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Slavoj Zizek spricht in Hamburg über die katastrophale Weltlage

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Immer eher ein bisschen pessimistisch: Slavoj Zizek. - Foto: Monika Saulich
Immer eher ein bisschen pessimistisch: Slavoj Zizek. © Monika Saulich

Hamburg - Von Katia Backhaus. Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, mit 1.200 Plätzen größtes Sprechtheater der Bundesrepublik, ist ausverkauft. Vor den Türen drängen sich vor allem junge Leute, und sie sind gekommen, um einen Vortrag über den Mut der Hoffnungslosigkeit zu hören.

Die Antwort auf dieses Paradox erhofften sich die Zuhörer von einem Original der öffentlichen Intellektuellen: Slavoj Zizek. Seine Antwort: Die Hoffnungslosigkeit anzuerkennen kommt vor dem Mut.

Zizek ist ein slowenischer Philosoph, der die Psychoanalyse und den Marxismus weitergedacht hat, regelmäßig in Tageszeitungen das Weltgeschehen analysiert und die Debatte – die akademische wie die öffentliche – nicht scheut. Und Zizek kommt an: Sein Vortrag ist von Anekdoten durchsetzt, er gestikuliert, er wird laut und er hat auch nach einer Stunde Vortrag sein Publikum nicht müde geredet. „One more thing“, lautet eine seiner liebsten Formulierungen.

Geld als Instrument der Herrschaft immer mächtiger

Aber Zizek ist kein Unterhalter, er analysiert. Die weltpolitische Lage ist sein Thema, und erst einmal geht es um das, was hoffnungslos macht. Bevor er zum Kern vorstößt, der – soweit ist er eindeutig Marxist – mit Ideologie zu tun hat, geht es mit dem Offensichtlichen los: dem Kapitalismus in seiner post-kapitalistischen Form. Was soll das, fragt Zizek, wenn Menschen wie Mark Zuckerberg und Bill Gates das Ende des Kapitalismus verkünden, wenn sie davon sprechen, die Dinge müssten wieder mehr Bedeutung, mehr Sinn bekommen?

Eine Finte, davon ist der Philosoph überzeugt. Sein Publikum – später, in einer Fragerunde, wird es heißen: wir hier, die wir alle eher links sind – wohl auch. Denn vom Ende des Kapitalismus ist nichts zu spüren, vielmehr hat die nach Wachstum und Gewinn strebende Marktwirtschaft eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht. Immer mehr Dingen, Tätigkeiten, Menschen wird ein monetärer Wert zugeschrieben – CO2-Emissionen, Trinkwasser, häusliche Pflege sind nur einige Beispiele – und so wird Geld als Instrument der Herrschaft immer mächtiger.

Damit ist der erste Punkt von Zizeks Analyse gesetzt: Macht und Beherrschung, sagt er, werden immer direkter, desto abstrakter der Kapitalismus wird. Es geht nicht mehr nur um Tuch und Wein, um Maschinen und Stecknadeln, sondern um Finanzprodukte, die nicht fassbar sind, und die Auslagerung der Produktion – Stichwort „sweat shops“ – auf ferne Kontinente.

Und die Waren werden eben nicht nur immer abstrakter, sondern auch immer mehr. Logisch, dass es auch immer mehr Unternehmer gibt: Uns alle. Jeder fühlt sich als Unternehmer, sagt Zizek – er wischt sich über die Nase, die Stirn, erste Schweißtropfen sind zu erkennen – jeder, auch der prekär Beschäftigte, fühle sich wie ein kleiner Bill Gates. Frei, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Und, wenn er’s gut macht, zum Gewinner zu werden. Diese Prekarität als Freiheit zu verstehen sei die moderne Sklaverei des Kapitalismus.

Das alles ist nicht so neu. Aber es ist neu, auf einmal zu denen gezählt zu werden, die zu den Zurückgelassenen gehören. „Left behind“ sind die, die bleiben, wo sie sind, verkündet Zizek. Er will nicht über Flüchtende sprechen, sondern über den Rest. Diesen Rest, die Verharrenden, Festhaltenden, Augenschließenden, bezeichnet Zizek – Überraschung Nummer eins – als Proletariat. Teil dieses Proletariats – Überraschung Nummer zwei – sind wir. Wir, die wir uns so sehr an die Lage gewöhnt haben, dass wir ihr nicht entfliehen wollen. Zizek schafft es, all dies nicht dozierend vorzutragen. Er erzählt zwischendurch immer wieder Witze, Anekdoten seiner polnischen, belgischen, amerikanischen Freunde, und irgendwann fragt man sich, wo eigentlich der Wein ist, denn es klingt, als würde es noch ein langer und gewichtiger Abend.

Ein guter Schluck könnte helfen

Ein guter Schluck könnte auch dabei helfen, der Hoffnungslosigkeit der Lage ins Gesicht zu sehen – denn das ist es, was Zizek im Endeffekt fordert. Wir tun es aber nicht.

Klar, wir wissen alle: Trump ist eine Katastrophe, der Planet ist am Ende, es gibt viel zu viele arme Kinder. Aber was lässt sich tun? Nichts. Auch das wissen wir alle. Zynisches Bewusstsein in einer katastrophalen Lage, sagt Zizek, ist die Ideologie unserer Zeit. Und sie verstellt – auch hier kommt er auf seine marxistischen Wurzeln zurück – den Blick, sie verblendet uns.

Der Ausweg, auf den Zizeks dichter Vortrag hinausläuft, ist die Anerkennung der Hoffnungslosigkeit. Es ist alles da: Berichte zum Weltklima, Atomwaffen in Nordkorea und Iran, Trump, Kurz, Rassismus und Sexismus. Genug, um zu wissen, dass die Lage katastrophal ist. Erst dann kann gehandelt werden.

Ein Beispiel Zizeks für das, was dann nötig sind, ist konkret und „hands on“: Obamacare, die allgemeine Krankenversicherung, die der letzte US-Präsident einführte. Nicht die universale, abstrakte Utopie sei gefragt, sagt Zizek, sondern die reale und fassbare Veränderung. Utopisch sei, anzunehmen, dass es so weitergehen könne, wie es ist. Anders gesagt: Die Wandlung der Welt ist nicht aufzuhalten, jetzt kommt es darauf an, diesen Wandel zu verändern. Da hilft keine Utopie, die von Stagnation ausgeht.

Und was, fragt einer aus dem Publikum, wenn die Falschen aufstehen und handeln? Wenn man dem Proletariat eben doch nicht trauen kann? Tja, sagt Zizek – und ist auf einmal ein 68-Jähriger, bei dem man sich fragt, ob er Enkel hat – dann ist das wohl so. Eine andere Chance haben wir nicht. Seht den Dingen ins Gesicht und schöpft Mut aus der Hoffnungslosigkeit.

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