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Mehr Freude im Leben Teil 2

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„Unterbreite ihm ein Angebot!“, raunt mir Nicole Erichsen zu.

Ein Angebot? „Hören Sie mal“, sage ich zu Uli. „Ja?“, antwortet der. „Wenn Sie hier schon alles kennen…“ – „Ja.“ – „…wollen wir dann nicht lieber die Führung abbrechen…“ – „Das hört sich gut an.“ – „…und uns in ein Café setzen?“ Uli nickt noch eifriger: „Ja! Gut! Danke! Das hört sich gut an!“

Dann bin ich der Ja-Sager und Uli ein Arzt. „Tut es Ihnen weh, wenn ich so mache?“, fragt er und biegt leicht meinen Arm nach hinten. „Ja!“, sage ich. „Sie scheinen ziemlich überarbeitet zu sein.“ – „Ja!“, rufe ich. „Vielleicht verschreibe ich Ihnen eine Kur?“ – „Jajaja, danke, das hört sich gut an!“

Keine Angst vor der Blamage: Nicole Erichsen ermutigt die Kursteilnehmer, etwas Neues auszuprobieren.
Keine Angst vor der Blamage: Nicole Erichsen ermutigt die Kursteilnehmer, etwas Neues auszuprobieren. © Mediengruppe Kreiszeitung / Michael Bahlo

Über all dem schwebt Keith Johnstone. So heißt ein heute hochbetagter Regisseur und Schauspiellehrer, der als Gründer des modernen Improvisationstheaters gilt. Der Psychologe Gunter Lösel hatte einst ein Buch von ihm gelesen. Seither weiß er, dass selbst schwere Psychosen manchmal leichter auf der Bühne zu therapieren sind als auf der Couch. Heute noch, sagt er, sei er oft darüber verblüfft, wie schnell Theater Grundhaltungen verändern kann. Da gebe es Kursteilnehmer, die im Alltag einfach keinen Zugang zu ihren Mitmenschen finden. Erst bei der Improvisation erkennen sie dann die Ursache: ihre übergroße Skepsis. „Um eine Szene zu entwickeln, muss ich Gesprächsangebote annehmen und auch selbst welche unterbreiten. Wer sich ablehnend verhält, kann nicht improvisieren.“ Und wer nicht improvisieren kann, der hat es im Alltag schwer, Kontakte zu knüpfen.

Vor 13 Jahren hat Lösel seine heutige Partnerin Nicole Erichsen kennengelernt. Er gewann sie für Keith Johnstone und dessen Idee des Improvisationstheaters, gründete mit ihr schließlich das „Improtheater Bremen“. Seit einem Jahr nun drehen die beiden am großen Rad. Improvisation für alle: Unternehmen, Schulen, Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Professionell vermarktet bietet ihr „Institut für Theativität“ Kurse für Körpersprache und Teambildung an oder auch individuell ausgearbeitete Konzepte für Belegschaften.

Auf der Bühne blicken mich 18 Augen erwartungsvoll an. Ich soll gleich eine Geschichte erzählen, von der ich selbst keinen blassen Schimmer habe. Dass mich dabei vier Personen unterstützen werden, ist ein schwacher Trost. Thema: ein schwarzer Staubsauger. Nicole Erichsen hockt vor unserem Publikum auf dem Boden. Wer dran ist, bestimmt sie.

Mut zur Lücke - auf der Theaterbühne kein Problem.
Mut zur Lücke - auf der Theaterbühne kein Problem. © Mediengruppe Kreiszeitung / Michael Bahlo

„Es war einmal ein kleiner Junge namens Toni“, höre ich rechts eine Frau sagen: „Dem hatte seine Mutter aufgetragen, die Wohnung zu saugen.“ Ganz selbstbewusst erzählt sie das, als sei die Geschichte von Toni und seinem Staubsauger ein bekanntes Märchen, ein Klassiker des Deutschunterrichts. „Deshalb begab sich Toni zum…“ – Erichsen schnippt mit den Fingern und deutet lässig auf meinen Nebenmann. „…Zum Besenschrank“, fährt dieser ungerührt fort: „Als er die Tür öffnete, sah er, dass es darin ganz dunkel war.“ Wieder schnickt Erichsen.

Ihr Finger zeigt auf mich. Dunkel war. „Ja, also dass es darin dunkel war“, wiederhole ich. Was um alles in der Welt soll ich mit einer dunklen Besenkammer anfangen? „Aus dieser dunklen Besenkammer, da… also da leuchteten plötzlich zwei Augen hervor“, beginne ich zögernd: „Worüber sich Toni sehr erschrak. Dann hörte er eine Stimme: ‚Ich bin der schwarze Staubsauger und will nicht, dass du mich hier herausholst!‘“ Wie albern. Etwas anderes aber fällt mir beim besten Willen nicht ein. Lautes Gelächter erschallt. War offenbar gar nicht so schlecht. „Ich hole dich aber doch raus…“, höre ich die selbstbewusste Frau weitererzählen.

Unser schwarzer Staubsauger wird Toni noch androhen, alles der Mutter zu erzählen, woraufhin dieser ihn mit weißer Farbe in ein Zebra verwandelt. Und als die Geschichte zu Ende ist, habe ich mich keineswegs blamiert, sondern sogar gewonnen. Nicht, weil meine Geschichte auffallend intelligent gewesen wäre, sondern weil ich mich auf sie eingelassen habe. Das muss sie sein: die Lücke, von der Lösel spricht, unsere Leerstelle, die wir peinlich berührt vertuschen oder souverän ausspielen können.

Der schwarze Staubsauger hat mich von meinem Inszenierungsdrang erlöst. Der Staubsauger hat mir die Kraft gegeben, mein wahres Ich zu enthüllen, selbstbewusst herauszuschreien: Ja, ich bin fehlerhaft! Auch ich weiß manchmal nicht weiter! Der Staubsauger: Er war gewissermaßen meine Taufe zur Theativität.

„Wenn ein Kind laufen lernt“, erklärt mir Gunter Lösel anschließend in der Schlachthof-Kneipe, „dann fällt es immer wieder hin.“ Kein Erwachsener käme dabei auf die Idee, das Kind zu unterrichten: diesmal mit ein bisschen mehr Kraft beim ersten Schritt, den linken Fuß einen Zentimeter nach vorne, den Oberkörper mehr in die Vertikale. Denn nicht durch Analyse lerne der Mensch laufen, sondern durch Improvisation. Lösel senkt seine ohnehin schon leise Stimme: „Wir Erwachsenen sollten uns auf diesen natürlichen Entwicklungsweg zurückbesinnen.“ „Das hört sich gut an“, sage ich: „Danke!“

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