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Leben mit Widersprüchen

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Fast wie in einem Western stehen die Hemdenfarben für Haltungen: Johannes Schumacher als Kirsanow (l.) und Bastian Hagen als Bazarow in „Väter und Söhne“. - Foto: Jörg Landsberg
Fast wie in einem Western stehen die Hemdenfarben für Haltungen: Johannes Schumacher als Kirsanow (l.) und Bastian Hagen als Bazarow in „Väter und Söhne“. © Jörg Landsberg

Bremen - Von Rolf Stein. Wer würde Bazarow ernsthaft widersprechen wollen? Ist nicht die romantische Liebe unangemessen, wenn es Menschen am Nötigsten mangelt? Wäre nicht zuerst der Gesellschaft zu dienen, auch wenn die sich dafür nicht notwendig dankbar erweist?

1861, als Iwan Sergejewitsch Turgenjew den Roman „Väter und Söhne“ schreibt, hat der russische Zar gerade die Leibeigenschaft abgeschafft. Allerdings weniger, um die Lebensbedingungen der Bauern zu verbessern, sondern die der Großbauern, denen die nunmehr freien Bauern nach wie vor Abgaben zahlen und zu Diensten sein mussten. Eine politische Maßnahme, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu erhöhen, würde man heute dazu sagen.

Zwar mögen soziale Kämpfe heute um andere Details ausgefochten werden, aber das Elend ist nach wie vor in der Welt. Bazarow jedenfalls, die zentrale Figur von „Väter und Söhne“, wirft sich mit geradezu fanatischen Eifer in die Debatte. Für seine kleinbürgerlichen Eltern oder die etwas besser situierte Familie seines Freundes Kirsanow hat er im besten Fall Spott übrig. Und doch verfällt er schließlich unrettbar einer Frau.

Um Bazarow und jene unnahbare Anna Sergejewna kreisen die übrigen Figuren – nicht als Staffage, sondern als sich widersprechende und damit komplementäre Standpunkte. Turgenjew ist kein Dialektiker. Er sucht nicht nach der theoretischen Aufhebung der Gegensätze, die er beschreibt. Ihm geht es um die Menschen, um die Frage, wie ein Leben in und mit diesen Widersprüchen möglich ist.

Zeitlos, zumindest aber nicht historisch, sind die Figuren, die Brian Friels Dramatisierung des berühmten Romans ausgiebig zu Wort kommen lässt. Und auch in Klaus Schumachers Bremer Inszenierung spielt die Geschichte in einer eher ungefähren Zeit, die nicht ganz die unsere ist, aber in sie hineinzufließen scheint.

Immer wieder lässt er die Szenen ganz langsam ausklingen, dem Gesagten nachlauschend – wobei die Bühne (Bühnenbild: Katrin Plötzky) hier glatt an einen Boxring erinnert, während sich der profane Alltag im sommerlich trägen Groove eher daneben oder dahinter abspielt.

Dabei scheint alles zunächst darauf hinzudeuten, dass Bazarow (Bastian Hagen) und sein Freund Arkadij Kirsanow (Johannes Schumacher), die sich nicht ohne Großspurigkeit Nihilisten nennen, der Lage jederzeit gewachsen sind. Die Väter nämlich, aber auch Onkel und Mütter, scheinen in tief in sie eingegrabenen Marotten verfangen, die sie uns lächerlich erscheinen lassen könnten. Martin Baum als Kirsanow senior zum Beispiel scheint sich geradezu selbst peinlich zu sein, als er seinem Sohn die Liaison mit der Hausangestellten Fenitschka (Mirjam Rast) beichtet. Und Vater Bazarow (Siegfried W. Maschek) weiß gegen die Arroganz des Sohnes kein Kraut in seinem Garten. Und trauert nach dessen Tod so tief, dass sich dem kaum zu entziehen ist.

Wie überhaupt das Ensemble in Schumachers Regie eine psychologisch präszise Dringlichkeit entwickelt, die diesen mit gut drei Stunden nicht eben kurzen Abend zu einem fesselnden Erlebnis macht. Wozu auch der milde Spott gehört, der aus Turgenjews Vorlage herüberweht. Arkadijs Onkel Pawel, von Bazarow als „Kleiderständer“ verhöhnt, verleiht Alexander Swoboda bei aller Hanswurstigkeit Würde. Gabriele Möller-Lukasz ist mal die fragile Irre Fürstin Olga, mal die ganz heutig wirkende Mutter Bazarows. Oder eben Lisa Guth als „femme fatale“ Anna Sergejewna: so schnippisch wie klug, so melancholisch wie lebenstüchtig – kein Wunder, dass Bazarow da auch eine Ebenbürtige erkennt. Wobei: Ausgerechnet Bastian Hagen könnte seinem Bazarow noch ein bisschen mehr Kontur verleihen, ein bisschen präziser die Grundzüge dieser schillernden Figur herausarbeiten – aber das entwickelt sich wahrscheinlich noch.

Weitere Vorstellungen: Samstag, Mittwoch, 28. Juni, Samstag, 1. Juli und Sonntag, 2. Juli, jeweils 20 Uhr, Kleines Haus, Theater Bremen.

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