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Laura Linnenbaum inszeniert Philip K. Dicks „Zeit aus den Fugen“

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Enge Sepia-Welt: „Zeit aus den Fugen“ nach dem Roman von Philip K. Dick. Foto: Kerstin Schomburg
Enge Sepia-Welt: „Zeit aus den Fugen“ nach dem Roman von Philip K. Dick. © Kerstin Schomburg

Hannover - Von Jörg Worat. Nehmen wir zunächst das Programmheft. Es ist ungewohnt sparsam gehalten: Neben den üblichen Zusammenfassungen steht ein einziger Aufsatz darin, sehr klar formuliert. Das mag man „schön schlank“ nennen oder auch „bisschen brav“ – womit wir zugleich die Problemzone der Uraufführung im Schauspielhaus umrissen hätten, die nicht nur die Spielzeit eröffnet, sondern auch die Intendanz von Sonja Anders: „Zeit aus den Fugen“ nach dem Roman von Philip K. Dick.

Das ist eine interessante Stoffwahl. Der Autor, auf dessen verschrobenen Ideen Filme wie „Total Recall“ oder „Blade Runner“ beruhen, taucht hier einmal mehr in sein Lieblingsthema ab: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Die Hauptfigur heißt diesmal Ragle Gumm, der in einer piefigen US-Kleinstadt der 1950er-Jahre seine Brötchen auf eher sonderbare Weise verdient: Er ist Dauergewinner in einem Preisausschreiben. Doch zunehmend mischen sich Störungen ins beschauliche Dasein: Mysteriöse Gegenstände erscheinen, etwa ein Telefonbuch mit lauter untauglichen Nummern, und alle möglichen Fremden scheinen Gumms Namen zu kennen. Bis sich erweist, dass die Zeit tatsächlich aus den Fugen geraten und der Rätsellöser ohne sein Wissen in einen futuristischen Bürgerkrieg verwickelt ist.

Diesen Rückzug in eine Scheinwelt der Vergangenheit, ein durchaus aktuelles Thema, inszeniert Laura Linnenbaum ausgeprägt sachlich. Nun ist es gerade beim Start einer neuen Intendanz unbedingt sympathisch, auf die Entwicklung einer Erzählung zu setzen statt auf die große Materialschlacht. Leider jedoch kommt besagte Erzählung nur schwer in Gang. Ohne mit der Wimper zu zucken und höchst konsequent haben Valentin Baumeister (Bühne) und David Gonter (Kostüme) eine betont enge Sepia-Welt erschaffen, die immerhin hinten eine Projektionsfläche aufweist und sich im Laufe der gut 100 pausenlosen Minuten dann doch etwas erweitert.

Ähnlich beschränkt sind allerdings auch die Figuren angelegt – das sind sie schon bei Dick, und der Regisseurin gelingt es nicht recht, zusätzliche Dimensionen hineinzubringen. Torben Kessler darf als Ragle Gumm wenigstens delikate Stufen des Wahnsinns auskosten („Ich bin der Mittelpunkt des Universums“), und Miriam Maertens kann in der Rolle der mysteriösen Mrs. Kesselman aka Mrs. Keitelbein ein bisschen funkeln. Ansonsten kommen gerade die Frauenfiguren flach daher, und wenn Stella Hilb als Margo hier und da mit kleinen Gesten gekonnt das Tussihafte hervorhebt, ist das schon das Höchste der Gefühle. Natürlich hätte Linnenbaum diese Pappkameraden zu Karikaturen überzeichnen können, dies derweil auf die Gefahr hin, in seichtes Fahrwasser zu geraten. Auf der anderen Seite wäre es immerhin eine Entscheidung gewesen, doch so wirkt die Inszenierung über längere Strecken schlicht uninspiriert. Mit einzelnen Ausreißern; so gibt es einige schöne Einlagen des „armen Theaters“, wenn etwa die Autofahrt durch ein einsames Lenkrad symbolisiert wird, und zugleich eine charmante Distanzierung davon – da löst der Finger in der Luft die Türklingel aus, tut dies bei der entsprechenden Gestik allerdings auch im Folgenden, wenn das Klingelgeräusch entschieden unerwünscht ist.

Als gegen Ende im Hintergrund mit der Erwähnung von Nordkorea oder der Ukraine der Bezug zur Jetztzeit herbeigeraunt wird, wirkt das ein wenig wie angeklebt. Nein, der Abend ist nicht wirklich rund, und wenngleich der Schlussapplaus recht lang ist, bleibt er im Höflichkeitsbereich – Begeisterung klingt anders, und sie wäre hier auch nicht angebracht.

Die nächsten Termine

Dienstag, 17. September, 19.30 Uhr, Sonntag, 29. September, 19 Uhr, Freitag, 4. Oktober, 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Hannover.

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