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Kunstverein Hannover zeigt Ausstellung von Documenta-Künstler Hiwa K

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Den Flamenco im Blut: Ein Standbild aus dem Video „Moon Calender“, in dem sich Hiwa K auf das Foltergefängnis Anna Suraka bezieht. - Foto: Hiwa K
Den Flamenco im Blut: Ein Standbild aus dem Video „Moon Calender“, in dem sich Hiwa K auf das Foltergefängnis Anna Suraka bezieht. © Hiwa K

Hannover - Von Jörg Worat. Nein, sofort zugänglich ist „Moon Calendar“, die aktuelle Ausstellung im Kunstverein Hannover, nicht. Man muss sich schon auf den Künstler einlassen, der sich Hiwa K nennt, und wahrscheinlich auch seinen Hintergrund kennen. Dann mag klar werden, warum diese Arbeiten aktuell viel Beachtung finden und unter anderem auf der jüngsten Documenta vertreten waren.

1975 im kurdischen Teil des Irak geboren und nunmehr in Berlin zuhause, ist Hiwa K ein Grenzgänger im wahrsten Sinne des Wortes. So zeigt ihn die Videoarbeit „Pre-Image“ bei einer Rekonstruktion von Teilen seines Fluchtwegs mit künstlerischen Mitteln: Auf der Stirn balanciert er ein abenteuerliches Gestänge, an dem Auto- und Fahrradspiegel befestigt sind. 

Was ist die Heimat, was ist die Fremde? Alles eine Frage des Blickwinkels, und wenn der sich ständig verändert, ist eine wohlfeile Antwort nicht leicht möglich.

Da wir schon von Blickwinkeln sprechen: Auch der Besucher wird aufgefordert, verschiedene einzunehmen. So muss er eine Brücke besteigen, um die Arbeit „What the Barbarians Did Not Do, Did the Barberini“ in ihrer Gänze überblicken zu können. 

Was die Barbaren unterließen, hat der Papst getan

Dann werden fünf Sandgebilde sichtbar, deren Form der Pantheon-Kassettendecke nachempfunden ist, und in diesem Zusammenhang erschließt sich auch der Titel: Diese Decke ließ einst Papst Urban VIII. alias Maffeo Barberini einschmelzen, um aus der Bronze Kanonen zu fertigen. 

Ein Video an der Wand dahinter zeigt das gegenteilige Vorgehen: Hier schmiedet Metallhändler Najad in Sulaimaniyya, der Geburtsstadt von Hiwa K, Waffen in Gegenstände für den täglichen Gebrauch um.

Die besagte Stadt war auch Standort des berüchtigten Foltergefängnisses Amna Suraka – der Gebäudekomplex dient inzwischen als Museum. Der Künstler bezieht sich gleich mehrfach auf diesen düsteren Ort, so auch im Video „Moon Calendar“, das der Ausstellung den Titel gegeben hat und einen sehr speziellen Ansatz von Selbstvergewisserung dokumentiert: Mit einem Stethoskop auf der Brust versucht Hiwa K in einer Amna-Suraka-Halle, seinen Herzschlag in Flamenco-Tanzschritte umzusetzen – er hat diese Musikform beim berühmten Paco Peña erlernt. Gewiss in dem vollen Bewusstsein, dass dieser Versuch nichts anderes sein kann als eben ein Versuch.

Auch Wand- und Fenstergestaltung sind Teil der Schau 

Eine Arbeit ist direkt für die imposante Architektur des Kunstvereins entstanden. Im ersten und im letzten Raum des Rundgangs verändern blaue Folien vor den Fenstern die Lichteinwirkungen. 

Auf Boden und Wänden sind in kurdischer Sprache kalligrafische Schriftzeichen aufgebracht, die eine Geschichte von Kampf, Tod und Ritual erzählen – in zwei Erzählperspektiven und samt Übersetzung ins Deutsche.

Ein besonders raffiniertes Werk zeigt eine Ansammlung von Leiterobjekten, an denen Musikinstrumente befestigt sind. Es war ursprünglich für eine Aktion in der berühmten „Speakers‘ Corner“ des Londoner Hyde Parks gedacht, wo jeder ohne Voranmeldung Reden über ein Thema seiner Wahl schwingen darf. Nach Absage der Aktion wurde aus der Performance eine Installation, aber man kann sich fragen, ob die Arbeit dadurch an Wirkung verliert. 

Ist die Fantasie, die Instrumente würden loslärmen, nicht vielleicht sogar viel intensiver, als wenn sie es wirklich täten? Alles eine Frage des Blickwinkels.

Die Ausstellung ist noch bis zum 29. Juli im Kunstverein Hannover zu sehen.

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