1. Startseite
  2. Kultur

Fundstücke aus einer anderen Natur im Bremer Zentrum für Künstlerpublikationen

KommentareDrucken

Wie die Zeit vergeht: „chance & change processes & situations“ (1973/1982). - Foto: Peter Cox
Wie die Zeit vergeht: „chance & change processes & situations“ (1973/1982). © Peter Cox

Bremen - Von Radek Krolczyk. Es gibt von Herman de Vries ein dümmlich-romantisches Zitat, in dem er die Perfektion der Natur lobt: „Natur ist sich selber genug und soll dem Menschen auch genug sein. Was wir von der Natur noch um uns finden können, hat keine menschlichen Zufügungen nötig. Sie ist sich selbst – und für uns eine Offenbarung“, sagte der niederländische Künstler einmal.

Das Studienzentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg zeigt derzeit in einer Ausstellung, dass dieser Ausspruch zum Werk des 1931 in Alkmaar geborenen de Vries notwendig im Wiederspruch steht. Denn Kunst ist vor allem Kunst, und Natur ist erst einmal Natur. Wenn Natur in irgendeine Form kultureller Praxis eingeht, sei es mythologische Verehrung, Kunst oder auch bloß Kunsthandwerk, ist sie schon keine bloße Natur mehr. So einfach ist das.

Natur ist indes offensichtlich der Hauptbezugspunkt des ausgebildeten Biologen und Künstlers. In der Weserburg sieht man wandfüllende Fotografien, auf denen er selbst zu sehen ist, mit langem, grauem Bart, auf einem Baumstamm im Wald sitzend, vor einer Felswand oder im Wasser zwischen den rosa Blüten der Seerose.

Fundstücke aus der Natur künstlerisch angeordnet

In der Ausstellung ist ein Film zu sehen, der im vergangenen Jahr im März produziert wurde. Man sieht darin den Künstler auf einer mit Moos zugewucherten Bank im Wald. In Jeansjacke, mit Mütze und Schal rezitiert er eigene Gedichte, in denen er die Einfachheit der Natur preist. Es sind Verse wie: „the world is my chance / it changes me every day / my chance is my poetry“. Dann sieht man seine Hände auf dem Waldboden Laub und kleine Äste zusammensammeln. Von hier aus erschließen sich möglicherweise zentrale Momente des Werkes, an dem Herman de Vries seit den 70er-Jahren beständig arbeitet.

Denn die Welt, wie er sie vorfindet, ist nicht alles – sie ist seine Chance und das Material, aus dem er seine Werke formt, wie er in dem Gedicht offenlegt. Der Hauptteil seines bildnerischen Werkes besteht aus Fundstücken aus der Natur, wie Erde, Gräsern oder Blütenblättern, die er meist auf Papier organisiert. Das mutet zwar naturwissenschaftlich an, ist aber eher grafisch oder eben künstlerisch.

Blaubeerstrauch auseinandergenommen

In der Weserburg sind auch zwei frühe Collagen zu sehen, aus der Zeit, in der de Vries sich noch nicht so sehr für Natur interessierte und als Mitglied der Künstlergruppe „nul“ informell arbeitete. Verwendet hat er hier verschiedenfarbigen Karton, den er auf der Straße gefunden hatte – Fundstücke aus einer anderen Natur. 

Um einiges typischer sind die Anordnungen kleiner Blätter etwa, wie die vielteilige Arbeit „2109x“ von 1986, die in der Weserburg zu sehen ist. Herman de Vries hat einen Blaubeerstrauch auseinandergenommen und die unterschiedlich großen Blätter in Reihen angeordnet. Von Weitem sieht das Blätterbild aus, wie eine Gruppe Pixel, die kein Bild ergeben. Aus der Nähe allerdings erwächst ein völlig neues Verständnis eines solchen Buschs, der hier aus der Dreidimensionalität heraus in die flache vertikale Position gebracht ist.

Künstlerbücher sind Schwerpunkt der Ausstellung

Den Schwerpunkt der Ausstellung bilden Künstlerbücher, die in Vitrinen gezeigt werden. Um die 100 solcher meist kleinauflagigen Publikationen hat de Vries seit den späten 50er-Jahren veröffentlicht. Viele beinhalten wiederum Fundstücke aus der Natur, wie Blätter oder Gräser. Dabei scheint ein interessanter Aspekt auf: Ein Blatt von einem Baum oder einem Strauch ist zwar immer ein Original, es entsteht aber nach einem übergeordneten Prinzip, quasi als Kopie. 

Von 1977 ist sein Buch „october, february, june“, das drei Birkenblätter aus den jeweiligen Monaten eines Jahres enthält und so die gleichzeitige Verfallsgeschichte von Individuen zeigt. Besonders beeindruckend ist das Mappenwerk „library of earth colours“ an dem de Vries von 1993 bis 2005 gearbeitet hat. An verschiedenen Orten der Welt hat er Erde gesammelt und sie systematisch, fast wie ein Wissenschaftler seine Proben, auf Papier aufgetragen. Uns bleiben nun die Farben zum Vergleich.

Bis zum 21. Oktober, Zentrum für Künstlerpublikationen, Weserburg, Bremen.

Auch interessant

Kommentare