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Krasse Aufmischungen

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Die Ausstellung gewährt auch Blicke in die Partitur.
Die Ausstellung gewährt auch Blicke in die Partitur. © -

Delmenhorst - Von Ute Schalz-laurenze. „Ekstatisch gekreischt“, „performiert vermorst“, „in sich quirlig vermanscht“, „spuckig“, „zerknautscht“, „näselnd verbeult“, aber auch „näselnd verpresst“ und weiter: „kreischRISSscratch“ oder „mit reichem Dämpferspiel irres geklitter vielfältiger Echoschwingungen erzeugen“. Derlei Spielanweisungen gibt es in den Partituren von Hans Joachim Hespos, die ein rein professionelles Abspielen nicht erlauben, sondern eine totale Identifizierung provozieren.

Der „gelernte Ostfriese“ Hespos lebt seit mehr als 50 Jahren in und bei Delmenhorst, heute residiert er in Ganderkesee. Nicht überraschend also, dass die Städtische Galerie Delmenhorst auf die gute Idee gekommen ist, seine Partituren, die eine Einladung in „riskantes Leben und lebendige Prozesse“ (Hespos) sind, unter dem Titel „Das Auge im Ohr“ auszustellen.

Mehr als 40 Partituren sind ansprechend gehängt, zum Teil auch vergrößert oder in Leporellos aufgestellt. Dazu gibt es einen Film von Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“, zu dem Hespos im Jahr 1977 eine atemberaubende Musik geschrieben hat. Wer sich diese Partituren länger anschaut, erlebt einmal mehr, dass man „Musik nicht notieren kann“ (Hespos), und trifft auf eine hochpolitische Philosophiegeschichte sowie einen verwundeten Kommentar zu dieser Welt. Allen Anweisungen in den Notenblättern liegen sehr genaue Töne – ohne Taktstriche – zugrunde, die gelegentlich explodieren, wenn „krasse aufmischungen“ nur noch mit wildem Gestrichel notiert sind. Der Interpret muss dann sehen, wie er damit klarkommt.

Der ehemalige Grundschullehrer und Geiger Hespos glaubt an das Wunder der Ausdruckskraft der Instrumente und findet eine Fülle seltener und vergessener Exemplare: den Subbass-Recorder, das ungarische Hackbrett Zymbal, das Tárogató, die Tenorbassposaune und viele mehr. Die Werke des 81-Jährigen liegen heute in Berlin in der Akademie der Künste und in der Bayerischen Staatsbibliothek.

Wie sehr Hespos den Kulturbereich seiner Heimat beflügelt und verändert hat, zeigt neben vielen weiteren Aktivitäten die Reihe „Neue Musik in Delmenhorst“, die in diesem Jahr zum 50. Mal auf dem Programm stand – wie immer am 11. November, „damit die Leute das nie vergessen“, sagt Hespos. In diesem Jahr knüpfte er an eine lange Tradition an: den Blick auf die Geschichte.

So spielte das ambitionierte Minguet Quartett Béla Bartóks erstes Streichquartett (1908), Anton von Weberns sechs nicht einmal einminütige Bagatellen (1911 bis 1913), die einen enormen Einfluss auf die Komponisten des 20. Jahrhunderts hatten und die besonders Hespos als „Quellen“ nennt, dann ein klangschönes Streichquartett von Gottfried Michael König (1959), aus demselben Jahr das experimentelle „aleatorio“ von dem unterschätzten Franco Evangelisti sowie „Silentium“ (2013) von Brian Ferneyhough. Von Hespos selbst gab´s leider kein Streichquartett, sondern eine kleine „digitale electronic“ von 1997. Nicht unbedingt seine Stärke.

Sehen

Bis 5. Januar, Städtische Galerie Delmenhorst, Fischstraße 30 / Friedrich-Ebert-Allee, Delmenhorst. Öffnungszeiten der Galerie: Dienstag bis Sonntag 11 bis 17 Uhr, Donnerstag 11 bis 20 Uhr.

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