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Erzählen, ohne zu reden

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Hört ihr etwas? Ja: die Stille. Bei den Salzburger Festspielen hatte „The Sound of Silence“ Premiere.
Hört ihr etwas? Ja: die Stille. Bei den Salzburger Festspielen hatte „The Sound of Silence“ Premiere. © -

SALZBURG (Eig. Ber.) n Es gibt doch in Museen jene Tableaus, die in Miniatur und hinter Glas bedeutsame Augenblicke der Weltgeschichte nachstellen, maßstabsgerecht, dreidimensional und ideal ausgeleuchtet – derweil die Legende dem Besucher erklärt, dass es so ausgesehen haben mag anno 1815 als Napoleon bei Waterloo vernichtend geschlagen wurde.

Solch ein Tableau hat auch Regisseur Alvis Hermanis bei den Salzburger Festspielen eingerichtet – nur sehr viel besser. Denn seine Bilder, mit denen er vom Aufbruch der 68er-Generation im lettischen Riga, das damals hinter dem Eisernen Vorhang lag, erzählt, sind wunderbar erdacht und von erstaunlicher Lebendigkeit, Intensität. Hermanis’ Inszenierung, die den programmatischen Titel „The Sound of Silence“ nach dem Hit des US-Folk-Duos Simon & Garfunkel trägt, ist – man darf es so sagen – pures Theaterglück. Die Karriere des Shooting-Stars des europäischen Theaters ist eng mit Salzburg verwebt: 2003 gewann er mit Gogols „Revizor“ beim Young Directors Project. Jetzt gelingt es ihm und seinen 14 wunderbaren Schauspielern, dass man drei Stunden gebannt, amüsiert, begeistert zuschaut ohne zu bemerken, dass drei Stunden vergangen sind. „The Sound of Silence“, so viel ist sicher, ist das Beste, was beim Schauspiel heuer in Salzburg zu sehen ist.

Für diese Geschichte einer Generation hat Monika Pormale fünf Wohnungen auf die Bühne gebaut, die nur durch Licht (Krisjanis Strazdits) und vom rührenden Spiel der Akteure getrennt werden, später zu einem Raum verschmelzen. Hier sehen wir jene Bilder, nacheinander oder parallel, die davon erzählen, wie Ende der Sechzigerjahre die Jugend im Einflussbereich der UdSSR erwachsen wurde. Kuss-Training mit Einmachgläsern, Flaschendrehen mit Echt-Knutschen, Drogenexperimente, Studium und Musikbegeisterung. So viel anders ging es 1968 in Riga auch nicht zu als im Westen, so viel anders sieht Erwachsenwerden heute auch nicht aus.

Und so ist dieser Abend natürlich eine Zeitreise für das Publikum, das dem Ensemble gerne folgt. Und als sich etwa auf der Bühne zwei Schauspielerinnen mit einem Bügeleisen die langen, blonden Haare glätten, wispert die Dame nebenan ihrer Begleiterin zu: „Eben. Wer hat damals scho a Glätteisen g‘habt?“

Obwohl der Abend also bei Bühnenbild, Ausstattung und Handlungen aus dem kollektiven Gedächtnis einer Generation zitiert, ist er eben keine Erinnerungs-Revue, kein Beschwören alter Zeiten. Denn Alvis Hermanis sucht sehr viel mehr. „The Sound of Silence“ erzählt von Träumen, Hoffnungen, Ängsten und Wünschen einer Generation. Es ist ein poetischer Abend, mit poetischen Bildern. Das stärkste vielleicht jenes einer Gruppe Studenten, die liest, als plötzlich ein Mädchen beginnt, eine Feder in die Luft zu pusten. In den nächsten Minuten wird diese von der ganzen Gruppe allein durch Pusten am Schweben gehalten: Das Leben ist leicht wie diese Feder und voller Geheimnisse, die es zu entdecken, Versprechungen, die es einzulösen gilt.

Als thematische Verzahnung nutzt der Regisseur die Songs von Simon & Garfunkel, mal als Musik in der Szene, also etwa aus einem Radio, mal als Untermalung aus dem Off. Diese Idee hätte leicht schief gehen können, rasch hätte dieser Abend zu einer Nummern-Revue verkommen können, die einzig von allbekannten Hits wie „Mrs. Robinson“ oder „The Boxer“ lebt: nurmehr die Bebilderung eines Greatest-Hits-Albums.

Doch das ist es nicht geworden. Denn Regisseur und Ensemble, die gemeinsam diese Produktion erarbeitet haben, verlassen sich niemals auf das kreative Potenzial, das Paul Simon und Art Garfunkel vor Jahrzehnten zur Aufnahme ihrer Platten nutzten. Hermanis und seine Schauspieler sind selbst kreativ genug, um die Musik als Material zu nutzen. Zur Verstärkung eines Bildes oder als ironischer Kommentar: Da bettet sich etwa das junge Paar zur Hochzeitsnacht, und als der Mann das Radio anmacht, erklingt die Liedzeile „What have I done?“ – „Was habe ich nur angestellt?“.

Oder die Szene mit jenem jungen Mann, der mit der Antenne seines Radio nach dem besten Empfang sucht, diesen ausgerechnet immer dann findet, wenn die Antennenspitze den Körper der schlafenden Schönheit berührt. Am besten ist die Musik jedoch zu hören, wenn die Antenne unters Nachhemd, die Schenkel der Frau nach oben gleitet, während Garfunkel gerade mit viel Schmelz „I love you, girl!“ singt.

Irgendwann während dieser übervollen Inszenierung ist auch das titelgebende Lied „The Sound of Silence“ zu hören. Hier gibt es die Zeile „People talking whitout speaking“ – Menschen erzählen, ohne zu reden. Das gelingt, wie auf wundersame Weise, auch Hermanis und seinen Schauspielern. Sie erzählen uns so vieles an diesem Abend, an dem auf der Bühne kein einziges Wort gesprochen wird.

Großartig!

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