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Buch und Musical erzählen von einer jüdischen Familie aus Bremen

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Eintrag ins Goldene Buch: Elise Garibaldi (v.l.), Ruth Bahar und Bremens Bürgermeister Carsten Sieling. - Fotos: Senatspressestelle
Eintrag ins Goldene Buch: Elise Garibaldi (v.l.), Ruth Bahar und Bremens Bürgermeister Carsten Sieling. - Fotos: © Senatspressestelle

Bremen - Von Katia Backhaus. Der „Holocaust Theater Catalog“ der US-amerikanischen Nationalen Jüdischen Theaterstiftung an der Universität Miami verzeichnet aktuell rund 850 Theaterstücke zum Thema Holocaust. Eins davon ist das Musical „Roses in a Forbidden Garden – A Holocaust Love Story“, das die Geschichte der Bremer Jüdin Inge Berger, geborene Katz, erzählt.

„Roses in a Forbidden Garden“, das ist auch der Titel eines Buchs, das Elise Garibaldi, die Enkelin von Inge Berger, bereits 2016 über die Geschichte ihrer Großeltern veröffentlicht hat. Inge, Tochter des Bremer Großhändlers Carl Katz, wurde mit ihrer Familie im Juli 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort lernte die damals 18-Jährige den Mitinsassen Schmuel Berger kennen, die beiden verlieben sich. Schmuel wird 1945 nach Auschwitz deportiert – doch er überlebt, die beiden treffen sich nach dem Krieg in Bremen wieder und heiraten. Eine Liebesgeschichte, die ihre Manifestation in einer Rose findet, die der junge Mann verbotenerweise im SS-Garten des Lagers pflückt und die Inge bis heute aufbewahrt.

Im Bremer Rathaus stellen Elise Garibaldi und Ruth Bahar, die Tochter Bergers, am Mittwochabend die deutsche Übersetzung dieses Buchs und, vor allem, einige Lieder aus dem Rockmusical „Roses in a Forbidden Garden“ vor. Garibaldi, die ihre ersten Lebensjahre in Bremen verbrachte, aber in den USA aufgewachsen ist und das Publikum auf Englisch begrüßt, hat es geschrieben. Am 7. Dezember feierte es Premiere in New York.

Stell dir vor, sie hätten Maschinengewehre: Am Mittwoch gab es im Rathaus neben Musikstücken aus dem Rockmusical „Roses in a Forbidden Garden“ auch Choreografien von Berliner Tänzern.
Stell dir vor, sie hätten Maschinengewehre: Am Mittwoch gab es im Rathaus neben Musikstücken aus dem Rockmusical „Roses in a Forbidden Garden“ auch Choreografien von Berliner Tänzern. © Senatspressestelle

Der Holocaust als Rockmusical – das ist hierzulande „keine alltägliche Vorstellung“, merkt Bürgermeister Carsten Sieling in seiner Einführung an. Hierzulande, wo ein vermeintlicher Hitlergruß eines linken Punksängers für Aufregung sorgt; hierzulande, wo immer wieder die Frage im Raum steht, was man eigentlich darf; hierzulande, in Deutschland, wo man „in Zeiten wie diesen“ sagt, wenn man Veranstaltungen wie diese eröffnet.

Einer E-Gitarren-Interpretation des jüdischen Gelübdes Kol Nidrei folgt der „Roses Theme Song“, vorgetragen von Manja Stephan aus Bremen. Nach diesem gefühlvollen Lied wird die Stille von vier Paar glänzenden schwarzen Stiefeln durchbrochen, die das Parkett im Oberen Saal laut knarren lassen. Männer mit gestriegelten Haaren und in schwarzen Mänteln marschieren nach vorn. Harte Gesichter blicken ins Publikum. Die SS ist da! Zum ersten Mal kam sie im März 1933.

SS-Männer mutieren zu Tänzern

Ruth Bahar liest jetzt die Szene vor, wie die „Schutzstaffel“ am Abend des 9. November 1938 ins Bremer Haus der Familie Katz kommt. Und dann erklingt das Lied dazu: „Get out“. Johnny Andriani, Co-Komponist des Musicals, steht am Mikro, hinter ihm mutieren die SS-Männer zu Tänzern. Ihre Choreografie: Hitlergruß und angedeutete Maschinengewehrsalven.

Am nächsten Tag schreibt Andriani bei Facebook: „Ich dachte, ich hätte das nur geträumt: Dass ich vor deutschen Bürgern singen würde, vor solchen, die noch nie einen Juden gesehen haben, und vor solchen, deren Großeltern tatsächlich bei der SA waren.“

Jogginghosen beim Empfang

Andere Lieder werden nur mit Videos begleitet. In einem ist Andriani mit einer Häftlingsnummer auf dem Arm zu sehen, Bilder aus Auschwitz und anderen Konzentrationslagern wechseln sich mit Aufnahmen des Bremer Hauptbahnhofs ab. Dort verabschiedete sich Inge im November 1941 von ihrer engsten Freundin Ruthie, die mit ihrer Familie zu den 971 Bremer Juden gehörte, die nach Minsk deportiert wurden. Die Mädchen sahen sich nie wieder.

Klar, ein Musical über den Holocaust will einem jungen Publikum die Vergangenheit nahebringen. Ob man das darf, ist in diesem Fall weniger die Frage – als Enkelin beziehungsweise Tochter von Inge Berger sind Garibaldi und Bahar Teil der Geschichte. Weniger eindeutig ist, wie gut oder ob das Musicalgenre an sich zur deutschen Gedenkkultur passt. Die Gefahr unfreiwilliger Überschreitungen ethischer und ästhetischer Grenzen liegt dort nah. Auch wenn man darüber lange diskutieren könnte: Dass die Darsteller für den anschließenden Empfang die SS-Uniform gegen Jogginghosen eintauschten, konnte durchaus befremden.

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