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Intendant Ulrich Mokrusch: „Ich finde die Moderne spannender“

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Lief gut in Bremerhaven: „Der Konsul“ - hier eine Szene mit Iris Wemme (l.) und Sünne Peters. Foto: Heiko Sandelmann
Lief gut in Bremerhaven: „Der Konsul“ - hier eine Szene mit Iris Wemme (l.) und Sünne Peters. © Heiko Sandelmann

Bremerhaven - Von Rolf Stein. An der Wiener Staatsoper feierte 2018 eine Inszenierung von Giacomo Puccinis „Tosca“ 60. Geburtstag. Und überhaupt stehen in den meisten Städten die immergleichen Opern auf dem Programm. Währenddessen fristet das neuere Opernrepertoire eher ein Schattendasein. Wir haben uns in der Region umgehört, warum es neue Musik im Theater so schwer hat. Ulrich Mokrusch sorgt dafür, dass am Stadttheater Bremerhaven jedes Jahr auch neue Musik in der Oper zu hören ist.

Haben Sie auch so alte Inszenierungen im Angebot?

In Bremerhaven können wir publikumsträchtige Stücke wie „Tosca“ oder „Die Zauberflöte“, die wir hier ja auch spielen, in der Regel nicht wieder aufnehmen, weil die Größe der Stadt und damit die des Publikums dafür nicht da ist. Wir haben das bei „La Boheme“ versucht, aber im Grunde sagen die Besucher: „Das war toll, aber ich schau jetzt gern auch die neuen Produktionen.“ Am Nationaltheater Mannheim, an dem ich vorher engagiert war, gibt es jedes Jahr sieben Neuproduktionen und 25 Opern im Repertoire. Da gibt es dann die „Madama Butterfly“ von 1967 oder den „Parsifal“ von 1957. Unser Vorgänger hatte 2008 eine „Meistersinger“-Inszenierung von 1962 abgesetzt und wollte die neu inszenieren. Dagegen gab es dann eine Bürgerinitiative: „Rettet unsere Meistersinger!“

In Bremerhaven wäre das nicht vorstellbar?

Da bei uns das Programm immer aktuell ist und wir kein Repertoirehaus sind, gibt es solche Formen der Anhänglichkeit an Produktionen nicht. Es gibt ja auch auch keine Theater-Touristen bei uns wie an der Semper-Oper. Früher gab es hier eine große Operettentradition, da kamen viele Menschen aus dem Umland. Auch jetzt gibt es noch einige echte Operetten-Fans, aber als ich hier 2010 anfing, haben wir eine Operette vielleicht 20-Mal gespielt, jetzt spielen wir sie elf- oder zwölfmal. Das Operettenpublikum nimmt stetig ab. In Berlin funktioniert die Neuerfindung Operette zum Beispiel in der Komischen Oper vielleicht noch in einer queeren Szene. Aber ansonsten löst das Musical die Operette ab.

Wie lange läuft bei Ihnen eine gut aufgenommene Oper?

Bei uns laufen Opern zwischen sechs- und zehnmal, eine „La Traviata“ vielleicht zwölfmal. Die Ausgrabungen, die wir auch zeigen, laufen sechsmal. Pro Spielzeit sind das insgesamt 40 000 Zuschauer allein im Musiktheater.

Ulrich Mokrusch Foto: Manja Herrmann
Ulrich Mokrusch. © Manja Herrmann

„Aida“, „Boheme“, „Carmen“ - das sind die Zugpferde im Repertoire. Bis zum W, dem „Wozzeck“, kommen die meisten Theater nicht. Warum?

Aber gerade den „Wozzeck“ haben wir in der Komposition von Gurlitt gezeigt und sechsmal gespielt.

Was ist eigentlich das Problem mit der klassischen Moderne?

Da müssen Sie das Publikum fragen. Ich finde die Moderne viel spannender als das klassische Repertoire. Es liegt nicht an den Theatermachern, würde ich behaupten. Wenn ich mit Kollegen rede, haben auch die alle Lust auf neue Formen und Komponisten. Auch gibt es bei uns ein starkes Interesse an Crossover- Formaten. Aber das Publikum ist auch sehr mit dem Kanon von Mozart bis Strauss verbunden. Das hat auch nichts mit Provinz zu tun. Das ist in Berlin oder Hamburg nicht anders. Oper hat ja auch einen Ritualcharakter. Das Wiedererkennen ist wichtig. Wie bei einem Konzert von Paul McCartney, wo alle die alten Beatles-Songs hören wollen. Ich bin aber in Bremerhaven ganz glücklich, weil das Publikum natürlich auch hier mehrheitlich lieber in „Die Zauberflöte“ geht, aber die anderen Werke nicht verschmäht. „Der Konsul“ von Gian Carlo Menotti aus dem vergangenen Frühjahr ist ein schönes Beispiel. Da hat sich herumgesprochen, dass man den gesehen haben muss. Da ist es dann auch egal, ob das eine neue Oper ist oder der Komponist unbekannt.

Sie führen an Ihrem Haus regelmäßig moderne und zeitgenössische Opern auf. Wie finden Sie diese Stücke, die ja manchmal erst ein paar Jahre alt sind?

Wir machen in dieser Spielzeit „Gier nach Gold - McTeague“ von William Bolcom als deutsche Erstaufführung. Die Oper ist von 1996 und vor drei Jahren in Linz erstmals in Europa gelaufen, da haben wir sie auch entdeckt. Und in dieser Spielzeit passt sie sehr gut in unser Amerika-Thema. Dann zeigen wir „Maria de Buenos Aires“ von Astor Piazzolla von 1968, und dann „Mariechen von Nimwegen“ von Bohuslav Martinu, von 1934. Das ist in etwa die Bandbreite an Möglichkeiten, in der wir Moderne erzählen. Natürlich ist es wichtig, dass man eine Geschichte hat, die zu erzählen es wert ist. Ein schönes Beispiel war „Biedermann und die Brandstifter“ von Simon Vosecek vor einem Jahr. Auch eine deutsche Erstaufführung. Das war eine starke Geschichte, die die Leute kannten, in einer cleveren Inszenierung, die das auch noch politisch aufgefächert hat. Dann ist auf einmal die Bereitschaft, auch diese Musik anzunehmen, viel größer. Das ist ja das Wunder der Oper als synästhetisches Erlebnis. Und dass wir anteilig so viel Moderne machen, hat uns noch keinen Abonnenten gekostet.

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