Ebenfalls in Aquarell malt sie 1915 den Kopf eines „Kranken Knaben“, im selben Jahr einen „Knaben mit blauen Augen“, dessen Augen zwar leuchten, der, mit dem zur Schulter gebeugten, fahlen Gesicht aber auch nicht von Gesundheit gesegnet scheint. Ihr Interesse an diesen kranken Kindern lässt sich nicht genau bestimmen. Möglicherweise fasziniert sie ihre Seltsamkeit, die sie mit etwas Farbe extrahiert.
Ebenfalls seltsam, allerdings durch Stärke und volle Farben entrückt, wirkt ein „Farbiges Mädchen“, dessen Gesicht sie 1917 mehrfach in kleinen Formaten malt. Eine positive Exotisierung. Die Titel wurden von der Hamburger Kunsthalle für die Ausstellung verändert. Rée selbst betitelte ihre Porträts als „Negermädchen“. Anzunehmen ist, dass Rée selbst sich in beide Richtungen aus der Welt gefallen fühlt – und dies in ihren Kinderbildern aufgreift.
1922 schließlich bricht sie selbst in die Ferne auf. Ihr Ziel ist das kleine Städtchen Positano, an der Amalfiküste unweit von Neapel gelegen. Sie bleibt dort für drei Jahre. Zahlreiche deutsche Intellektuelle und Künstler entdecken in jenen Jahren den Süden Italiens, während die Einheimischen ihre Dörfer in Richtung des industrialisierten Nordens verlassen.
Rée malt während der Zeit in Italien ihre Umgebung, Felsen und in den Bergen gelegene Ortschaften. Die Bilder sind flächig und glatt. Mit den Pinselstrichen verschwinden auch die Übergänge zwischen den Steinen und Häusern. Die Landschaften erhalten so ihren fantastischen Charakter. Die Porträts, die sie von den Menschen denen sie dort begegnet, malt, ähneln dem eingangs beschriebenen Selbstporträt.
Besonders die Porträts der Frauen erinnern an Paula Modersohn-Becker, deren Werke Rée verehrte. In diesen Bildern feiert sie die Exotik. Die Frauen erscheinen in vollen Farben. „Terresina“ sitzt vor großen Blättern, die in unterschiedlichen Grüntönen erstrahlen. In ihrem Schoß hält sie drei leuchtend gelbe Zitronen. Ein „Halbakt vor Feigenkaktus“ ist fast skulptural, die Brüste des jungen Modells nehmen die Form der Früchte im Hintergrund auf.
Anita Rée hatte nicht vor wieder nach Hamburg zurückzukehren, und tat es dann doch. Nach ihrer Rückkehr 1926 widmet sie sich ausgedachten Paradiesen, malt Fantasietiere auf Schränke und Wandbilder in Kirchen. Seit den 30er-Jahren macht ihr das Erstarken der Nationalsozialisten zu schaffen. Den Antisemitismus bekommt sie auch im Umfeld der Hamburger Sezession, deren Mitglied sie ist, zu spüren. Sie zieht sich nach Sylt zurück, und malt vornehmlich Landschaften und Tiere. Zum Ende des Jahres 1933 vergiftet sie sich mit Veronal.
Bis 4. Februar in der Kunsthalle Hamburg.