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Liebeslieder? Gibt’s nicht mehr

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Amy Macdonald singt derzeit lieber keine Liebeslieder mehr für Amerika. - Foto: Ulla Heyne
Amy Macdonald singt derzeit lieber keine Liebeslieder mehr für Amerika. © Ulla Heyne

Bremen - Von Mareike Bannasch. Viereinhalb Jahre ohne neue Platte: Im auf Kommerz getrimmten Musikbusiness eine halbe Ewigkeit, vor allem, wenn man noch nicht so lange am Markt ist. Da wendet sich manch ein Fan dann doch schon mal einer anderer Band zu. Nicht so bei Amy Macdonald.

Obwohl die Schottin nach einem Zusammenbruch auf der Bühne im Jahr 2012 und einer 18 Monate langen Tour ihr Auftrittspensum etwas zurückgeschraubt hatte, haben die Fans ihr die Treue gehalten – das Konzert am Samstagabend im Pier 2 war bereits nach wenigen Wochen ausverkauft, Monate vor dem Auftritt.

Dort steht die 29-Jährige nun unter einem Sternenhimmel aus Glühbirnen und will den Massen ihr neues Album vorstellen. „Under Stars“ heißt die Scheibe, logisch, dass da nicht nur die Bühnenbeleuchtung abgestimmt ist – der Titelsong ist auch gleich Konzertopener. Auch wenn das Lied trotz der Eignung zur Stadionhymne eigentlich eines der Schwächeren des Albums ist, fällt dennoch auf, dass sich die Schottin während ihrer kreativen Pause musikalisch weiterentwickelt hat.

So sind die Songs, die sie zum ersten Mal gemeinsam mit zwei anderen Musikern – Bassist Jimmy Sims und Gitarrist Ben Parker – geschrieben hat, um einiges rockiger geworden. Wo es früher durchaus viele Akustikgitarren zu hören gab, dröhnt nun der Bass und lärmen die E-Gitarren. Natürlich ist das alles immer noch sehr poppig, und besonders die Songs des neuen Albums muss man eigentlich zwei- bis dreimal hören, bis sie hängenbleiben, aber dennoch: Das, was Amy Macdonald als Kaufempfehlung für „Under Stars“ ausgewählt hat, überzeugt.

Schnörkellose Stimme

Vor allem in jenen Momenten, die akustisch sind – und jede Menge Raum für die außergewöhnliche und schnörkellose Stimme der 29-Jährigen lassen wie Drei-Akkorde-Drama „Prepare to Fall“, das die Sängerin im letzten Zugabenblock nur auf ihrer Akustikgitarre begleitet singt. Da wird es plötzlich totenstill und die Menschen in der ausverkauften Halle lauschen andächtig, wie ihnen die junge Frau den einfachen, aber umso wirkungsvolleren Tipp gibt, sich auch auf das Hinfallen einzustellen – weil es schließlich unumgänglich ist.

Allerdings anscheinend nicht für Amy Macdonald, zählt sie doch seit ihrem Hit „This is the Life“ vor zehn Jahren zur Riege der international erfolgreichen Popkünstler. Passend zu diesem kleinen Jubiläum nutzt sie ihren Auftritt im Pier 2 auch, um noch einmal die erfolgreichsten Songs ihrer anderen Alben zu spielen, „This is the Life“ inklusive. 

Der Titel mit dem alles begann, den die Schottin aber nicht als solchen explizit heraushebt. Sie und ihre fünfköpfige Band stimmen ihn vielmehr kommentarlos zum Ende des regulären Konzerteils an, dem noch ein mehr als halbstündiger Zugabenblock folgen wird.

Ein Auge für die Zuhörer

Sehr zur Freude der Fans, die sich an diesem Abend einer äußerst freundlichen und aufmerksamen Künstlerin gegenübersehen, die immer ein Auge auf die Zuhörer hat. So unterbricht sie „Mr. Rock’n’Roll“, eine weitere dieser Stadionhymnen, bereits nach drei Takten und bringt ihre komplette Band sekundenschnell zum Stillstand, um die Sanitäter auf eine junge Frau aufmerksam zu machen, die in der Mitte des Innenraums ohnmächtig geworden ist.

Nachdem der Aufsichtspflicht nun Genüge getan ist, könnten die sechs auf der Bühne eigentlich weiterspielen. Machen sie aber nicht, sie warten geduldig, bis die Zuhörerin versorgt ist und setzen dann noch einmal an – natürlich nicht, ohne ihr das Lied zu widmen. Das wirkt spontan und natürlich, wie überhaupt der gesamte Auftritt der Sängerin, die an diesem Abend in Plauderlaune ist.

Dabei hält sie sich nicht nur damit auf, Erklärungen zu den Songs zu liefern, sondern erzählt ihrem Publikum auch von außer Kontrolle geratenen Besuchen in der VIP-Lounge der deutschen Fußballnationalmannschaft oder ihrem Konzertkonzept: In der Mitte des Auftritts einfach ein Akustikset einbauen. Das hat zwei Vorteile, es schont die Stimme und nimmt ein bisschen die Luft raus – damit Publikum und Musiker noch genug Energie für die Schlussphase haben.

Fabelhaftes Gesamtpaket

Eine Überlegung, die sich auszahlt und aus gut zwei Stunden Konzert ein fabelhaftes Gesamtpaket formt. Nicht nur, weil Macdonalds Texte und Melodien eingänglich sind, sondern eben auch, weil das Ganze weit mehr ist als schnöder, rockig angehauchter Radiopop.

Vielmehr hat man es hier mit einer Künstlerin zu tun, die ihre Umwelt genau beobachtet und sich auch nicht zu schade ist, einmal gefällte Urteilte zu widerrufen. So zum Beispiel beim Song „Fourth of July“, ursprünglich eine musikalische Liebeserklärung an die Vereinigten Staaten und ihr Lebensgefühl.

Das allerdings war einmal, Macdonald hat beschlossen, dass jene USA, mit denen die Welt aktuell zu kämpfen hat, kein Liebeslied mehr verdienen. Aber nicht nur das, sie und ihre Musiker haben das Lied auch gleich mal komplett umgekrempelt und spielen es nun als melancholischen Abgesang auf goldenen Zeiten. Und da sage noch mal jemand, dass radiotaugliche Musik immer nur belanglos ist.

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