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Wundersame Poesie auf Essbesteck

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„Spritgeld Tränen Knabberfarm“ steht auf diesen Gabeln von Matthias Ruthenberg. - Foto: Caspar Sessler
„Spritgeld Tränen Knabberfarm“ steht auf diesen Gabeln von Matthias Ruthenberg. © Caspar Sessler

Bremen - Von Radek Krolczyk. Die aktuelle Ausstellung von Matthias Ruthenberg in der Bremer Galerie für Gegenwartskunst ist eine echte Überraschung. Er zeigt Besteck, also Buttermesser, Suppenlöffel und Gabeln, aber auch Kellen und Kuchenbesteck. Der Künstler, der kürzlich mit seiner Familie von Bremen ins französische Metz übersiedelte, ist für seine seltsamen Handzeichnungen bekannt. Wobei er damit immer schon an die Ränder dessen ging, was eine Zeichnung sein kann. Ganz wörtlich etwa bei der Meisterschülerausstellung 2016 in der Weserburg, wo er die gesammelten, gelochten Ränder seiner Zeichenblätter zu riesigen Bildern rahmte. Kleine, zufällige und scheinbar überflüssige Bleistiftlinien gelangten so zu einer neuen Form und großer Aufmerksamkeit.

Mit kleinen unikaten Künstlerbüchern gewann er den diesjährigen Bremer Kunstförderpreis. Die Hefte selbst sind geprägt von einer großartigen Unaufgeregtheit: Gitterstrukturen sind darin zu sehen, die sich über die Seiten hinweg verändern, ungleichmäßig werden. Spuren von Radiergummi weisen darauf hin, dass es gar nicht so einfach ist mit diesen Strukturen, nicht nur für den Zeichner. Zugleich braucht man diese Strukturen aber auch dringend, möglicherweise geht es nicht ohne. Gerade bei einem Medium wie der Zeichnung zeigt sich das deutlich, denn hier geht es schließlich um die Linie, die trennt und verbindet, Ordnung schafft. Ruthenberg verbaut sie zu Strukturen, er bricht und korrigiert sie.

Fantastisch wird es, wenn das Wort hinzukommt, kleine Verse, seine wundersame Poesie. Man merkt, dass sie sowohl ihrer Form als auch ihrem Inhalt nach den Linien ähneln. Es sind kinderhaft gezeichnete Sätze wie: „Die Zeit zwischen heißem und kaltem Kaffee“ oder „Neben meiner 15 Jahre jüngeren Mutter sitzen und rauchen“. Solche Sätze findet man auch auf dem Besteck in der aktuellen Galerieausstellung: „Nichts am Leib als das Gefühl der ersten Ferientage“, steht da etwa, verteilt auf Löffel, Gabel, Messer. Oder schlicht „Sparkasse“ auf einer kleinen Kuchengabel.

Schau erinnert an einen Juwelierladen

Die Buchstaben und Zeichnungen hat Ruthenberg in das Metall hineingeätzt wie bei Radierungen. Wenn man wollte, könnte man die Besteckteile als Druckplatten verwenden. Die Bestecke sind oftmals so kombiniert, dass sie für ein Menü völlig ungeeignet wären. Der Aufbau der Schau erinnert eher an einen Juwelierladen. Angeordnet hat Ruthenberg das Besteck auf samtbraunen Sockeln, diese schönen Gegenstände sollen schließlich auch Begehrlichkeiten wecken. Ruthenberg hintertreibt diesen Charakter jedoch zugleich, indem er dafür preiswertes Edelstahlbesteck und Dämmwolle verwendet. Das ist alles schon recht häusliches Material. 

Was auch auf eine andere Werkgruppe zutrifft: Ebenfalls in der Galerie für Gegenwartskunst zu sehen sind Glasplatten, die man schon in der Ausstellung zum Jürgen-Ponto-Stipendium in der Bremer Kunsthalle zum Jahreswechsel sehen konnte. Die Scheiben sind mit Kreide bestrichen, inakkurat und verschwommen. Darin und darüber finden sich Sätze und Strukturen. Solche halbdurchsichtigen Glasplatten sind Ruthenberg in den Straßen von Metz aufgefallen: Schaufenster leer stehender Ladenlokale werden unmotiviert so zugeschmiert. Bei Ruthenberg, der diese Straßenbeobachtung in sein Werk überführt, ist das natürlich anders. Er versucht hier mit der Fläche, was er mit der Linie seit Jahren erprobt: das Verhältnis von Spiel und Struktur.

Bis 1. Juni, Galerie für Gegenwartskunst, Bleicherstraße 55, Bremen.

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