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Durchs Auge ins Bewusstsein

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Wird heute in Bremen geehrt: Joachim Meyerhoff. ·
Wird heute in Bremen geehrt: Joachim Meyerhoff. · © Foto: Stix

Bremen - Von Johannes BruggaierWenn einer eine Reise tut, so wusste schon Matthias Claudius, dann kann er was erzählen. Jahr für Jahr füllen die reisefreudigen Deutschen deshalb ganze Bibliotheken von Kreuzfahrtberichten und Safari-Reportagen: Alles selbst erlebt, alles spannend aufgeschrieben. Nur drucken mag es keiner, jedenfalls kein Verlag.

Joachim Meyerhoffs große Reise liegt schon einige Jahre zurück. Damals, Mitte der Achtziger, verschlug es ihn als Austauschschüler nach Amerika. Einer von Tausenden, Jahr für Jahr. Doch während die Manuskripte der Tausenden unbeachtet in Schreibtischschubladen schlummern und allenfalls im Familienkreis wohlmeinendes Interesse finden, geht Meyerhoff mit seinem Exemplar auf große Tour: Erst als Bühnenstoff in den großen Theaterhäusern der Republik, dann als Roman bei Kiepenheuer & Witsch. Und jetzt gibt es dafür auch noch den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis.

Der Autor ist nun mal nicht irgendwer, sondern einer der profiliertesten Schauspieler des deutschsprachigen Theaters. Fragt sich nur, ob das reicht.

Meyerhoff erzählt zunächst von den Sorgen und Nöten eines ganz gewöhnlichen Jugendlichen in einer ganz gewöhnlichen norddeutschen Kleinstadt. Er erzählt von pubertärem Balzverhalten am Badestrand, von der ersten Liebe und von gescheiterten Fahrprüfungen. Es ist das wohlbekannte triste Dasein zwischen Schule und Familie, zwischen großen Hoffnungen und ernüchternder Realität. Langweilig also und doch auch nicht, denn Meyerhoff ist ein begnadeter Bühnenkünstler, der weiß, wie Texte wirken und mit welchen Kniffen man ein Publikum selbst mit Belanglosigkeiten unterhalten kann. So lachen wir über kindliche Missgeschicke auf einer Riesenrutsche, erfreuen uns an amourösen Annäherungen im Eiscafé, auch ein erbärmlich gescheitertes Debüt im Rotlichtviertel ringt uns ein Lächeln ab.

Meyerhoff blickt mit einem hohen Maß an Selbstironie auf die Lehrjahre seines Lebens zurück und behält diese Distanz auch bei, als sein episches Alter Ego endlich sein Jahr im US-Städtchen Laramie antritt. Schüchtern kauderwelscht sich der deutsche Schüler durch einen Alltag, der so ganz anders ist als zuhause im Flachland. Er wundert sich über die Bedeutung der Fernsehserien. Bestaunt die Robustheit der Cowboys von Wyoming. Und ärgert sich über die allgegenwärtige Titulierung als „The German“. Das alles wird derart flüssig erzählt, dass die Sätze förmlich durchs Auge ins Bewusstsein fließen, kein Fremdwort trübt den Lektürefluss, kein komplexer Gedanke stört die Ruhe der dahinströmenden Erinnerungen an damals.

Es ist nicht viel, was darin eine tiefgreifendere Bedeutung erlangt, selbst der plötzliche Tod seines Bruders fügt sich seltsam bruchlos ins Geschehen ein. Mit etwas gutem Willen lassen sich aus den Differenzen zwischen deutschen Gewohnheiten einerseits und spezifisch amerikanischen Lebensbedingungen andererseits kulturelle Aussagen herauslesen. So wird dem in die Heimat zurückgekehrten Schüler bald sein selbstbewusstes Auftreten zum Verhängnis: Was jenseits des Atlantiks als Ausweis mentaler Stärke geschätzt wird, gilt in der norddeutschen Provinz nämlich als Arroganz. Nicht gerade eine bahnbrechende Erkenntnis – aber immerhin.

Dass es dafür einen Förderpreis gibt, erscheint durchaus konsequent. Erzählen nämlich, das kann dieser Autor. Jetzt müsste nur noch ein bisschen Substanz dazukommen.

Joachim Meyerhoff: „Alle Toten fliegen hoch – Amerika“, Kiepenheuer & Witsch: Köln 2011; 319 Seiten; 18,95 Euro.

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