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Gastspiel aus Nigeria bei den Lessingtagen in Hamburg

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Szene aus „Hear Word“ Foto: George Udeze
Szene aus „Hear Word“ Foto: George Udeze © -

Hamburg - Von Rolf Stein. Die Vorstellung von Aufklärung als humanistischem Projekt ist ja stets neu zu befragen; abgeschlossen kann das Projekt nicht sein. Gotthold Ephraim Lessing ist nicht nur einer der Protagonisten der Aufklärung, sondern auch Namenspatron der Lessingtage, die das Hamburger Thalia-Theater in diesem Jahr zum zehnten Mal feiert. Dessen Programm erweist sich zum Jubiläum in diesem Sinne als erfreulich zeitgenössisch.

Nach der Eröffnung mit einem neuen Stück des britischen Dramatikers Simon Stephens, stand unter anderem das Gastspiel „Hear Word! Naija Women Talk True“ aus Nigeria auf dem Programm, das zwar eine beeindruckende Gastspielkarriere aufzuweisen hat, aber erst jetzt in Europa zu sehen war.

Nun dürfte zumindest im deutschsprachigen Raum nigerianisches Theater wohl nahezu unbekannt sein - es existiert nicht einmal ein deutschsprachiger Wikipedia-Artikel zum Thema. Dabei gibt es mit dem Dramatiker Wole Soyinka ja sogar einen nigerianischen Literaturnobelpreisträger.

Inwieweit „Hear Word!“ repräsentativ für den Stand der Kunst im Nigeria von heute stehen kann, entzieht sich unserer Kenntnis. Was die Schauspielerinnen Taiwo Ajai-Lycett, Joke Silva, Kate Henshaw, Bimbo Akintola, Omonor, Elvina Ibru, Ufuoma McDermott, Zara Udofia, Lala Akindoju, Rita Edward, DDebbie Ohiri und Odenike in der Inszenierung von Ifeoma Fafunwa an zwei Abenden im Thalia-Theater zeigen, ist allerdings ein Statement, das seinen Platz auf dem Programm der Lessingtage fraglos verdient.

Das durch die Musik eines dreiköpfigen Percussion-Ensembles durchwobene, aus autonomen Szenen komponierte Stück, folgt lose den Lebensstationen nigerianischer Frauen, um in einem machtvollen Appell zur Selbstermächtigung zu enden. Dabei scheint manches recht weit von unserem Alltag entfernt zu sein, frappierend zugleich, wie viel wiederum uns gar nicht fremd ist.

Das mag banal klingen. Manche Dinge sind doch den meisten Menschen gemein. Und dass in der Liebe oft mit harten Bandagen gekämpft wird - geschenkt. Reichlich unverblümt erzählen die Schauspielerinnen in „Hear Word!“ allerdings Geschichten, die in ihrer Härte verblüffen, wenn da der Ehemann und Hausherr seiner Frau nahelegt, dem Gast doch auch sexuell zur Hand zu gehen - wenn selbiger wichtig fürs Geschäft ist. Zum Beispiel. Wenn es aber um die Fragen geht, wie sie junge Frauen über sich ergehen lassen müssen - ob sie nicht endlich heiraten wollen, wann die Kinder kommen –, dann dürfte das auch Menschen in unseren Breitengraden bekannt vorkommen.

In den bisweilen brutalen Episoden blitzt derweil immer wieder Witz auf, was den drastischen Erzählungen ein wenig von ihrer Härte nimmt, die Tanzszenen und Lieder, die die Dramaturgie strukturieren, speisen die positive Wucht, die „Hear Word!“ entwickelt.

Wichtig auch: Indem Fafunwa die Entführung von mehr als 200 Schulmädchen durch Boko Haram als Teil des Settings nennt, skizziert sie den Terror als etwas, das aus der Gesellschaft selbst kommt, nicht als etwas von vermeintlich Fremden importiertes. Und ist damit weiter als einschlägige Debatten in anderen Teilen der Welt.

Womit wir bei den verschiedenen Blickrichtungen wären: Es scheint recht deutlich, dass „Hear Word!“ in seinem vehementen Aufruf, Rollenzuschreibungen neu zu befragen, und das immer wieder, in die nigerianische Gesellschaft hineinwirken soll. „Hear Word!“ spart auch die Frauen aus seiner Kritik nicht aus, fordert ein- und ausdrücklich zur Solidarität auf.

Den europäischen Blick bereichert das Stück, indem es über die Reflexion von Differenzen und Parallelen das Eigene neu sehen lässt. Und es öffnet die Perspektive auf eine Gesellschaft, die - kaum überraschend - weitaus komplexer ist, als die im Allgemeinen auf außenpolitische Aspekte reduzierte Berichterstattung vermittelt. Mehr Aufklärung lässt sich in eineinhalb Stunden wohl kaum leisten.

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