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Jonathan Safran Foer: „Wer allein fährt, fährt mit Hitler“

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„Wir können nicht die vertrauten Mahlzeiten und zugleich den vertrauten Planeten behalten.“
„Wir können nicht die vertrauten Mahlzeiten und zugleich den vertrauten Planeten behalten.“ © afp

Das neue Buch von Jonathan Safran Foer ist eine exzellente Recherche zum Klimaschutz – und nebenbei ein Lehrbuch über die Psychologie der Massen.

Wer wuchtig wummernde Machtworte für das Weltklima erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Die äußeren Ränder in der Klimadiskussion sind längst klar besetzt, jetzt braucht es neue Ideen und überraschende Argumente, um die Mitte der Debatte zu gewinnen. In diesem Sinn hat Jonathan Safran Foer das Buch der Stunde geschrieben.

„Wir sind das Klima!“ ist wieder ein exzellent recherchiertes Sachbuch mit autobiografischen Allegorien wie sein Bestseller „Tiere essen“. Es ist nicht so extrem laut wie die Klage gegen die industrielle Tierproduktion, geht aber vielleicht gerade deswegen unglaublich nah. Dem US-Schriftsteller ist so nicht weniger als eine ungewöhnliche, mitreißende Antwort auf die etwas abgenutzte Frage gelungen: Warum und wie soll ich mich für Klimaschutz engagieren?

Foers Analyse der Ausgangssituation startet schonungslos: „Die Geschichte von der Krise unseres Planeten ist schwieriger zu erzählen und obendrein ist sie nicht ,gut‘. Nicht bloß überzeugt sie uns nicht, sie interessiert uns nicht einmal.“ Nur wenige Schriftsteller widmeten dem Klima ihr Werk und als Spielidee für den Kindergarten sei die Umweltkrise auch nicht geeignet. Der Anstieg der Temperatur bleibe so abstrakt, dass selbst sensible Menschen mit hoher Empathie zwar kurz schockiert innehielten, für die Lösung der Krise dann aber doch weniger Zeit investierten als für ihren Lieblingssportverein.

Jonathan Safran Foer in neuem Buch: Klimaschutz ist machbar

Foer hat nebenbei ein Lehrbuch über die Kunst der Mobilisierung der Massen geschrieben. In einer Reihe ungewöhnlicher und präzise sezierter Beispiele führt er vor, warum Menschen wegschauen und schließlich doch lernen hinzuschauen. Ein besonders eindringliches: 1943 schlug sich der katholische Widerstandskämpfer Jan Karski bis nach Washington durch. Er berichtete dem Verfassungsrichter Felix Frankfurter detailreich von den deutschen Kriegsverbrechen. Der Top-Jurist, selbst Jude, gestand unumwunden ein, dass er trotz der schieren Übermacht der Fakten „nicht glauben kann, was Sie mir da erzählen“. Die Parallele zum Klima liegt auf der Hand: Wir kennen alle notwendigen Daten, handeln aber nicht. „Dieser Abstand zwischen Bewusstsein und Gefühl macht es oft selbst klugen, engagierten Leuten, die gerne etwas tun wollen, schwer wirklich aktiv zu werden.“

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Jonathan Safran Foer erklärt in Buch, wie Klimaschutz im Kleinen gelingen kann

Andererseits haben sich selbst massive gesellschaftliche Gewohnheiten geändert: Wir rauchen inzwischen nicht mehr im Flugzeug, schnallen uns im Auto an, lassen uns kollektiv gegen Polio impfen. Wie gelingt es also, kollektive Gewohnheiten zu ändern? Foer bohrt in die Wirkmechaniken der Propaganda. Warum haben die Amerikaner während des Zweiten Weltkrieges jeden Abend die Häuser verdunkelt? Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs der Deutschen war minimal. Doch so machte Präsident Theodore Roosevelt die abstrakte Bedrohung auch weit entfernt von der Front konkret erlebbar. 

Ist die geglaubte Erzählung einmal geschaffen, lässt sie sich ausbauen. „Wer allein fährt, fährt mit Hitler!“ warb die US-Regierung auf Plakaten für Fahrgemeinschaften, um Material und Benzin zu sparen. Das Klima wird wahrscheinlich nicht dadurch gerettet, dass wir im Kleinen etwas ändern. Doch wenn wir nicht unterstützen, dass die Truppen die Normandie des CO2-Ausstoßes erobern, wird nichts passieren. Foers Conclusio zeigt, wie sinnvoll es ist, dennoch im Kleinen anzufangen: Nur wenn der einzelne seine Gewohnheiten ändert, wird er die großen Veränderungen akzeptieren.

Kein Dogmatismus sei gefragt, erklärt Foer, sondern machbares Maßhalten

Foer zielt in die Mitte der Gesellschaft. „Das Gegenteil von jemandem, der viele tierische Produkte konsumiert, ist jemand, der beim Konsum tierischer Produkte Maß hält.“ So einfach ist es. Kein Dogmatismus sei gefragt, sondern machbares Maßhalten.

Wegen seines Wuchtwerks „Tiere essen“ sind seinerzeit zahlreiche Leser Vegetarier, wenn nicht Veganer geworden – um hinterher zu merken, wie schwer es ist, das durchzuhalten. Der Erfolgsautor des Essenswandels lässt die Wankelmütigen aufatmen, wenn er bekennt, dass er selbst schließlich der eigenen unbändigen Fleischeslust zum Opfer fiel – ausgerechnet mit Burgern aus dem Flughafen-Billigladen. Die eigene Schwäche baut eine Brücke der Empathie zu seiner glockenklar vermittelten Botschaft.

"Wir sind das Klima" von Jonathan Safran Foer ist ein Lexikon der Klimakrise

Im Mittelteil seines Buches hämmert der 42-Jährige nämlich humorlos Hintergrundinformationen zum Klimawandel ins Hirn der Leser. Wer eine kleine Enzyklopädie der Klimafakten sucht: Hier ist sie. Besonders beeindruckt die lapidare Liste, wie viel CO2-Emissionen pro Kilogramm in einer Portion Lebensmittel steckt: Rindfleisch (3), Käse (1,11), Schweinefleisch (0,78), Geflügel (0,57), Eier (0,40), Milch (0,33), Reis (0,07), Hülsenfrüchte (0,05), Karotten (0,03) und schließlich Kartoffeln (0,01). Immer wieder (und er dokumentiert das in einem eigenen Anhang) problematisiert er, wie unterschiedliche Berechnungen zustande kommen. 

Die vier wirksamsten Maßnahmen für Klimaschutz

Auch den Klimaleugnern schreibt er eine Sentenz ins Stammbuch: „Es ist gefährlich so zu tun, als wüssten wir mehr, als wir tatsächlich wissen. Aber noch gefährlicher ist es, so zu tun, als wüssten wir weniger.“ Sie nicken beim Lesen? Dann lohnt sich der Blick auf die Gegenseite. Auch die politische Linke bekommt ihr Fett weg: „Vorwürfe können auch ein Mittel sein, sich selbst den Blick in den Spiegel zu ersparen.“

Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima! A. d. Engl. v. S. Jacobs/ J. Schönherr. Kiepenheuer & Witsch. 336 S., 18,99 Euro.
Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima! A. d. Engl. v. S. Jacobs/ J. Schönherr. Kiepenheuer & Witsch. 336 S., 18,99 Euro. © Kiepenheuer & Witsch

Was also tun? Die vier wirksamsten Maßnahmen gegen den Klimawandel, die der einzelne nach Foers Recherchen ergreifen kann, sind pflanzliche Ernährung, auf Flugreisen und auf ein Auto verzichten und weniger Kinder kriegen. Da alle anderen Maßnahmen in irgendeiner Weise von zahlreichen Rahmenbedingungen abhängen, verkürzt Foer seinen Rat für die Reduzierung von CO2 auf einen einzigen Satz: „Keine tierischen Produkte zum Frühstück und Mittagessen zu konsumieren, spart jährlich 1,3 Tonnen.“ Einfach mal den Planeten schon beim Frühstück retten, so verdichtet der Vater zweier Kinder seine Mitmachvision.

„Wir sind das Klima!“ ist auch formal ein ganz ungewöhnliches Buch, es fasziniert, verwirrt und spricht den Leser auf völlig unterschiedlichen Ebenen an. Der Literat im Autor Jonathan Safran Foer zaubert ein eigenes Kapitel „Gespräch mit der Seele“ zwischen all die Fakten und Fallbeispiele. In einem Selbstgespräch lotet er die Argumente des Zauderns, des Nichthandelns aus, so ehrlich, wie man in den besten Momenten nur zu sich selbst ist. Seine Seele schwankt zwischen Hoffnungslosigkeit, dass alles längst zu spät sei. Und einer Epiphanie, in der der Einsatz des einzelnen sich verbindet mit Erfindungen, Änderungen der Gesetzgebung, mit Graswurzel-Initiativen bis zu Stars, die als Vorbilder fungieren.

Alte Gewohnheit oder Planet? Foer fordert eine Entscheidung

Jonathan Safran Foers Buch gräbt sich tief ein durch seine Fakten. So verdichtet er in engeren Argumentationskreisen die Klimakrise auch mit Fragen der Gerechtigkeit. Er schreibt über das Schicksal der Bangladeschi, die weltweit mit am wenigsten CO2 produzieren und damit am wenigsten für die Umweltschäden verantwortlich sind, die ihnen zu schaffen machen. Foers Buch prägt sich nachhaltig ein, weil er seine Sprache – vorzüglich übersetzt von Stefanie Jacobs und Jan Schönherr – immer in den Dienst seiner Sache stellt. „Der Klimawandel ist die größte Krise, der die Menschheit jemals gegenüber stand. Wir können nicht unsere vertrauten Mahlzeiten und zugleich unseren vertrauten Planeten behalten. Eins davon müssen wir aufgeben.“

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