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Der Gegner der Erwartungen

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„Was man heute Skandal nennt, das ist, wenn Sie einen Text sauber als Theaterstück bringen“: Peter Zadek (hier ein Foto aus dem Jahr 1989) ist tot.
„Was man heute Skandal nennt, das ist, wenn Sie einen Text sauber als Theaterstück bringen“: Peter Zadek (hier ein Foto aus dem Jahr 1989) ist tot. © -

BREMEN (Eig. Ber.) n Im Jahr 1966, Daniel Kehlmann ist noch nicht geboren, schreiten Schillers „Räuber“ in ganz und gar unhistorischen Kostümen über die Bühne des Bremer Schauspielhauses. „Knollige, borstige Buschklepper“ beobachtet der „Spiegel“ und wundert sich, dass diese nicht in „den böhmischen Wäldern“, sondern in „einem grellen Comicstrip“ ihr Unwesen trieben.

Peter Zadek heißt der bis dahin völlig unbekannte Regisseur, Wilfried Minks sein Bühnenbildner, Bruno Ganz der Hauptdarsteller. Sie alle zusammengeführt hat Bremens Generalintendant: Kurt Hübner. Heute gilt die „Räuber“-Produktion von 1966 als Gründungsmythos des legendären „Bremer Stils“, einer Epoche, die Zadek, Minks, Ganz und Hübner binnen weniger Jahre Weltruhm bescherte – eine Zeit, die jenes „Regietheater“ hervorbrachte, das Jungautor Kehlmann unlängst in einer Rede als „letzte verbliebene Schrumpfform linker Ideologien“ geißelte.

Der Berliner Peter Zadek muss seine Stadt 1933 als Sohn jüdischer Eltern Richtung England verlassen, um erst 1958 wieder nach Deutschland zurückzukehren. Zadek, der in England Deutsch und Französisch studiert und erste Erfahrungen als Regisseur gesammelt hat, inszeniert in Ulm auf Einladung des damaligen Intendanten Kurt Hübner Shakespeares „Kaufmann von Venedig“: Es ist der Beginn einer Zusammenarbeit, die in Bremen ihre Fortsetzung und mit Schillers „Räubern“ ihren Höhepunkt finden wird.

Als „unheimlich rhetorisch“ empfindet der Regisseur in den sechziger Jahren die vorherrschende Inszenierungspraxis. Zwar haben nach Ende des Zweiten Weltkriegs viele deutsche Bühnen ihren Betrieb demonstrativ mit Lessings Toleranz-Lehrstück „Nathan der Weise“ wiederaufgenommen. Doch anstelle einer inhaltlichen Neubetrachtung der Klassiker, wie sie vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten üblich war, herrscht vielfach ein musealer Stil vor. Hatten Schillers „Räuber“ noch 1782 ein Publikum provoziert, das tagtäglich die Bedrohung durch Banden in Armeengröße unmittelbar erlebte, so versprühen die bärtigen Gesellen mit Schlapphut und Schießgewehr 184 Jahre später allenfalls den Charme eines Puppentheaters. Eine neue Ästhetik muss her, will man dem Klassiker gerecht werden. Diese zu begründen, ist Peter Zadek vorbehalten: einer von außen, einer, der die Katastrophe nicht unmittelbar miterleben musste, einer, der bei seiner Rückkehr in die Heimat kaum noch ein Wort Deutsch verstand.

Allein das Bühnenbild zu den „Räubern“ ist eine Provokation: ein Comicstrip nach einem Motiv von Roy Lichtenstein, zwar mit Schießgewehr, aber jenem eines Guerillakämpfers (das Bild schmückt heute das Theatercafé). Franz Moor (Bruno Ganz) gleicht nach dem Bericht von Zadeks Regie-Kollegen Ernst Wendt einem Wesen zwischen „Donald Duck und dem Igel der Hörzu“, die Mitglieder der Bande selbst sind bis zur Unkenntlichkeit maskiert. Diese Räuber sind alles andere als museale Märchenfiguren. Hier revoltiert vielmehr eine Jugend, die sich zwei Jahre später auch jenseits der Fiktion gegen den Staat erheben wird.

Mit Zadeks „Räubern“ im Jahr 1966 löst sich die Regie aus der bloßen Dienerschaft gegenüber dem Autor, ein Prozess, der bereits mit Max Reinhardt zu Beginn des 20. Jahrhunderts begonnen hatte. Der Regisseur, notiert sich der Kritiker Günther Rühle unter dem Eindruck der Bremer Produktion, erhebe nun den Anspruch, „Urheber eigener Art, eigener Visionen, eigener Bildlichkeit“ zu sein, kurz: ein Autor, „aber nicht des Worts, sondern des gestischen und bildhaften Sprechens“.

Ein Jahr später vollzieht Zadek den endgültigen Bruch mit einem Theaterverständnis, das den Regisseur als Vermittler des Textes vorsieht. Shakespeares „Maß für Maß“ steht auf dem Programm, und Zadek lässt im Programmheft keinen Zweifel daran aufkommen, wie er sich dem Werk zu nähern gedenkt. Das Publikum werde mit dem Stück wohl gewisse Erwartungen verbinden, heißt es da: Diese Erwartungen jedoch „werden in dieser Inszenierung nicht erfüllt“.

In der Tat. Vermissten Schiller-Liebhaber noch bei den „Räubern“ die böhmischen Wälder, so ist das Bühnenbild nun komplett verschwunden. Von „Jungen Leuten in Blue Jeans und Miniröcken“, berichtet der „Spiegel“ pikiert: Darsteller, die „Hand an primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale“ legen und „Koitus spielen“. Shakespeares Figuren offenbaren sich als zutiefst heutige Gestalten, ihre moralische Doppelbödigkeit verweist auf den aktuellen Zustand der realen Welt.

Mit Hübners Demontage durch den Bremer Kultursenator Moritz Thape (SPD) 1973 findet die Ära des „Bremer Stils“ ein unrühmliches Ende. Peter Zadek übernimmt als Intendant das Bochumer Schauspielhaus. Seine größte Inszenierung der siebziger Jahre soll jedoch in Hamburg auf die Bühne kommen. Sein „Othello“ verblüfft 1976 zunächst mit – für Zadek untypisch – konventionellen Mitteln. Ganz klassisch mit viel Theaterschminke wird aus Ulrich Wildgruber der Mohr von Venedig. Erst allmählich stellt sich die, nun schon erwartete, Provokation ein. Die Schminke nämlich will einfach nicht halten, färbt auf Desdemona (Eva Mattes) ab. Wer sich mit Schwarzen einlässt, an dem wird etwas hängen bleiben: eine schlichte Bildsprache, die dem Hamburger Bildungsbürgertum seinen eigenen unterschwelligen Rassismus aufzeigt.

Und später, zumindest zeitweise, die Umkehr: „Was man heute Skandal nennt“, sagt Zadek in den neunziger Jahren, „das ist, wenn Sie einen Text sauber und klar als Theaterstück bringen. Dann werden die Leute irritiert, dann denken sie, man nimmt sie auf den Arm.“ Der Begründer des Regietheaters ruft nun zur „neuen Einfachheit“ auf, inszeniert Tschechows „Kirschgarten“ und später Shakespeares „Hamlet“ ganz schlicht und nachdenklich, wird dafür gemeinsam mit Frank Castorf auf seine alten Tage noch einmal zum „Regisseur des Jahres“ gewählt.

Bremen hatte ihn da schon längst verloren: den großen Regisseur, der mit „Ich bin ein Elefant Madame“, der Hansestadt sogar filmisch ein Denkmal gesetzt hat. Gestern ist Peter Zadek im Alter von 83 Jahren gestorben.

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