Alina Kessler, die Menschenfreundin aus Russland, kann diese Entwicklung nur mit Entsetzen begleiten. Als sie schließlich wirklich etwas für die armen Europäer unternehmen kann, ganz praktisch und handfest, da bringt sie es nicht über sich. Wahre Hilfe nämlich, so wird sie von Hartmanns hinterbliebenen Söhnen Nikolas (Matthieu Svetchine) und Wolfgang (Alexander Swoboda) belehrt, setze zumindest mal einen Mord voraus: den Anschlag auf Gang Men Mao.
Der stellt sich bereitwillig vor die Pistole. Sie dürfe ruhig schießen, sagt er. Allein: Das Böse werde sich mit seinem Tod nicht in Luft auflösen. „Im Namen des Friedens und der Demokratie haben wir alle jeden Tag getötet!“, ruft Gang Men Mao und zeigt wahllos ins Publikum. „Dieser da und jener, der und die, du da und der da hinten auch!“ Obama nicht weniger als Hitler. Als Himmler, Bommel oder von ihm aus auch van Bommel: alle gleich.
Es sei ihm nicht um konkrete Antworten gegangen, schreibt Regisseur Mirko Borscht im Programmheft. Sondern um eine Verstörung, welche die Widersprüche verstärke, statt sie aufzulösen. Wohl und Wehe dieses Abends (dessen darstellerische Leistungen sich aus der aktiven Häftlingsrolle heraus schwerlich beurteilen lassen) finden in dieser Aussage ihre Erklärung. Denn während die beabsichtigte Verstörung so großartig fürchterlich gelingt, wirkt das Bekenntnis zum Widerspruch wie ein Rückzugsgefecht. Man sehnt sich nach einer mutigeren Ausformulierung der Alternative zu unserem Europa, nach einer entschlossenen Aussage, der sich wenigstens mit Überzeugung widersprechen ließe.
So zerfällt diese Produktion in Extreme. In masochistisches Entzücken über den wohlverdienten Knastaufenthalt im Finstern einerseits. In intellektuelle Enttäuschung über die Flucht ins Abstrakte andererseits. In eine vollauf überzeugende Bühnenästhetik zum einen und in eine fragwürdig konstruierte Geschichte zum anderen. In Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß. Nur in der Mitte, wo die Temperatur lau wird: Da ist nichts.
Weitere Vorstellungen: am 22. sowie am 31. Januar, jeweils um 20 Uhr am Theater Bremen.