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„Der Hirsch kommt gleich“

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Sprechbehinderung in schnellem Strich: Cartoon von Katharina Kierzcek.
Sprechbehinderung in schnellem Strich: Cartoon von Katharina Kierzcek. © -

Von Lorena PabelickBREMEN (Eig. Ber.) · Ohne den Grund dafür zu kennen, haben wir Homo Sapiens einen Drall nach links. Beim Betreten des Supermarktes etwa, so haben Marktforscher herausgefunden, gehen wir stets sofort in genannte Richtung.

Wer die aktuelle Ausstellung „Crackstrich“ in der Bremer Galerie des Westens betrittt, wird sich in dem weiß gekalkten Raum also zunächst nach links orientieren. Vorbei an der Getränketheke trifft das Auge dort auf kleinformatige Zettel, ungerahmt, mit ein paar Strichen darauf, deren Zusammenhang sich auch beim zweiten Blick nicht erschließt. Schlicht skizzenhaftes, undefinierbares Gekrakel wurden hier zu Papier gebracht, so möchte man meinen. Aber dann: Daneben, darüber und darunter zeichnerischer Feinsinn. Detaillierte Abbildungen, teilweise in Kombination mit erzählenden Zweizeilern, zeugen von präziser Beherrschung des zeichnerischen Handwerks. Es sind Illustrationen von Philipp Poell und dem Büro Koffermann & Koffermann, die in der „Comic-Installation“-Ausstellung einen ersten Eindruck hinterlassen. Dem Raum im Uhrzeigersinn folgend, muss sich der Betrachter bald auf gänzlich Anderes einlassen. Malerei statt Zeichnung, expressive Farbe statt strengem Schwarzweiß, dicker und unbestimmter Pinselstrich statt klarer Linie. Postkartengroße Tuscheköpfe, in denen gesichtsidentifizierende Merkmale in farblichem Patchwork hervorstechen, erinnern einzig durch die Intensität ihrer Kontraste an das Comic-Genre. Rückblickend betrachtet, könnte dieses Intermezzo – es geht danach mit gesellschaftskritischen Collagen in Schwarzweiß weiter – aus kuratorischer Sicht eine vorsichtige Einstimmung auf die bald folgende visuelle Explosion sein. Während der Betrachter vor der Collage verweilt und angestrengt versucht, sich auf unzählige Motive zu konzentrieren, die einem geöffneten Schädel entspringen, blinkt verführerisch am Ende des Raumes Licht in allen Signalfarben. Und nun? Zwischen Schädel und Geblinke fühlt sich der Betrachter unruhig Hin- und Hergerissen. Man ruft sich schließlich innerlich zur Ordnung. Konzentration bitte und alles schön der Reihe nach. Zuerst der offene Kopf. Die Auswahl der sozial relevanten Themen, die diesem Hirn entweichen, ist sehenswert: Playmobilmännchen, Embryo, ein Sackgassenschild, Jürgen Klinsmann und UN-Blauhelmsoldaten, Spaghetti, eine Tafel beschrieben mit E=mc². Assoziationen zu öffentlichen Ereignissen, aber auch die Reflexion persönlicher Erfahrungen der vergangenen Jahre werden im Überfluss stimuliert.

Jetzt darf die Vorfreude befriedigt werden: Knallige Lämpchen locken in den einzigen Nebenraum der Ausstellung. Im kleinen Kabinett befinden sich die Arbeiten von Katharina Kierzcek, einer Künstlerin aus Kiel, die dort einen eigenen Atelierladen betreibt. Der Raum wird bespielt von Bildern und frei stehenden Objekten, die durch poppige Farbigkeit und überladene Accessoires die Sinne vor dem Hintergrund des gerade Gesehenen umso deutlicher blenden. Einer in den Bildern stetig wieder auftauchenden Comicfigur mit riesigen Glubschaugen ragen echte Lichterketten aus dem Schlund und blinken, passend zur besinnlichen Zeit, wild in Neontönen. Am Boden steht ein Rollwagen, von dessen Seite zwischen allerhand buntem Nippes drei Wackel-Dackel-Köpfe in die Gegend glotzen. Zustimmend nickend.

An der Wand der Druck eines naturalistisch gemaltes Landschaftsbildes mit Birken und See. Altmodisch und kitschig, wäre nicht der Kopf einer frechen Göre im Vordergrund aufgezeichnet, die per Sprechblase verlauten lässt: „Der Hirsch kommt gleich.“

Zurück im großen Raum wird man mit den Zeichnungen Daniel von Bothmers auch zurück in die Monotonie des Schwarzweiß geworfen. Inhaltlich jedoch entfalten sich Gedanken und Kritiken, die entweder gekonnt diffus oder provokant offensiv Reize beim Betrachter setzen. Ergänzende Texte schieben den Gedankengang auf die richtige Spur. So mutet jedem seltsam egal an, wenn die Arbeiter, die aus einer Bierfabrik entlassen wurden, nun aus Kummer als deren beste Konsumenten den Profit anheizen.

Größtes Plus der Ausstellung ist ihr kuratorischer Spannungsbogen, der seinen Höhepunkt in den Arbeiten von Katharina Kierzcek findet und sich in den in den Zeichnungen von Daniel von Bothmer fortsetzt.

Eine Frage bleibt: Ob jener Betrachter, der Eingangs nicht den Massen auf ihrem Weg nach links gefolgt wäre, der sich anarchistisch für den Weg nach rechts entschieden hätte, weil er dem Glitzern und Blinken im Kabinettraum mit kindlicher Neugierde erlegen wäre, ob dieser Betrachter am Ende seines Rundganges noch ein wohlwollendes Auge hätte für irritierende Zeichnungen, die scheinen, als seien sie äußerst unmotiviert auf lose Zettelchen gebracht.

„Cracktrich“ in der GaDeWe“, bis zum 22. Januar.

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