1. Startseite
  2. Kultur

Links ist kein Spaß

KommentareDrucken

Singen mit Huhn und Marx: Klaas Schramm und Christoph Mieroph in „Marx macht mobil“.
Singen mit Huhn und Marx: Klaas Schramm und Christoph Mieroph in „Marx macht mobil“. © Foto: Etter

Oldenburg - Von Johannes Bruggaier. Ganze drei Prozent für die Linkspartei: Das sind keine guten Nachrichten für altgediente Klassenkämpfer. Hoffnung bietet allein das Oldenburgische Staatstheater.

Dort schallt es zurzeit hell und laut: „Brüder zur Sonne, zur Freiheit, Brüder zum Lichte empor!“ Und: „Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht!“ Oder auch: „Macht kaputt, was euch kaputtmacht!“ Alles, was jenes Organ erwärmt, das bekanntlich links schlägt.

K. D. Schmidt hat mit seinem Ensemble diesen Liederabend einstudiert: eine Hommage an den politischen Protestsong, musikalisch untermauert von Bühnenmusiker Christoph Iacono und seiner Band. „Marx macht mobil“ lautet dementsprechend der Titel. Dabei ist „mobil“ nicht gerade die erste Assoziation, die der alte Zausel mit Rauschebart auf der Bühne des kleinen Hauses erweckt (gespielt von Gilbert Mieroph). Bedächtig tapst er durch seine Kneipe (Bühne: Thomas Drescher), stellt auf jeden Tisch eine Bierflasche (Marke: „Parole: Egal ist keine Haltung!“) und setzt sich dann erwartungsfroh auf seinen kleinen Thron neben der Theke.

„Zack!“, wird auch schon die Tür aufgeschmissen. Ein junger Mann stürmt herein, Typ Student mit rotem Schal, nähert sich ergeben dem großen Karl Marx, überreicht feierlich ein Geschenk. Da kommt auch schon der Nächste angerauscht, ein schneidiger Edel-Linker in weißem Anzug, das Hemd auf Brusthöhe lässig geöffnet. Ein Marx-Jünger nach dem anderen schneit herein, es scheint gar kein Ende zu nehmen: die naive Stewardess im roten Kostüm (Eva Maria Pichler), die betont rotzige Aktivistin im Schlabberlook (Juliana Djulgerova) oder auch der Tierschützer im albernen Hühnchenkostüm (Klaas Schramm).

Letzterer legt gleich los, Mick Jaggers „Street Fighting Man“ im Federkleid. Das ist mehr niedlich als rebellisch, weshalb der Student im roten Schal sich köstlich amüsiert. Schon erhebt Papa Marx mahnend seinen Zeigefinger: Besser machen! Oh, äh, stammelt der Ertappte, erhebt sich zaghaft vom Stuhl, atmet tief durch, hebt mit zitternder Stimme an: „Wa…, wacht auf, Verdammte dieser Erde!“

Die Nervosität ist begründet. Denn so spaßig dieses Sozialistencasting auch scheint: Für wenigstens einen hier ist die Sache so ernst wie ein Begräbnis. Als das Hühnchen im Überschwang ein antikommunistisches Witzchen macht – „Warum war in der DDR das Klopapier so rau? Damit auch der letzte Arsch rot wird!“ –, zieht Marx plötzlich einen Revolver. „Ihr könnt immer nur persiflieren!“, schimpft er, stürmt aus der Kneipe und ruft von draußen seine Thesen herein: das ganze antikapitalistische Programm vom Sein, welches das Bewusstsein bestimmt, bis zur Entäußerung der Arbeit.

Es ist ein wunderbar grotesker Sängerwettstreit, weniger wegen der Lieder selbst als wegen der präzisen Charakterstudien. Das ändert sich im zweiten Teil des Abends nur konzeptionell, nicht qualitativ. Bis auf den alten Marx legen dann die übrigen Sangesbrüder und -schwestern ihre Rollen ab, was ihnen ab und an ein ernstes Wort erlaubt. Etwa, wenn Anna Steffens im Ringen um eine moralische Orientierung Nathans Monolog aus dem siebten Auftritt des vierten Akts spricht. Ganz einfach und doch intensiv – als öffnete sie ein kleines Fenster, durch das eine Ahnung wahrhaft moralischen Handelns hereinweht. So führt diese geglückte Gratwanderung zwischen knackigen Pointen und leisen Überlegungen zum wohlbekannten Ziel: der Erkenntnis, wie unmöglich es ist, gesellschaftliche Überzeugungen konsequent auf das eigene Leben zu übertragen.

Weitere Vorstellungen: am 26. Januar und 2. Februar, jeweils um 20 Uhr.

Auch interessant

Kommentare