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Improvisation aus Übereinkunft

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Hellwache Aufmerksamkeit in „Accords“.
Hellwache Aufmerksamkeit in „Accords“. © -

Von Jörg WoratHANNOVER (Eig. Ber.) n Belgien steht im Mittelpunkt des diesjährigen Festival „TANZtheater INTERNATIONAL“. Die Gruppe „ZOO“ hat ihren Sitz in Brüssel, ihr Leiter Thomas Hauert indes ist Schweizer. Sie präsentierte in der Hochschule für Musik und Theater das über weite Strecken großartige Stück „Accords“.

Dessen Grundlage ist die Improvisation. Nicht im Sinne der ultimativen Regelfreiheit, dass irgendwer irgendwas macht – ganz im Gegenteil ist das Gelingen der Aufführung stark vom Vertrauen in den Anderen und der Bereitschaft, ihm zu folgen, abhängig. Sieben Tänzerinnen und Tänzer finden sich in unterschiedlichen Konstellationen zusammen, die führende Position wechselt ständig. Wer in der entsprechenden Blickachse ist, gibt eine Bewegung vor, die vom Rest der Truppe direkt aufgegriffen werden kann, aber nicht unbedingt sklavisch kopiert werden muss. Es entsteht ein Tanzfluss, der oft genug wie eine festgelegte Choreographie wirkt und doch wesentlich offener ist. So kann es hier auch zu Momenten kommen, die ansonsten als „Fehler“ bezeichnet würden, wie der einen oder anderen Beinahe-Kollision. Das bringt dieser Ansatz nun einmal mit sich.

Im Zusammenspiel mit den vielschichtigen Charakteristika der Klangeinspielungen kommt eine große Variationsbreite zustande. Es gibt elegische Moment mit Ravels „La Valse“, zupackende bei fetzigem Flamenco und neckische, nicht alberne zu Vogelgezwitscher. Manchmal herrscht sogar Stille, wobei den Tänzern durchaus Musik vorgegeben ist, die nur in ihren Köpfen erklingt und für das Publikum unhörbar bleibt.

Einige Passagen haben fast schon magischen Charakter. Bei einem Pas de deux tauschen die Akteure leicht roboterhafte Bewegungen aus, die gleichwohl eine ganz eigene Anmut entwickeln, wie auch sonst Überspannungen und zu bizarre Körperposen ausbleiben. Zuweilen schälen sich Untergruppen heraus, die sich ein Paralleluniversum erobern, bevor alle wieder zusammenkommen - eine Art polyrhythmischer Tanz. Hellwache Aufmerksamkeit ist hier jederzeit gefordert; dass eine Tänzerin hier und da einen Tick in solistisches Gebaren hineinrutscht, fällt sofort auf.

Eine konzentrierte, spannende, sinnliche Angelegenheit. Wenn man etwas bemängeln kann, dann höchstens die Dauer des Stücks: Die letzte Viertelstunde des gut 80minütigen Abends wirkt dann doch ein wenig länglich. Zu loben wiederum ist die ebenso abwechslungsreiche wie dezente Lichtregie. Und die sorgsame Aussteuerung der Musik – hoffentlich haben die Kollegen von der „Kopergietery“ vorbeigeschaut, die das Festival im Orangeriegebäude mit dem extrem lauten Stück „Rennen“ eröffnet hatten. Der Rezensent empfand dies als schmerzhaft und sah sich genötigt, die Vorstellung nach wenigen Minuten zu verlassen.

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