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Die Hamburger Kunsthalle zeigt Anita Rée

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Anita Rée: „6. Doppelbüsi-Karte“ (1929) - Foto: Elke Schneider
Anita Rée: „6. Doppelbüsi-Karte“ (1929) © Elke Schneider

Hamburg - Von Radek Krolczyk. Von Anita Rée gibt es ein bemerkenswertes Selbstporträt: Sie selbst schaut geradeaus, hellwach und voller Erwartung. Die Arme vor dem nackten Oberkörper verschränkt, die eine Hand an die Wange gelegt, ganz so, als sei ihr die Malerin, die ihr gegenüber steht, fremd. Dieses Bild, das Rée 1930, nur wenige Jahre vor ihrem Selbstmord, fertigstellte, leuchtet in hellen Farben. Ein oranger Körper vor einem gelblich-grünen Vorhang.

Kaum ein anderes Bild der großen Retrospektive, die die Hamburger Kunsthalle derzeit für die 1885 in Hamburg geborene Künstlerin ausrichtet, kommt dem gleich. Viele erinnern in ihrem blässlichen Blau an Paul Cézanne, für den sich Rée begeisterte. 

Rund 200 Arbeiten sind auf Papier und Leinwand zu sehen. Manche Flächen auf der Leinwand wirken durch den Farbauftrag so massiv, dass man denken könnte, das Bild sei auf einer Holzplatte gemalt worden. Das ist der Einfluss alter Ikonenmalerei. Leichte Abschürfungen finden sich im Gesicht, um die Nase und den Mund, der sehr jung wirkenden, 45-jährigen Frau.

Rée von verschiedenen Einflüssen geprägt

Diese Fremdheit, mit der sich Anita Rée in dem eingangs beschriebenen Bild selbst begegnet, prägt einen großen Teil ihres Werks – die Bilder süditalienischer Landschaften ebenso wie die Porträts von Frauen und Kindern. Anita Rée lebt von Anbeginn eine außergewöhnliche, widersprüchliche Identität. 

Sie wird als zweites Kind einer gutbürgerlichen Familie geboren. Die Glaubensrichtungen des jüdischen Vaters und der katholischen Mutter amalgamieren auf eine eigenartige, überraschende Weise zum Protestantismus. Die Mutter stammt aus Venezuela. Rées dürfte mit ihrem dunklen Teint und dem kohlschwarzen Haar im Hamburg der Jahrhundertwende aufgefallen sein.

Hamburger Bürgertum sammelt Rées Arbeiten

Höchst ungewöhnlich für diese Zeit ist natürlich auch, dass sie als Frau die Möglichkeit hat, sich der Malerei zu widmen. Mit knapp 20 Jahren wird sie Schülerin des impressionistischen Malers Arthur Siebelist, der eine private Kunstschule unterhält. Rée gehört seit den Zehner-Jahren zum Umfeld Gustav Paulis, Direktor der Hamburger Kunsthalle. 

Durch ihre gesellschaftliche Stellung kommen immer wieder Ankäufe der Kunsthalle zustande. Sie wird ins Programm der Hamburger Galerie Commeter aufgenommen, ihre Arbeiten werden vom Hamburger Bürgertum gesammelt. Soziale Herkunft bleibt eben auch in der Geschichte der bildenden Kunst eine nicht zu unterschätzende Kategorie.

Künstlerisches Interesse an kranken Kindern

Zu Rées frühesten Arbeiten gehört eine Serie, in der sie Kinder porträtiert. Diese wirken wie aus der Welt gefallen. Aus dem Jahr 1915 stammt eine Bleistiftzeichnung, die den Kopf eines Jungen zeigt. Mit seinen Händen hält er ihn, Augen und Mund hat er zusammengekniffen. „Wolfgang mit Zahnweh“ heißt das Bild, und der Junge ähnelt in seinem bemitleidenswerten Zustand einer jungen Tänzerin, die Rée ein Jahr zuvor in hellen Aquarellfarben gemalt hat. 

Ebenfalls in Aquarell malt sie 1915 den Kopf eines „Kranken Knaben“, im selben Jahr einen „Knaben mit blauen Augen“, dessen Augen zwar leuchten, der, mit dem zur Schulter gebeugten, fahlen Gesicht aber auch nicht von Gesundheit gesegnet scheint. Ihr Interesse an diesen kranken Kindern lässt sich nicht genau bestimmen. Möglicherweise fasziniert sie ihre Seltsamkeit, die sie mit etwas Farbe extrahiert.

In beide Richtungen aus der Welt gefallen

Ebenfalls seltsam, allerdings durch Stärke und volle Farben entrückt, wirkt ein „Farbiges Mädchen“, dessen Gesicht sie 1917 mehrfach in kleinen Formaten malt. Eine positive Exotisierung. Die Titel wurden von der Hamburger Kunsthalle für die Ausstellung verändert. Rée selbst betitelte ihre Porträts als „Negermädchen“. Anzunehmen ist, dass Rée selbst sich in beide Richtungen aus der Welt gefallen fühlt – und dies in ihren Kinderbildern aufgreift.

1922 schließlich bricht sie selbst in die Ferne auf. Ihr Ziel ist das kleine Städtchen Positano, an der Amalfiküste unweit von Neapel gelegen. Sie bleibt dort für drei Jahre. Zahlreiche deutsche Intellektuelle und Künstler entdecken in jenen Jahren den Süden Italiens, während die Einheimischen ihre Dörfer in Richtung des industrialisierten Nordens verlassen.

Landschaften mit fantastischem Charakter

Rée malt während der Zeit in Italien ihre Umgebung, Felsen und in den Bergen gelegene Ortschaften. Die Bilder sind flächig und glatt. Mit den Pinselstrichen verschwinden auch die Übergänge zwischen den Steinen und Häusern. Die Landschaften erhalten so ihren fantastischen Charakter. Die Porträts, die sie von den Menschen denen sie dort begegnet, malt, ähneln dem eingangs beschriebenen Selbstporträt. 

Besonders die Porträts der Frauen erinnern an Paula Modersohn-Becker, deren Werke Rée verehrte. In diesen Bildern feiert sie die Exotik. Die Frauen erscheinen in vollen Farben. „Terresina“ sitzt vor großen Blättern, die in unterschiedlichen Grüntönen erstrahlen. In ihrem Schoß hält sie drei leuchtend gelbe Zitronen. Ein „Halbakt vor Feigenkaktus“ ist fast skulptural, die Brüste des jungen Modells nehmen die Form der Früchte im Hintergrund auf.

Anita Rée hatte nicht vor wieder nach Hamburg zurückzukehren, und tat es dann doch. Nach ihrer Rückkehr 1926 widmet sie sich ausgedachten Paradiesen, malt Fantasietiere auf Schränke und Wandbilder in Kirchen. Seit den 30er-Jahren macht ihr das Erstarken der Nationalsozialisten zu schaffen. Den Antisemitismus bekommt sie auch im Umfeld der Hamburger Sezession, deren Mitglied sie ist, zu spüren. Sie zieht sich nach Sylt zurück, und malt vornehmlich Landschaften und Tiere. Zum Ende des Jahres 1933 vergiftet sie sich mit Veronal.

Bis 4. Februar in der Kunsthalle Hamburg.

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