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Eine Welt der dunklen Gestalten zeigt sich an der Staatsoper Hamburg. Fotos: jörg Landsberg
Eine Welt der dunklen Gestalten zeigt sich an der Staatsoper Hamburg. Fotos: jörg Landsberg © -

Hamburg - Von Michael Pitz-grewenig. Sie war schon zu Lebzeiten ein Mythos: Else Lasker-Schüler. Gekleidet in exzentrische Gewänder, gab sie sich mythische Namen. „Tiger Jussuf, Prinz von Theben“ wurde ihr dichterisches Alter Ego, gestaltet nach der Legende des alttestamentarischen Joseph, den seine Brüder nach Ägypten verkauften. Später kamen Tino von Bagdad, Isaak, Ruth, Esther und andere hinzu.

Lasker-Schüler war eine starke, selbstbewusste Frau. Die einzige, die Kurt Pinthus 1919 in seine expressionistische Lyriksammlung „Menschheitsdämmerung“ aufnahm. Und Friedrich Dürrenmatt befand posthum: „Sie sah die Dinge wie zum ersten Mal und sagte sie wie zum ersten Mal.“ Auch in den Künstlerzirkeln Berlins fand sie viel Anerkennung. Gedichtbände und Erzählungen erschienen in rascher Folge, ihr Schauspiel „Die Wupper“ wurde zum Erfolg. Gleichwohl kämpfte sie mit ständiger Geldknappheit und Entbehrung.

Heute ist ihr umfangreiches Werk in großen Teilen unbekannt. Auch ihr 150. Geburtstag scheint nur eine Randnotiz wert zu sein. Ihr letztes Drama „IchundIch“, das 1940/41 in Jerusalem in der Emigration entstanden ist, war nun die Grundlage für einen Kompositionsauftrag der Hamburger Staatsoper an den Komponisten Johannes Harneit.

Geboren wurde Else Schüler, die später den Namen ihres ersten Mannes Berthold Lasker übernahm, vor 150 Jahren, am 11. Februar 1869, in Elberfeld, Wuppertal. In Berlin studierte sie Malerei. Mit Herwarth Walden, dem Herausgeber der Zeitschrift „Der Sturm“, war sie in zweiter Ehe verheiratet, die ebenfalls scheiterte. Mit Franz Marc entwickelte sich eine poetische illustrierte Korrespondenz zwischen „Prinz Jussuf“ und dem Maler, der als „Blauer Reiter“ firmierte. 1933 emigrierte sie in die Schweiz, wo sie frostig aufgenommen wurde. Dreimal reiste sie nach Palästina bis 1939 durch den Ausbruch des Kriegs eine Rückkehr nach Europa unmöglich wird. Am 22. Januar 1945 stirbt Lasker-Schüler schließlich einsam in Jerusalem und wird einen Tag später auf dem Ölberg begraben.

Ihr Stück „IchundIch“ hatte es immer schwer. Die späte Doppeluraufführung 1979 am Düsseldorfer Schauspielhaus und in Wuppertal geschah nur unter großen Schwierigkeiten. Eine Zeit, die sich einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte sperrte, war noch nicht reif für ein avantgardistisches und politisches Stücke. Bei Lasker-Schüler machten es sich die Zeitzeugen zudem noch dadurch leicht, dass sie der Autorin das politische Bewusstsein für eine radikale Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus vor dem Hintergrund deutsch-jüdischer Kultur und Tradition absprachen.

Vor allem vermuteten sie bei ihr nicht das intellektuelle Potential für jene Nazi-Höllenfahrt als Überschreibung von Goethes „Faust“, die auf der Bühne zu sehen ist. Wo Faust, Mephisto, Hitler, Goebbels, Göring, Frau Marthe und die Dichterin selbst agieren. Faust und Mephisto diskutieren in der Hölle über die Existenz Gottes. Mephisto verhandelt mit den Funktionären des NS-Regimes über deren Weltherrschaftspläne. Am Ende ist sogar Mephisto so angeekelt, dass er die ganze Sippschaft untergehen lässt. Er kapituliert vor Gott, Faust und Mephisto versöhnen sich zu „IchundIch“ . Mit der sterbenden Dichterin gelangen sie in den Himmel, wo die Versöhnung zwischen Mephisto und Gott erfolgt.

Die kluge Hamburger Inszenierung von Christian von Treskow vermeidet, Gott sei dank, aktuelle politische Anspielungen. Der Text spricht für sich selbst. Nebenbei bemerkt: Auch schon damals ging es um Erdöl. Geradezu erschütternd das Duett Faust – Mephisto über „Allen Gipfeln ist ruh…“. Da braucht es keine Aktualisierung mehr.

Doren Thomsen hat die Zuschauer auf die Probebühne I platziert, in der Mitte ein großes Rund als Spielfläche und an den Wänden Projektionsflächen sowie ein Rundumweg. Auch die Videoprojektionen bleiben im Ungewissen, man kann die Dinge nur erahnen, was hervorragend zur Regiekonzeption passt.

Das Stück ist gespickt mit literarischen Hinweisen, Zitaten – was Johannes Harneit geschickt in seiner subtilen Musik, die wie ein permanenter innerer Monolog wirkt, umsetzt. Das Projektensemble der Hochschule für Musik und Theater Hamburg musizierte unter Johannes Harneit exzellent. Ähnliches gilt für Chor und das engagierte agierende und gesanglich hervorragende Solistenensemble. Fazit: Eine packende Umsetzung dieses denkwürdigen Dramas.

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Weitere Vorstellungen sind morgen um 17 Uhr und am Dienstag um 19.30 Uhr, Probebühne I, Hamburg.

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