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Menschen, die auf Post-its starren

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Arbeit? Hauptsache flexibel. - Foto: Alina Schmuch
Arbeit? Hauptsache flexibel. © Alina Schmuch

Bremen - Von Rolf Stein. Es gibt Menschem die wollen sich nach Feierabend vor allem mit einem nicht beschäftigen: mit der Arbeit. Andere, und deren Zahl hat gefühlt in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen, kennen derweil so etwas wie Feierabend gar nicht. Sagen zumindest einige von ihnen. Von denen wiederum finden zumindest einige das gar nicht schlimm, weil: Selbstverwirklichung, Arbeit als Lebenssinn.

Darin scheint der Charakter von Erwerbsarbeit als gesellschaftlich bedingt ausgelöscht. Allerdings ist inzwischen ruchbar geworden, dass beispielsweise die Flexibilität, die in der tendenziell grenzenlosen Ausdehnung der Arbeitszeit liegt, einen Preis hat, den in der Regel der sich selbst ausbeutende Freelancer zahlt. Diagnose Burn-out, Therapie: Achtsamkeit.

Klingt alles ganz gruselig? Ist es auch. In diese neue Welt der Arbeit führt uns die Medienkünstlerin Künstlerin Alina Schmuch in ihrer aktuellen Ausstellung im Bremer Künstlerhaus. In einer Reihe von Videoarbeiten wirft sie nüchterne Blicke auf hippe junge Menschen, die auf Post-its starren. Menschen, die sich in Workshops in Achtsamkeit und Mitgefühl schulen lassen. Menschen, die in den im postindustriellen Chic gestylten Büroetagen nicht nur arbeiten, sondern auch unter Anleitung etwas machen, vielleicht Yoga oder etwas Ähnliches.

Die Menschen in Schmuchs Filmen wirken dabei nicht, als seien sie von der Kamera irritiert. Ihnen dürften die Motivationsseminare, die Fitnessprogramme, die Flipchart-Präsentationen, das Mindmapping beinahe zur Natur geworden sein. Und besonders fremd wirken sie auch für uns nicht, auch wenn diese neue Kultur der Selbstausbeutung, die Schmuchs „inneres Büro“ zeiht, in den Metropolen der USA selbstverständlicher erscheint.

Wie sich diese Formen, die den auf immateriellen Gütern, nämlich Informationen basieren, in der Peripherie fortsetzen, hat Schmuch ebenfalls festgehalten: Auf den Philippinen untersuchte sie, wie Outsourcing heute geht: Nicht nur prekäre Arbeit im Callcenter oder – schlimmer noch – in der Textilfabrik wird abseits der westlichen Industriestaaten geleistet. Heute arbeiten dort hochqualifizierte Menschen als sogenannte virtuelle Assistenten, die für wenig Geld dem strapazierten Metropolenbewohner lästige Arbeit abnehmen – per Computer und Internet.

Begutachten lässt sich das auf bequemen Sitzsäcken. Vielleicht sind sie geeignet, nicht nur den Wert von Muße spürbar zu machen, die nicht nur dazu da ist, uns für die Arbeit flott zu machen, sondern auch das Denken anregt.

Alina Schmuch: „The Inner Office“, Eröffnung: Samstag, 19 Uhr, Ausstellung bis 18. November, Künstlerhaus Bremen; Offene Ateliers: Samstag, 16 bis 22 Uhr, Sonntag, 13 bis 18 Uhr.

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