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Deichkind spielen großes Kino in der Bremer ÖVB-Arena

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Kein Bier für Nazis: Zur Bespaßung der Massen geht's schon mal ins Fass. Foto: Guido Menker
Kein Bier für Nazis: Zur Bespaßung der Massen geht's schon mal ins Fass. © Guido Menker

Bremen - Es beginnt mit dem nackten Körper des Schauspielers Lars Eidinger, besser: Mit dessen Projektion auf großer Leinwand, an dem die Kamera langsam entlang fährt, bis sie erfasst, wie sein Körper an den Füßen langsam hochgezogen wird und sich durch einen unbestimmten Raum bewegt. Als er langsam wieder heruntergelassen wird, taucht er in ein Gefäß mit blauer Farbe. Zum Pinsel funktionalisiert, malt er schön blaue Schlieren auf die weißen Flächen, die ihn umgeben. Und im Grunde ist da auch das, was in den folgenden rund zweieinhalb Stunden geschieht: Die Tabula rasa der Bühne wird in immer neuen Farben bespielt.

„Keine verkrampfte musikalische Ambitioniertheit, keine Fesseln durch puristische Erwartungshaltungen seitens der Anhängerschaft, keine Ideale, die zu verraten wären“, so umriss der Musiker Ted Gaier im Mai 2007 die Hamburger Band, sah die „unschuldige Vision einer Durchdrehshow ohne Machismo und Zynismus“. Was heute nur noch begrenzt zu gelten scheint. Am Dienstagabend in der Bremer ÖVB-Arena jedenfalls mag sich die musikalische Ambition weitestgehend tatsächlich auf die Durchdrehbarkeit der Show beschränken. Die Inszenierung selbst aber atmet von Anfang an deutlich schwerer – was nicht nur, aber nicht allein mit der projektierten Figur Lars Eidingers zu tun hat, der in den Videos der Band Stammgast ist.

Wo früher Saufspiele integraler Bestandteil des Deichkind-Zirkusses waren, wird zwar heute nach wie vor einiges weggebechert, aber nicht aus der legendären „Zitze“ , sondern aus Plastikbechern von den Bierständen, wo der halbe Liter 5,50 Euro kostet. Ob es die Zeiten sind, die eher nach mehr Tiefgang, nach mehr Ernst verlangen?

Der Titelsong des neuen Deichkind-Albums „Wer sagt denn das?“ beklagt die Polarisierung des Diskurses im Netz. Und als die Band gegen Ende der Show in einem Riesenfass über die Köpfe des Publikums gleitet, sitzt obendrauf ein Deichkind mit Fahne. Aufschrift: „Kein Bier für Nazis“.

Klar, ein gerüttelt Maß an Gesellschaftskritik steckt schon seit Längerem in den Texten von Deichkind. „Bück dich hoch“, „Leider geil“ und „Richtig gutes Zeug“ sind gewitzte Statements, und eine Zeile wie „Einmal bitte all you can eat to go“ ist absurde Lyrik vom Feinsten.

Dass es bei Deichkind allerdings nach wie vor und vor allem um die Durchdrehshow geht, ist auch klar. Neben den beiden Sängern und Rappern Philipp Grütering alias Kryptik Joe und Sebastian „Porky“ Dürre sowie dem DJ und Regisseur DJ Phono, bürgerlich: Henning Besser, steht eine Handvoll Tänzer auf der Bühne, wobei die Truppe zumeist eher als Kollektiv agiert denn als dekoratives Beiwerk für Grütering und Dürre. Die Musik dazu folgt mit wenigen Ausnahmen, die eher als Zwischenspiele fungieren, der Marschrichtung eines bassigen Elektro-Sounds mit Hip-Hop-Wurzeln. Das funktioniert zuverlässig und ist tatsächlich des Machismus und Zynismus einigermaßen unverdächtig, außer dass es zumindest dem Anschein nach auf der Bühne doch ein reines Jungsvergnügen war.

Der große Aufschlag mit Eidinger löste sich im weiteren Verlauf des Abends eher punktuell ein, mit sehr hübschen Masken und schönen Bildern, die allerdings weitgehend unverbunden blieben, keine eigene Geschichte erzählten. Aber das ist vielleicht auch reines Wunschdenken gewesen und es geht eben doch in erster Linie um die Durchdrehshow.

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