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Die Kunsthalle Bremen zeigt den anderen Hans Christian Andersen

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Erinnerungen eines Reisenden: „Orientalisches Gebäude“ von Hans Christian Andersen aus dem Jahr 1859. - Foto: Odense City Museum
Erinnerungen eines Reisenden: „Orientalisches Gebäude“ von Hans Christian Andersen aus dem Jahr 1859. © Odense City Museum

Bremen - Von Mareike Bannasch. In Kopenhagen nannten sie ihn Orang-Utan, an der Ballettschule hatten sie für seine großen Füße nur Hohn und Spott übrig und für Clara Schumann war er „der hässlichste Mann, den es nur geben kann“ – kein Wunder, dass Hans Christian Andersen mit dem hässlichen Entlein den Archetyp des Außenseiters schuf. Ein depressiver Tropf, der am Ende zum stolzen Schwan wird. Eine Geschichte, die sich beim Autor wiederholen sollte: Andersen wurde nicht nur der am häufigsten fotografierte Däne seiner Tage, sondern ist bis heute einer der meistgelesenen Autoren der Welt.

Um seine Rezeption als Märchenonkel geht es in der neuen Ausstellung in der Bremer Kunsthalle aber nur am Rande. Die Kuratoren Dr. Anne Buschhoff und Detlef Stein wollen stattdessen eine neue, vor allem hierzulande bisher schmerzlich vernachlässigte Seite Andersens zeigen: seine bildkünstlerischen Arbeiten. Mehr als zwei Jahre brauchten die beiden, um fragile Papierarbeiten zusammenzutragen, die sich in der unbedingt sehenswerten Schau auf sieben Räume erstrecken.

Dabei kommen die beiden, aller Abkehr vom Märchenklischee zum Trotz, zunächst natürlich trotzdem nicht daran vorbei, einen konzentrierten Blick auf den Literaten Hans Christian Andersen zu werfen. Immerhin waren es vor allem seine Kunstmärchen, die dem Schriftsteller bereits zu Lebzeiten zu Ruhm verhalfen. Eine Entwicklung, die bereits begonnen hatte, als er 1843 zum ersten Mal in Bremen Station machte. Damals besuchte er die „Dritte Gemälde-Ausstellung“ des Kunstvereins, schon vor dem Bau der Kunsthalle.

Heute, 175 Jahre nach der ersten Reise, räumt „Hans Christian Andersen. Poet mit Feder und Schere“ ganz dem Titel entsprechend mit Klischees auf und bildet eindrucksvoll das breite bildnerische Schaffen des dänischen Nationalhelden ab. Daher gibt es nicht nur Scherenschnitte zu sehen, sondern auch filigrane malerische Arbeiten auf Papier. Mit diesen konservierte der Künstler Stationen seiner zahlreichen Reisen – um sie am heimischen Schreibtisch für seine literarischen Arbeiten zu verwenden. Dass diese Gedächtnisstützen, mit denen er sich vor allem im Sehen übte, denen von akademisch ausgebildeten Künstlern nicht das Wasser reichen können, wusste auch Andersen, der sie nur engen Freunden zeigte.

Trotzdem sind sie von enormem künstlerischen Wert, da etliche Zeichnungen in ihrer radikalen Vereinfachung ungewöhnlich modern wirken. Doch nicht nur das. Wenn Andersen den Vesuv lediglich mit einer Umrisslinie darstellt, gibt er dem Betrachter viel Raum für dessen Vorstellungskraft, genau wie in den Märchen.

Nachdem der Däne in den 1830er- und 1840er-Jahren hauptsächlich mit Bleistift und Feder gearbeitet hatte, verlegte er sich zum Ende seines Lebens vor allem auf den Scherenschnitt. Oftmals parallel zum Erzählen schuf er Puppen oder Schwäne – und unterhielt damit so manche Tischgesellschaft.

In der Kunsthalle sind diese Arbeiten, von denen es noch ungefähr 400 weitere geben soll, in einer abgedunkelten Schmuckkästen-Ästhetik zu sehen, die einesteils natürlich dem lichtempfindlichen Material geschuldet ist, aber auch eine besonders dichte Atmosphäre schafft. In diesen Kästchen zeigen die Kuratoren auch eine der letzten Arbeiten des Dänen: Der „Phantasieschnitt für Dorothea Melchior“ aus dem Jahr 1874 zeigt Totenköpfe sowie andere fantastische Gestalten und war, wie so oft, ein Geschenk an jemanden, der ihm wohlgesonnen war – in diesem Fall eben Dorothea Melchior.

Hans Christian Andersen prägte aber nicht nur Kinder-Generationen, es ließen sich auch etliche populäre Künstler von seinem Werk inspirieren. Neben Elvis Costello und Kate Bush, die auf Plattencovern Bezug auf ihn nahmen, zählt dazu auch der Pop-Art-Künstler Andy Warhol. Von ihm sind drei Scherenschnitt-Abbildungen und ein Andersen-Bild zu sehen, die das Skurrile der ursprünglichen Scherenschnitte noch einmal betonen. Übrigens sind das die letzten Arbeiten des Amerikaners. Wegen seines überraschenden Todes tragen sie keine Signaturen. Die künstlerische Handschrift dahinter ist trotzdem erkennbar. Genau wie bei Hans Christian Andersen – dem Mann, der so viel mehr war als ein Märchenonkel.

Die Ausstellung ist bis zum 24. Februar in der Kunsthalle Bremen zu sehen.

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