Ulla Heyne. Nun hat sie die Stadt also wieder fest im Griff, nicht nur mit ihrem omnipräsenten Logo mit dem grünen Pfeil: die Jazzahead. Eigentlich steht Bremen zwar schon seit zwei Wochen im Zeichen eines der weltweit größten Jazzfestivals. Mit zahlreichen Veranstaltungen rund um das diesjährige Partnerland Polen haben die Organisatoren auch schon gut vorgelegt. Aber so richtig Jazzahead ist eben erst, wenn in den Messehallen internationales Gemurmel die Träger der dieses Jahr knallroten Stofftüten umgibt, die sich an den Messeständen zwischen Labels, Festivalveranstaltern, Musikerinitiativen und Ländervertretungen durch die Gänge schieben.

Die Fülle des Angebots stellt die Besucher auch in diesem Jahr vor ein Dilemma. Jazzahead: Das ist zu viel – und zu wenig. Zu viele Acts, die an drei Tagen mit 40 Konzerten auf drei Bühnen Einblicke in die polnische, deutsche und internationale Szene geben, um jeden einzelnen aufnehmen oder auch nur sehen zu können – und mit 30 Minuten zu wenig Zeit für jeden einzelnen Künstler, um die Bandbreite seines Schaffens zu zeigen. Diese Überforderung der Sinne bahnt sich schon bei der „Polish Night“ an, die die dreitägige Sinnesattacke einläutet. Acht Bewerber hatte die Jury aus der Vielzahl an Bewerbungen ausgewählt (insgesamt waren es über 600 für die Showcases), darunter renommierte Szenegrößen wie das Marcin Wasilewski Trio. In klassischer Besetzung, mit von Klavier dominierten Improvisationen über dem Rhythmusfundament von Bass und Schlagwerk, verkörpert das Trio klassischen Jazz, der mit klugen, melodiösen Phrasierungen zeigt, dass es keiner ausgefallenen Formationen oder Technik bedarf, um Modernes und Traditionelles zu verbinden.

Andere Wege gehen die beiden ersten Acts, die man zu den „Jungen Wilden“ der polnischen Szene zählen könnte – auch wenn „wild“ bekanntlich relativ ist. Auch beim Kamil Piotrowicz Sextett als Opener steht der Pianist und Namensgeber im Zentrum des Geschehens; allerdings gibt er eher die Struktur vor, über die zwei Saxofone und eine Trompete mit improvisatorischen Einwürfen ihren Stempel setzen. Spannend wird es, wenn Piotrowicz die Tasten gegen per Hand manipulierte elektrische Steckverbindungen eintauscht – hörenswert, die Klangwelten zwischen R2D2 und fehlgeschlagenen Analogverbindungen aus der Zeit moosgrüner Wählscheibentelefone.

Auch nach dem obligatorischen Wechsel in den Schlachthof bleibt es elektrisch: Die Pianistin Joanna Duda integriert bei ihrem Trio mit klassischer Schlagzeug-Bass-Besetzung elektronische Klänge der Dance-Music – eine zukunftsweisende Symbiose.

Einen Vorstoß in andere Genres unternimmt Monika Borzym, immerhin die zweite weibliche Bandleaderin des Abends. Rap wie bei ihrer Zusammenarbeit mit Ten Typ Mes ist von der Vokalistin zwar nicht zu hören, aber Ausflüge in den Pop, eine reduzierte Ballade in Singer-Songwriter-Manier – und auch Michal Zaborski (Viola) vom nachfolgenden Atom String Quartet wird auf die Schlachthof-Bühne geholt. Die vier Musiker an Violine, Viola und Cello wiederum überzeugen, wie schon 2015 im Rahmen der internationalen Showcases, mit Originalität: In furiosen Interpretationen verschmelzen Klassik, Volkslieder und Spielwitz.

Wer mag, hört dann nach dem High Definition Quartet zu fortgeschrittener Stunde noch beim jungen Saxophonisten Kuba Wiecek rein, der bereits beim Opener Akzente gesetzt hatte, oder lässt den Abend mit dem energetischen Free Jazz von „Power of the Horns“ ausklingen – und rüstet sich für ein langes Jazz-Wochenende voller „zu viel“ und „zu wenig“.

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