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Håkon Kornstadt und Mary Boine vertreten Norwegen bei der Jazzahead

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Mary Boine und Hakon Kornstadt bei ihrem Bremer Auftritt. Foto: HEYNE
Mary Boine und Hakon Kornstadt bei ihrem Bremer Auftritt. © Heyne

Bremen - Von Ulla Heyne. Was prädestiniert Norwegen als Partnerland der diesjährigen Jazzahead? Diese Frage stand am Samstagabend am Anfang des Doppelkonzerts mit Mary Boine und Håkon Kornstadt zur Eröffnung des zweiwöchigen Programms rund um das weltweit größte Branchentreffen.

Laut der norwegischen Schauspielerin Lise Risom Olsen, die dem etwas deplatziert plaudernden Radio Bremen-Moderator Felix Krömer nicht nur in punkto Aussprache norwegischer Namen hilfreich zur Seite stand, ist es nicht der Sound, sondern der kreative Ansatz. 

Nicht nur im norwegischen Film (von dem es in den kommenden zwei Wochen neben Lesungen und Tanz gleich zwei ganze Reihen zu erleben gibt), sondern eben auch in der Musik: „Wir sind experimentierfreudig, schmeißen Konventionen über den Haufen.“ Ein eindrucksvolles Beispiel folgte auf dem Fuße: Der oft als „Jazzrebell“ titulierte Saxofonist Håkon Kornstadt. Der warf erst mal ein Grammophon an, um gemeinsam mit Ole Marius Sandberg am Bass und Sigbjøjrn Apeland am Harmonium zu improvisieren – auf eine italienische Arie eines schwedischen Tenors. 

„So machen wir Norweger das!“ Es sollte jedoch noch besser kommen, erwies sich Kornstadt doch nicht nur als begnadeter Instrumentalist, der dem Tenorsax Klänge entlockte, sondern als ebenso ausdrucksstarker Tenor. Erst mit 32 habe er in New York in einer Schaffenskrise bei einem Besuch der Met die Liebe zur Oper entdeckt; er ließ noch vor Ort seine Stimme ausbilden und ist seitdem für seine Arien bekannt, zu denen er mit dem Saxofon improvisiert. 

Schwer vorstellbar, aber es funktionierte: Ohne Nahtstellen ließ er klassische Melodien oder auch mal die Transkription eines Volksliedes fürs Harmonium in den weichen, melancholischen und äußerst ausgeformten Saxsound übergehen. „So geht norwegischer Jazz“, erklärte das charmante Multitalent: „Wir lassen uns inspirieren und setzen die Motive neu zusammen.“ Das Publikum denke dabei vielleicht an Fjorde oder Gletscher: „Aber eigentlich ist es italienische Musik!“ 

Ein reduziertes, leidenschaftliches Cross-over mit einer Tiefe, die auf die weiteren Präsentationen des norwegischen Jazz in den kommenden zwei Wochen folgen, Appetit machte. Die versprechen ebenso zahlreich wie vielgestaltig zu werden, pflegt das kleine Land, das dieses Jahr auch als Partnerland der Berlinale und Frankfurter Buchmesse angesagt ist, mit einer Einwohnerzahl von Berlin laut Olsen doch eine lebendige Szene mit 75 Jazzclubs, 110 Bigbands, 250 Festivals und 70.000 Norwegern, die in Orchestern spielen. Ein Kontrast: der zweite Teil des Doppelkonzertes mit Mary Boine. 

Ihre Musik ist eher der Weltmusik als dem Jazz verhaftet, ihre musikalischen Einflüsse zieht die charismatische Sängerin aus ihren samischen Wurzeln, Folk, Pop und Rock. Dass ausgerechnet das (nicht ganz freiwillige, wie sie kürzlich in einem Interview verriet) Aushängeschild der Samen, einem lang von den Norwegern unterdrückten Volk, das Partnerland bei dem Eröffnungskonzert repräsentiert, macht trotzdem Sinn. 

Es ist ein politisches Statement – ein Zeichen für die Übernahme geschichtlicher Verantwortung und Toleranz – eins, das man sich im Vorjahr beim Partnerland Polen gewünscht hätte. Auch Moderatorin Olsen bekennt sich zur geschichtlichen Verantwortung: „Ja, wir haben die Samen eine ganze Zeit nicht gut behandelt“, antwortet sie auf die Frage zum Verhältnis; fast nervös sei sie, „diejenige live zu treffen, deren Auftritte im Fernsehen bei keinem wichtigen Feiertag in Norwegen fehlen durften. 

Neben dem hypnotischen Klang ihrer wandlungsfähigen Stimme, mal flüsternd, mal guttural, mal wie eine außerweltliche Stimme, die sie von irgendwoher zu durchdringen scheint, mal die eines Kindes, kontrastierend mit repetitivem, archaischem Trommelrhythmen (Gunnar Augland) und sparsamen modernen Riffs der E-Gitarre (Georg Buljo) fasziniert sie ihr Publikum, mehr aber noch mit ihrer Persönlichkeit. Wenn sie beschreibt, wie sie „Lieder pflückt“ oder daran appelliert, der Stimme von Mutter Erde Gehör zu schenken, dann nimmt man der kleinen gestandenen Frau in der traditionellen Tracht des indigenen Volkes die tiefe Verbundenheit zur Natur ab. Ihr jüngstes Album ist nach 30 Jahren im Musikgeschäft das erste auf Englisch. 

„Die Herausforderung, nicht in meiner Muttersprache zu singen, hat mich schon seit Langem gereizt – gerade in meinem Alter muss man sich auch mal außerhalb der Komfortzone bewegen.“ Subsumiert wird das Konzert durch zwei gemeinsame Zugaben – eine davon ungeplant – der beiden Künstler: Hier vereinen sich musikalische Welten mit staunenswerter Leichtigkeit und viel Spaß.

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