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David Bowies „Lazarus“ in Hamburg: Wirr, aber sehr schön

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Lazarus im Zeichenwald: Alexander Scheer als Newton (vorn) gibt einen prima Bowie-Doppelgänger ab. - Foto: Arno Declair
Lazarus im Zeichenwald: Alexander Scheer als Newton (vorn) gibt einen prima Bowie-Doppelgänger ab. © Arno Declair

Hamburg - Von Rolf Stein. Die Bilderflut ist Programm. Fernsehprogramm zunächst, von dem sich Thomas Newton weniger berieseln denn überfluten lässt. Wilder Westen und John F. Kennedy, Olaf Scholz, die Hamburger G20-Unruhen, George Bush senior, Ronald Reagan und viele andere bekannte Gesichter, Ereignisse, Chiffren flimmern über einen gigantischen Bildschirm.

Falk Richter belud an gleicher Stelle schon Elfriede Jelineks Trump-Drama „Am Königsweg“ mit Referenzen und Zitaten, mit Assoziationen und Fußnoten. Von daher muss es nicht überraschen, wenn man sich im Zeichenwald von „Lazarus“, den Richter jetzt am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg errichtet hat, immer mal wieder verirrt. Zumal das Stück selbst notorisch ist für eine Handlung, deren Notwendigkeit sich eher aus der Songabfolge ergibt als aus erzählerischen Erwägungen.

Anlässlich der Bremer Fassung von Tom Ryser, die vor der Sommerpause Premiere im Theater am Goetheplatz feierte, schrieb unser Kritiker von „umherpolternden Plotfragmenten“, während die Dramaturgin der Hamburger Fassung, Rita Thiele, im Programmheft die Szenen und Songs als „atmosphärische Splitter“ charakterisiert.

Was allerdings doch Sinn stiftet, sind die Figuren, die Bowie in Zusammenarbeit mit dem Dramatiker Enda Walsh entwarf und um Newton herum gruppierte, den Bowie selbst schon in dem Science-Fiction-Film „The Man Who Fell to Earth“ gespielt hatte: Das eingebildete Mädchen, das den siechen Newton hoffen lässt, wieder auf seinen Heimatplaneten zurückkehren zu können. Den fiesen Valentine, der so eine Art böser Zwilling Newtons ist. Die Assistentin Elly, die helfen möchte, aber sich dann doch in Newton verliebt.

„We can be heroes just for one day“

In Bremen widerstand Ryser der Versuchung, ein Bowie-Double auf die Bühne zu stellen, Richter tut das Gegenteil: Alexander Scheer kommt dem vor knapp zwei Jahren gestorbenen Pop-Genius optisch, aber auch stimmlich verblüffend nah. Was einerseits den Blick auf eine biografische Deutung des Stückes lenkt, die freilich naheliegt, auch wenn David Bowie in „Lazarus“ streng genommen nicht vorkommt. 

Als Kunstfigur ist er zugleich Projektionsfläche für Sehnsüchte nach Transzendenz, zumindest aber ein kleines bisschen Hoffnung darauf, was dann eben auch das ist, was am Ende übrig bleibt, wenn auch gebrochen: „We can be heroes just for one day“.

Damit ist aber noch kein zweieinhalbstündiger Theaterabend geschafft. Was also tun? Richter ergreift angesichts der etwas dürftigen Story die Flucht nach vorn. Dank der famosen Band „The No Plans“, in der unter anderem Bernadette La Hengst als Gitarrenheldin reüssiert, ist musikalisch schon mal nichts zu befürchten, auch wenn im Ensemble gesanglich nicht alle Positionen uneingeschränkt bestechen. 

Permanente optische Überforderung ist Programm

Katrin Hoffmann hat für den Abend ein zauberhaftes Bühnenbild geschaffen, Video-Künstler Chris Kondek darf sich, wie schon angedeutet, austoben. Und dann sind da noch die traumhaft schönen Kostüme von Andy Besuch, die den Zeichenzauber mit Manga-Masken, Tarantino-Zitaten und was nicht noch anreichern.

So regiert permanente optische Überforderung, die einerseits durch die Verschneidung sehr kurz zurückliegender Ereignisse mit ewiggültigen Ikonen der Pop-Kultur ein Flirren erzeugt, dem man sich nach einer Weile zu gern hingibt, weil man doch nur einen Teil der Codes zu knacken vermag, die einem da vor den Latz geknallt werden. So in etwa muss sich dieser Newton fühlen, nur dass er die ganze Zeit über Zugang zur Bar hat, die am rechten Bühnenrand steht. Weshalb er wohl so oft bemitleidenswert stolpert und stammelt.

Was in der Zeichenflut dann aber weniger berührt, als man sich das wünschen mag. Das besorgen dann immerhin Julia Wieninger als tragische Assistentin Elly und Gala Othero Winter als imaginäres Mädchen. Was bleibt, ist ein vom Premierenpublikum ausgiebig beklatschter, musikalisch glänzender und optisch bezuckernder Abend.

Die nächsten Vorstellungen: Montag, 19. November, 19.30 Uhr, Samstag, 1. Dezember, 20 Uhr, Sonntag, 2. Dezember, 16 Uhr, Freitag, 28. Dezember, 19.30 Uhr, Samstag, 29. Dezember, 19.30 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Hamburg.

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