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Gesellschaft für Aktuelle Kunst zeigt erste Einzelausstellung von Kristina Buch

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Ein auswählter Mund: Videostill aus „You can’t walk unless the word runs“ von Kristina Buch. 
Ein auswählter Mund: Videostill aus „You can’t walk unless the word runs“ von Kristina Buch. © Gesellschaft für aktuelle Kunst

Sie reden ohne Unterlass. Laut, wirr und ohne Rücksicht. Hier hört keiner dem anderen zu. Warum auch, haben sie doch alle etwas Wichtiges zu sagen. Was genau? Keine Ahnung, die einzelnen Stimmen verlieren sich in einem lauten, fast unerträglichen Gewirr.

Bremen –  „You can’t walk unless the word runs“ heißt die Arbeit, die zugleich Titelgeber der neuen Ausstellung in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) auf dem Bremer Teerhof ist. Zu Beginn des Jubiläumsjahrs zum 40-jährigen Bestehen der GAK sind dort nun Arbeiten von Kristina Buch zu sehen – und zwar als erste umfassende Einzelausstellung der Künstlerin.

Ausschließlich in neuen Werken (abgesehen von einer Videoprojektion, die für die Biennale in Istanbul 2015 entstand) widmet sich Buch den Bedeutungsmustern von Sprache, die Zehn-Kanal-Videoinstallation ist da auch buchstäblich nur der Anfang. Und was für einer. Nicht nur, weil das Stimmengewirr so laut ist, dass es dem Besucher durch die äußerst sehenswerte Ausstellung folgt, sondern auch, weil es auf den ersten Blick nicht viel mehr zu sehen gibt als zehn Münder, die irgendwas erzählen.

Dass wir sie nicht verstehen, liegt aber nicht nur daran, dass sie alle gleichzeitig sprechen. Nein, wenn alle nacheinander an die Reihe kämen, würde es keinen Unterschied machen. Denn diese Münder gehören zu Menschen, die Mitglied der Pfingstbewegung sind. Gemäß deren Vorstellungen sind sie aber nicht nur einfache Gläubige, nein, sie sind in der Lage, in Zungen zu reden – und hätten demnach direkten Zugang zu Gott. Nur wer ihm ganz nahe ist und seine Lehre bis ins kleinste Detail erfüllt, ist demnach in der Lage, so zu sprechen. Ein wirksames Mittel, sich von anderen Glaubensgemeinschaften abzugrenzen. Womit wir auch direkt bei einem zentralen Aspekt von Sprache sind.

Obwohl wir zunächst immer daran denken, dass dieselbe Sprache Menschen zusammenbringt, grenzt sie diese Gemeinsamkeit zugleich von allen anderen ab. Aus dem sprachlichen „Wir“ heraus lässt sich ohne Weiteres ein „Ihr“ generieren. Ein „Ihr“, das anders ist. Ein „Ihr“ mit dem man nichts zu tun haben möchte. Eine Abgrenzung, die in diesen Tagen immer größeren Raum im politischen Diskurs einnimmt und längst kein rein religiöses Phänomen ist. Dort wird sie allerdings besonders unerbittlich zelebriert – und zwar nicht nur in der Pfingstlerbewegung, die als äußerst intolerant gilt.

Die bis dato jüngste Documenta-Teilnehmerin weiß übrigens, wovon sie spricht, sie hat Theologie studiert. Allerdings auch Biologie, womit wir beim nächsten raumfüllenden Werk wären, das mit Lavuren, Gravuren und weiteren Videoarbeiten die Schau bildet. Denn was bleibt übrig, wenn wir alles Trennende von der Sprache lösen? Alle Laute ignorieren? Richtig, Mund, Lippen und Zunge. Kurz gesagt, die Anatomie. Und an diese knüpft „That down payment. You forgot? Lost it? (no bills)“ an. 

cht große Fahnen aus Jacquardgewebe hängen im Galerieraum. Übergroße Zungenmotive, die für manche wohl erst im Zusammenhang mit der Videoinstallation als solche erkennbar sind. Mal sind ganze Muskelkörper auf die Bahnen gedruckt, mal ist es nur die Spitze oder andere Teile. Egal, was zu sehen ist, eines haben alle Gewebe gemeinsam: Sie beherrschen die Fläche, reagieren bereits auf kleinste Bewegungen. Wie die Zunge selbst sind sie nur so lange leblose Lappen bis sie sich zu Einflüssen oder Impulsen verhalten müssen. Nicht reagieren ist keine Option, alles hängt von anderen ab. Und trotzdem sind beide Zungen, gedruckte wie anatomische, mehr als reine Erfüllungsgehilfen. Sie sind für das Gelingen des großen Ganzen unverzichtbar: in der Sprache wie in der Kunst.

Projektraum für junge Künstler

Esther Adams Arbeit „Perspectives“ ist auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen. Wer sie sehen möchte, muss nicht nur in die Knie gehen, sondern auch genau hingucken. Mit durchsichtiger Windowcolour-Farbe hat die Bremer Künstlerin, die seit 2014 an der HfK studiert, Botschaften auf die Glasfront des Projektraums geschrieben, die fundamental wie zeitlos sind. „How to stay alive inside“ steht da eine halbe Treppe unter dem Eingang. Oder „Nonation.de“. Politische Statements und Fragen, die immer wieder auf die Beziehung des Einzelnen zu seiner Umwelt eingehen und ein stückweit dazu zwingen, sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen.

Sehen kann diese Botschaften nur, wer in Bewegung bleibt. Bereits ein winziger Schritt, eine Verschiebung der eigenen Position sorgt dafür, dass nicht mehr lesbar ist, was noch vor Sekunden deutlich klar erschien. Wer alles erkennen, alles wissen möchte, muss seine Position im Raum stets aufs Neue hinterfragen und überprüfen – genauso wie in der Welt draußen vor der GAK.

Öffnungszeiten der Ausstellung

Die Ausstellung von Kristina Buch ist bis zum 19. April in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr.

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