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Glitzern für den deutschen Wald: Wilsons "Freischütz"

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Wilson Freischütz
Kultregisseur Robert Wilson © dpa

Baden-Baden - Robert Wilson, aus Texas stammender Kultregisseur, der Mann der für einen antirealistischen, höchst artifiziellen Stil steht, hat sich die deutscheste aller Opern vorgenommen.

Zum Auftakt der Pfingstfestspiele am Samstagabend im Baden-Badener Festspielhaus präsentierte er seine ganz persönliche Version von Carl Maria von Webers “Freischütz“. Das Ergebnis: eine glitzernde, opulente Revue, eine Aufführung voller Ironie, Parodie und Witz. Nach anfänglicher Verstörung ließ sich das Publikum immer mehr in den Bann dieses konsequent durchgehaltenen Regiekonzeptes ziehen. Am Schluss gab es begeisterten Beifall.

Der ging aber zu einem großen Teil auf das Konto von Dirigent Thomas Hengelbrock, dem Mahler Chamber Orchestra, dem Philharmonia Chor Wien und dem inspiriert musizierenden Solistenensemble. Hengelbrock, erfahrener Orchestererzieher, Musikforscher und Pionier der historisch informierten Aufführungspraxis, hat Webers Freischützpartitur noch einmal genau unter die Lupe genommen. Vieles klingt bei ihm unerhört neu. Traditionelle Schlampereien, etwa beim Jägerchor die Vorschläge als Achtelnoten zu phrasieren, macht er nicht mit. Das Ergebnis: ein rhythmisch gestochen scharfes, präzises Musizieren.

Mahler Chamber Orchester idealer Partner

Weil er die Partitur, den Notentext, ganz wörtlich nimmt, gelingt es ihm, die romantische Stimmung, das deutschen Gefühl, herauszukitzeln. Das Mahler Chamber Orchester erweist sich dabei als idealer Partner. Der unter Musikern gefürchtete Pianissimo-Einsatz der vier Hörner in der Ouvertüre gelingt butterweich, ohne die üblichen “Kiekser“. Die Streicher musizieren aus einem Guss. Die Soli, etwa des Cellos, gelingen klangschön. Die Holzbläser, vor allem die Klarinetten, sorgen für dämonische Stimmungsbilder. Die Blechbläser agieren sympathisch zurückhaltend und konzentrieren sich auf die wenigen Fortissimohöhepunkte, etwa in der Wolfsschluchtszene.

Die Solisten agieren als echtes Ensemble. Juliane Banse ist als Agathe ein strahlender jugendlicher Sopran, der auch sensible, leise Töne findet. Steve Davislim singt den unglückseligen Jägerburschen Max, der am Schluss trotz des Teufelspaktes seine Agathe gewinnt, mit schlankem, höhensicheren Tenor. Und Dimitri Iwaschtschenko als dem Teufel verfallener Urbösewicht Caspar erweist sich als erfreulich jugendlicher Bass. Unter dem Strich präsentiert das Baden-Badener Festspielhaus eine gelungene Mischung aus arrivierten Gesangsstars und noch nicht so bekannten Könnern.

Der Kultursender ARTE, der die zweite Aufführung des neuen Baden- Badener Freischütz am Montag live übertragen wollte, hat das Ganze als Event angekündigt, als “FREISCHÜTZ EN VOGUE“. Und Robert Wilsons geschmäcklerisch abstrahierende Regiearbeit ist in der Tat ein echtes Event. Dafür sorgt schon das “Stardesignerteam“ Viktor und Rolf. Das Duo hat die Kostüme der Solisten mit angeblich 1 350 000 Swarowski- Kristallen aufgepeppt. Und wenn der Jägerchor in schneeweißen Lederhosen und Waderlstrümpfen seinen berüchtigten Hit intoniert, dann kommt im Festspielhaus echte Mitklatschstimmung auf. Das Stück musste wiederholt werden. (Internet: www.pfingstfestspiele.de)

Von Martin Roeber, dpa

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