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Landschaften aus Püree

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Von Lorena PabelickBREMEN (Eig. Ber.) n Gekleidet ist der dünne Kerl wie eine freundliche alte Dame. Der lange Strickkittel hängt weit über den knöchellangen, karierten Rock und kurz darunter, an den Füßen, trägt er schlichte schwarze Slipper. Die Hände stecken in warmen Wollhandschuhen, treffen sich am Rücken und halten eine Tulpe fest. Der Kopf aber ist ein Verräter. Ohne Haut und ohne Haare, der nackte Schädel entlarvt ihn eindeutig: den Tod.

Blümchen gegen Sense: Es ist wahrlich nicht furchteinflössend, wie Autor und Illustrator Wolf Erlbruch den Überbringer durchaus schlechter Nachrichten skizziert. Aber es ist wunderbar kindgerecht. Und für die kleinen Menschen ist sein Buch „Ente, Tod und Tulpe“ gemacht. Deshalb ist es auch Bestandteil der Ausstellung „Künstlerbuch in Kinderwelt – Von Hannah Höch bis Andy Warhol“, die ab heute in der Bremer Weserburg zu sehen ist.

Zwar gehört Erlbruch nicht zu den klassischen bildenden Künstlern. Seine Bücher passen dennoch in das Konzept von Kuratorin Bettina Brach: „In der Sammlung geht es um einen erweiterten Blick auf das Thema Kindheit.“ Im Fokus finden sich, wie bereits der Titel verspricht, Publikationen namhafter Künstler. Die Liste ist lang: Keith Haring, Otto Dix, Horst Janssen, Jörg Immendorff, Christian Boltanski – um nur einige zu nennen. Die Liste der unterschiedlichen Formate ist dabei nicht minder lang.

„Children‘s Book“ betitelt Andy Warhol die bunten Seiten aus fester Pappe und legt damit eindeutig die Adressaten fest. Von Hannah Höchs „Bilderbuch“, bestehend aus neunzehn Collagen und begleitenden Texten, dürften sich auch größere Personen angesprochen fühlen. Sie entwirft sympathisch-skurrile Geschöpfe, die einen bestimmten Typus vorführen und nicht nur dem modernen Nörgler einen Spiegel vorhalten. Über den „Unzufriedel“ ist dort zu erfahren: „Verzweifelt schwingt er die Arme im Kreise. Er wollte ein schwarzes Kleid. Gott gab ihm das Weisse. Vorwurf um Nase und Blick geht er durch‘s Leben. Er pflegt nur mal den Tick, man hab‘ ihm das falsche gegeben.“ Was sich für Kinder als heiterer Wortklang darstellt, entpuppt sich für fortgeschrittene Sammler von Welterfahrung als tiefere Sinnebene.

Keith Haring und Paul Cox sind mit Malbüchern vertreten. Letzterer allerdings mit einem „verkehrten“ Exemplar: Bunte Flächen zeigen bereits das fertige Motiv, allein begrenzende Linien fehlen und wecken sogleich das Bedürfnis, mit schwarzem Stift den Rahmen nachzuliefern.

Sind die beschriebenen Medien klar für die Öffentlichkeit bestimmt und konzipiert, geben die Ausstellungsstücke von Horst Janssen und Otto Dix einen sehr privaten Einblick. „Dies Bilderbuch schenkt Onkel Jimmy dem Muggeli“ schreibt Dix 1922 auf das Ostergeschenk für seinen Stiefsohn. Interessant, wie der große Vertreter der Neuen Sachlichkeit die Welt für ein geliebtes Kind darstellt: grüne Bäume, sattes Gras, alles heile, fast romantisch.

Horst Janssen schlägt der Schokoladenindustrie ein Schnippchen und inspiriert dazu, bei der Gestaltung eines Adventskalenders selbst die grauen Zellen in Gang zu bringen. 24 Kästchen hat „Fatter für Philip“ mit den Lieblingsmotiven des Sohnemanns bestückt.

Innerhalb das Hauses ist die Ausstellung gegebenermaßen erstklassig platziert: Die verschachtelte Architektur des Studienzentrums für Künstlerpublikationen mit seinen gemütlichen Dachschrägen legt die Assoziation einer Puppenstube nahe. Viele Exponate werden in Vitrinen präsentiert – ein Dilemma, wie auch Kuratorin Brach weiß, entfaltet sich eine Geschichte eben nicht nur auf einer Seite. Die Lösung in Form von ausliegenden Kopien, Reproduktionen und teilweise originalen Ansichtsexemplaren erscheint zufriedenstellend. Schließlich bietet Schau in gleichwertigem Umfang andere Präsentationsformen an. Gerahmte Bilder, bemerkenswert gute von Kindern gestaltete Plakate oder einen Videofilm über Daumenkino beispielsweise. Augenfällig ist, wie niedrig die Bilder hängen. Die Logik erschließt sich im zusätzlich erwarteten Publikum. Deswegen erscheinen auch die herumstehenden Tritthocker wenig befremdlich. Stimmig zur scheinbar unendlichen Ausprägung kindlicher Fantasie und den ungeordneten Gedanken ihrer Welt, überzeugt die Ausstellung durch zahlreiche Ebenen. Möglicherweise ist es dem persönlichen Wiedererkennungswert geschuldet, in dem geballten Kleinkosmos der infantilen Dinge unweigerlich in heitere Stimmung zu verfallen und den Fotografien von Natacha Lesueur mit wissender Miene zuzunicken: „Landschaften aus Püree“ nennt sie ihre kreativen Gebilde aus dem heißen Brei.

Bis zum 31. Januar.

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